Redaktion – 12. September 2021
An den landeseigenen Berliner Krankenhäusern Charité und Vivantes läuft seit dem frühen Donnerstagmorgen ein unbefristeter Streik der Beschäftigten. Nach einem dreitägigen Warnstreik in der vergangenen Woche haben sich in einer Urabstimmung zwischen 98 und 99 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder in Europas größtem Universitätsklinikum Charité, den Vivantes-Kliniken und den Vivantes-Tochterunternehmen für Reinigung, Küchendienste, Transporte u. ä. für einen unbefristeten Streik ausgesprochen.
Seit Jahren herrscht bei den Kollegen/-innen der Berliner Krankenhäuser viel Unmut über ihre Arbeitssituation, die sie täglich als Gefährdung ihrer eigenen Gesundheit und der ihrer Patienten erleben. Die Kollegen/innen kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen und eine höhere Bezahlung in Tochterfirmen. Vorausgegangen ware gerichtliche Auseinandersetzungen. Unter anderem ging es um dringend notwendige Notdienst-Regelungen.
…Unter Berücksichtigung der Bettensituation würden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Vivantes-Muttergesellschaft sowie der Charité nach und nach aus der Frühschicht geholt, sagte Verdi-Verhandlungsführerin Meike Jäger. Es gebe nach wie vor keine Notdienstvereinbarung mit beiden Einrichtungen.
…Der Streik verdient die Unterstützung und Solidarität der gesamten arbeitenden Bevölkerung, und das aus zwei Gründen: Er richtet sich gegen die Folgen jahrelanger Einsparungen und Personalkürzungen, die den Arbeitsstress und die Belastung ins Unerträgliche gesteigert haben. Und er wendet sich gegen die Zerstörung der Gesundheitsversorgung, die systematisch dem Profit unterworfen und kaputtgespart wird.
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Zu den Hintergründen der Arbeitskmpfes veröffentlichte der ver.di-Bundsvorstand nachfolgende Pressemitteilung:
ver.di wirft Bundesgesundheitsminister Versäumnisse vor
Angesichts der Streiks für einen Tarifvertrag Entlastung bei den landeseigenen Berliner Kliniken Charité und Vivantes wirft die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Versäumnisse vor. „Für die Beschäftigten sind die Streiks Notwehr. Da es für die Krankenhäuser noch immer keine gesetzlichen Vorschriften für eine bedarfsgerechte Personalausstattung gibt und die Stationen und Bereiche oft dramatisch unterbesetzt sind, greifen die Beschäftigten in Berlin jetzt zu dem Instrument Tarifvertrag, um ihre Gesundheit zu schützen und mehr Personal durchzusetzen“, sagte Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand und für das Gesundheitswesen zuständig. Trotz vieler Lippenbekenntnisse habe der Bundesgesundheitsminister die entscheidende Maßnahme zur Entlastung des Klinikpersonals unterlassen. „Mit der PPR 2.0 hat ver.di gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat ein Instrument zur bedarfsgerechten Personalbemessung vorgelegt. Doch statt die PPR 2.0 rasch und verbindlich einzuführen, hat Minister Spahn die Lösung für das drängende Problem der ständigen Überlastung vertagt. Damit verstreichen wertvolle Jahre, obwohl alle Anstrengungen unternommen werden müssten, um Pflegepersonen im Beruf zu halten und sie wieder in den Beruf zurückzuholen.“
Die für einige Krankenhausbereiche beschlossenen Pflegepersonaluntergrenzen seien völlig unzureichend. „Die Untergrenzen wurden eingeführt, damit kein Patient zu Schaden kommt. Sie gewährleisten weder eine gute und sichere Versorgung noch bringen sie die so notwenige Entlastung für die Pflegepersonen“, so Bühler weiter. „Die Beschäftigten in den Kliniken lassen sich nicht länger vertrösten. “ Überall dort, wo sich Beschäftigte dafür organisieren, mehr Personal durchzusetzen, werde ver.di sie mit aller Kraft unterstützen. „ver.di kümmert sich um bessere Arbeitsbedingungen. Die Verantwortung für eine gute Patientenversorgung liegt klar bei der Politik. Deshalb braucht es eine politische Lösung – also bedarfsgerechte gesetzliche Personalvorgaben für alle Bereiche der Krankenhäuser – um die Situation flächendeckend zu verbessern.“ Bei den anstehenden Bundes- und Landtagswahlen biete sich die Chance, für entsprechende parlamentarische Mehrheiten zu sorgen.
Die Beschäftigten bei Vivantes und Charité waren in dieser Woche in einen dreitägigen Warnstreik getreten, an dem sich zeitweise über 700 Kolleginnen und Kollegen beteiligten. Bei Vivantes musste der Warnstreik vorübergehend ausgesetzt werden, weil der kommunale Klinikbetreiber vor dem Arbeitsgericht eine Einstweilige Verfügung dagegen erwirkt hatte. Nachdem das Gericht diese wieder aufhob, fuhr ver.di den Ausstand wieder hoch. Bei den Vivantes-Tochtergesellschaften, deren Beschäftigte eine Bezahlung nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) einfordern, konnte der Warnstreik erst nach einer Einigung über eine Notdienstvereinbarung vor dem Arbeitsgericht beginnen. Bühler: „Ich hoffe sehr, dass die Vivantes-Geschäftsführung jetzt endlich mit ver.di am Verhandlungstisch eine Lösung sucht, statt mit juristischen Winkelzügen ihre eigene Belegschaft gegen sich aufzubringen.“ Die Belegschaften von Vivantes und Charité hätten mit ihren beeindruckenden Warnstreiks gezeigt, dass die Beschäftigten der Krankenhäuser nicht länger bereit seien, die unzumutbaren Arbeitsbedingungen hinzunehmen. „Die Gesundheitsbeschäftigten im ganzen Land schauen dieser Tage nach Berlin.“
Mit Blick auf die Auseinandersetzung um eine Bezahlung nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) in den Vivantes-Tochtergesellschaften betonte Bühler: „Alle Beschäftigtengruppen werden gebraucht, damit die Krankenhäuser gut funktionieren. Sie alle brauchen gute Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung.“ Doch nicht nur in Berlin lagerten Klinikbetreiber immer mehr Tätigkeiten an Tochtergesellschaften oder externe Firmen aus, um Tarifverträge zu umgehen. „Die Aufspaltung der Belegschaften erschwert die Zusammenarbeit und schadet der Versorgungsqualität. Es muss endlich wieder gelten: ein Betrieb, eine Belegschaft, ein Tarifvertrag.“ Sie verwies darauf, dass die Servicekräfte im Klinikum Nürnberg erst kürzlich durch viele Aktionen und Streiks erreicht haben, dass ihre Gehälter und Arbeitsbedingungen bis 2024 an den TVöD angeglichen werden. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – das muss auch bei Vivantes und allen anderen Krankenhausträgern gelten.“
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Roter Morgen steht hinter den streikenden Kollegen/-innen und fordert:
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit in allen Krankenhäusern!
Für eine gesetzlich verankerte Notdienst-Regelungen!
Für einen tariflich verankerten Entlastungsvertrag!
Für die Schaffung von mindestens 1000 weiteren Stellen für Pflegekräfte an den landeseigenen Berliner Kliniken!
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