Redaktion – 16. Oktober 2020
Mehr Fakten zur Räumung des besetzten Hausprojektes »Liebig34« und zu bestimmten Kommentaren in den Sozialen Medien.
ROTER MORGEN berichtete am 11. Oktober unter dem Titel »Polizei im Einsatz für eine Stadt der Reichen « über die gut inszenierte Räumung des Hausprojektes »Liebig34«, in Berlin-Friedrichshain durch die Berliner Landesregierung. Zwischenzeitlich sind noch weitere Fakten im Zusammenhang mit diesem „Schauspiel“ bekannt geworden.
”In der Nacht vor der Räumung stand ein Polizist oben auf dem Dach des Hausprojekts Liebig 34. Breitbeinig, mit nach oben gereckten Armen posierte er offenbar für die Kameras seiner Kollegen auf den Nachbardächern. Wenige Stunden später wurden Beamte dabei beobachtet, wie sie Selfies vor dem da schon geräumten Haus machten. Klar, gerade wenn es gegen ein anarcha-queer- feministisches Projekt geht, mag es in der männlich dominierten Polizei en vogue sein, zu demonstrieren, wer den Längsten hat. Die Fotos dürften mittlerweile in den eingängigen Chatgruppen der Polizei kursieren.” Schrieb die »taz« am 13. Oktober.
Der Öffentlichkeit wurden aber ganz andere Bilder präsentiert. Die Berliner Polizei leitete die Berichterstattung gleich „in die richtigen Wege“. Deren Pressesprecher geleitete eine Truppe von Journalisten durch das frisch geräumte Haus. Anfangs um die Barrikaden aus Holz und Beton im Treppenhaus zu zeigen, die seine Kollegen aufbrechen mussten, doch dann durfte die Presse, teils per Livestream im Internet, teils als Fotodokument, auch Küchen und Schlafräume ablichten. Pikiert berichteten später nicht nur Boulevardmedien von schmutzigem Geschirr, Essensresten in den Küchen und gammeligen Matratzen.
Ja, ekelerregend sind die Fotos tatsächlich. Aber aus einem ganz anderen Grund. Denn hier wird ein Lebensstil ganz gezielt in Abrede gestellt. Hier wird durch die Macht der Bilder die Behauptung aufgestellt, die Liebig34 sei tatsächlich das „Drecksloch“, als das es, dank der Steilvorlage der Polizei, von einschlägigen rechten und bürgerlich spießigen Gruppen und Einzelpersonen im Internet verunglimpft wird. Auch einige Mitglieder von Gruppen, in denen ROTER MORGEN seine Artikel vostellt, kotzten sich kräftig aus und zeigten ihr unsolidarisches und aggressives Gesicht.
So schreiben z.B.
Jürgen S.:
Welche „Leidenschaft? Die „Leidenschaft“ mit Ratten im Müll zu leben und 1 x im Monat sich Geld vom Jobcenter zu holen?
Richard K.:
Diese Asozialen sollen erst mal arbeiten und nicht auf Kosten des Staates iffen und saufen!Franz H.:
Erst mal ins Arbeitslager mit dem Gesindel und dann alle Mieten und die Zerstörung des Gebäudes an die Eigentümer zurück bezahlen!
Torsten I.:
(…) Ich finde es nur merkwürdig wieso es Menschen gibt die denken das immer andere für ihre Unterkunft zahlen müssten. Entweder die kaufen sich ein Haus oder mieten es. (…)
Michael B.:
Ich weiß nicht, ob ich die Krawall-Rhetorik dieses Artikels erschreckend oder einfach nur lächerlich finden soll.
Nicht wegen des Küchenputzplans geräumt
Als ob irgendjemand erwartet hätte, dass die Bewohner ihr Haus besenrein und am besten noch frisch tapeziert, dem Gerichtsvollzieher übergeben würden. Dass das Haus vor dem monatelangen angekündigten Polizeieinsatz wesentlich wohnlicher aussah, zeigen mittlerweile ältere Bilder, wie diese auf Twitter:
Doch selbst, wenn es so gewesen sein sollte, dass der Einrichtungsstil in der «Liebig34« nicht den Ansprüchen von „Schöner Wohnen“ oder dem neusten Ikea-Katalog entsprochen hat. Selbst, wenn das Bad nicht, wie bei den ach so sauberen Nachbarn, stündlich mit ökologisch korrektem Desinfektionmitteln keimfrei gepudert wurde. Geht das irgendjemanden etwas an? Ist es die Aufgabe der Polizei, solche Bilder zuzulassen? Und vor allem: Ist das ein Grund dafür, die Menschen auf die Straße zu setzen?
„Nein. Nein. Und nochmals nein. Das Haus wurde nicht geräumt, weil der Spülplan in der Gemeinschaftsküche nicht eingehalten oder die Bettwäsche keinen Persilschein hatte.“ schreibt die taz. „Das Haus wurde nicht mal geräumt, weil es im näheren Umfeld immer wieder zu Attacken gegen Polizisten, Autos und auch andere Häuser in der Nachbarschaft gekommen ist. Es wurde geräumt, weil der Wert von Eigentum von Gesetzgebern und Richtern höher bewertet wird als das Recht auf Wohnen. Anspruch auf Privatsphäre Das heißt: Der Zustand im Inneren des Hauses war für den Polizeieinsatz vollkommen irrelevant. Wenn die Polizei dennoch aktiv dafür sorgt, dass Bilder aus den Wohnungen für jeden zugänglich werden, dann dient das allein der öffentlichen Erregung, auf dass sich die feine Gesellschaft in einem orgastischen Ah-Oh-Ih-Gestöhne ergötzen kann.“
Diese, in den bürgerlichen Medien und Lügenblogs, veröffentlichten Bilder (Beispiel: »POLITIKstube« und »alternativePresseshau«) machen blind und schüren Hass. Sie sollen vom eigentlichen Skandal ablenken und fördern eine gewollte Entsolidarisierung: Es ist in Deutschland möglich, Menschen vor die Tür zu setzen, auch nach jahrzehntelanger Nutzung eines Hauses, einer Wohnung, wenn sie den Renditeinteressen eines Eigentümers im Wege stehen. Und das droht vielen Mieter, genauso wie den 50 auf die Straße gesetzten Bewohnern der »Liebig34«, auf die jetzt die Presse und die bürgerlich rückständigen Spießeranz im Sinne der Herrschenden, mit dem Finger zeigen! Wohnungslos können wir alle in kürzester Zeit werden, der soziale Abstieg ist im Kapitalismus vorprogramiert – es seie denn, wir wehren uns gemeinsam und nehmen unsere Geschicke selbst in die Hand. Die mutigen Bewohner der »Liebig34« haben einen Anfang gemacht daraus können wir alle lernen!
ROTER MORGEN bleibt am auch in diesem Fall am Ball und unterstützt durch seine Berichterstattung, durch das Aufdecken von Schweinereien, Ungerechtigkeiten und durch die Lieferung Hintergrundinformationen.
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Erst wenn das letzte Haus geräumt, der letzte Freiraum genommen, die letzte Wohnung dem freien Markt übergeben ist, werdet ihr merken, dass der Kapitalismus ‘ne verdammt blöde Idee ist.
Nachdem die letzte Betonbarrikade in der Liebigstraße 34 durchbrochen, der letzte Besetzer beziehungsweise Besetzerin von der Polizei hinausgeführt, aber noch längst nicht die letzten Autos in dem folgenden Vergeltungsfeldzug angezündet waren, liefen Bilder durch die sozialen Medien, die Einrichtungsdetails des laut Selbstdefinition „einzigartigen Freiraums“ in dem gut 30 Jahre lang besetzten Haus zeigten.
Um es gleich zu sagen: Bei den Aufnahmen einer zerschlissenen Schlafmatratze und eines über Wochen oder Monate gewachsenen Abwaschstapels in der Spüle handelte es sich zwar um authentische Fotos, die stammten allerdings nicht aus der Liebigstraße 34, sondern aus der schon älteren Werbung eines Unternehmens, das so genannte Messi-Wohnungen räumt und wieder herrichtet.