Berlin: Polizei im Einsatz für eine Stadt der Reichen

Redaktion – 11. Oktober 2020

Zur Räumung des besetzten Hausprojektes »Liebig34« in Berlin-Friedrichshain

Am Freitag, 9. Oktober, hat der Berliner Senat wieder einmal sein brutales Gesicht, im Einsatz für eine Stadt der Reichen, gezeigt. Das beliebte Hausprojekt in der Liebigstraße 34, im Traditionsstadtteil Friedrichshain, wurde mit einer unvorstellbaren Brutalität von der Polizei geräumt.

Es fühlt sich unfassbar an, diese Worte in die Tasten zu tippen: ”Die Liebig34« ist geräumt. schreibt einer der Bewohner. Und weiter:

Um 7:00 begannen Robocops an Zäunen, Türen, Fenster und Barrikaden zu sägen und zu flexen. Gegen 11:00 Uhr wurden dann auch die letzten Bewohner/innen der »Liebig34« aus den Räumen gezerrt.
 Wir sind traurig. Wir weinen. Wir sind erschöpft. WIR SIND WÜTEND! 
Sie können nicht ahnen, welche Entschlossenheit sie in uns geweckt haben. Dieser Akt der Gewalt wird in einem Akt der Gegengewalt und Selbstverteidigung explodieren. Schon so viel Solidarität ist in den letzten Nächten, Monaten, Jahren passiert und hat gezeigt, was wir in der Lage zu tun haben. Diese Räumung ist ein Moment der Radikalisierung. Wir können ihn nutzen und gemeinsam unseren Hass auf diese Scheiße Ausdruck verleihen.
 Auch, wenn sich jetzt die Presse, Politiker/innen, Bullen und Nazis an unserem Verlust ergötzen, lassen wir die Ohnmacht zu Wut werden! So viele Grenzen sind überschritten worden. Wir schreien euch NEIN in eure gehässigen Fressen. Unser Haus könnt ihr haben, unsere Leidenschaft kriegt ihr nie! Wir sind so viel mehr als dieses Haus – wir sind Anarchist*innen, Feminist*innen, Queers und Antifaschist*innen, die jetzt ihren Wut bündeln und das kapitalistische Patriarchat bis zuletzt angreifen werden.“

Ein Bündnis von Berliner Mieterinnen und Mietern kämpfen seit Jahren für den Erhalt des Hausprojektes und wollen nicht, dass 40 Menschen kurz vor dem Winter und mitten in einer globalen Pandemie ihr Zuhause verlieren, nur damit der berüchtigte Vermieter „Padovicz“ seine Profite steigern kann.

Ende des Hausprojekts Liebig34 in Berlin-Friedrichshain. Photo: Björn Kietzmann, Quelle YouTube

Der Padovicz Gruppe gehören dutzende Häuser in Friedrichshain und hunderte in Berlin, der Enteignungskandidat quetscht jeden Cent aus den Mieter/innen, betrügt mit öffentlichen Investitionen, lässt Häuser leerstehen und bewohnte Häuser verfallen. Zudem vermietet er auch Häuser an die AfD.

Der Berliner Senat, bestehend aus SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen steht auf der falschen Seite, wenn er den gesamten Friedrichshainer Nordkiez zur Hochsicherheitszone erklärt, Grundrechte aushebelt, Nachbar/innen terrorisiert und das alles für die Profite einiger Weniger, die eh schon zu viel haben.

1.500 Einsatzkräfte der Polizei waren am Freitag auf den Straßen Berlins unterwegs: Zwei Räumpanzer, drei Bagger, ein Unimog (Universal-Motor-Gerät bzw. Klein-LKW), NATO-Draht auf dem Dach und viel Technik sind abgestellt. Und wofür? Um ein einzelnes linkes Wohnprojekt dem Berliner Wohnungsmarkt zuzuführen.

Seit der Berliner Senat vor dreißig Jahren die Liebig34 legalisiert hatte, zog er sich Schritt für Schritt aus der Verantwortung zurück und lässt nun der staatlichen VermieterInnen- Privatarmee freie Hand.

„Die Polizei ist nichts weiter als ein Exekutiv-Organ mit Gewaltmonopol zur einseitigen Klärung der Eigentumsfrage im Berliner Wohnungssektor.“ Schreibt das Bündnis.
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„Rechtsstaat“ bedeutet Gewalt

Gern wird nun argumentiert, mit der Räumung werde Recht gesprochen und der Rechtsstaat walte seines Amtes. Doch Recht ist niemals objektiv, sondern Ausdruck gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, die sich klar auf der Seite rücksichtsloser Privataneignung befinden: Häuser werden geräumt, saniert und für Abermillionen weiterverkauft.

Die »Liebig34« ist Ausdruck einer Stadt der Reichen und stellt nur die Spitze des Eisberges aus Zwangsräumen, Mietenwahnsinn und Wohnungsnot dar.

Verantwortlich für die Räumung des feministischen Hausprojekts »Liebig34« ist neben dem Berliner Senat der Unternehmer Gijora Padovicz. Er besitzt Hunderte Häuser in Berlin und ist alleinig an seinem Profit interessiert.
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Ab in die Obdachlosigkeit

In einem offenen Brief warnte das »Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn« bereits am Mittwoch vor einem »Ausnahmezustand«, in den die Polizei den Kiez versetzen werde. An die Berliner Landesregierung aus SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen gerichtet hieß es, das Menschenrecht auf Wohnen gelte auch für Anarchistinnen und radikale Feministen. Wie viele andere linke Gruppen rief auch das Bündnis dazu auf, gegen Leerstand, Zwangsräumungen und Eigenbedarfskündigungen aktiv zu werden.

zum Offenen Brief »

Offener Brief: Recht auf Wohnen garantieren — Leerstand beschlagnahmen

Jedes Jahr werden ca. 5.000 Zwangsräumungen in Berlin vollzogen.
Manchmal gibt es Protest. Die meisten geschehen aber so still und leise, dass es nicht einmal die Nachbar/innen mitbekommen. Für die Betroffenen endet diese brutalste Form der Verdrängung häufig in der Wohnungslosigkeit oder Obdachlosigkeit. Günstigen Wohnraum finden die wenigsten danach.
Am 9. Oktober wird dies anders sein. Das anarchistische, queer-feministische Hausprojekt in der Liebigstraße 34 in Berlin-Friedrichshain mit 40 Bewohner:innen, einem Veranstaltungsraum und einem Infoladen soll geräumt werden. Nur zum Vergleich, selbst das große Modellprojekt des Senats gegen Wohnungslosigkeit „Housing First“ will innerhalb von 3 Jahren nur 40 Menschen unterbringen.

Ein Großaufgebot der Polizei wird vermutlich den Kiez in den Ausnahmezustand versetzen und viele Anwohner:innen in ihrem Alltag stören. Ein ähnliches Szenario bot sich vor Kurzem den entnervten Bewohner/innen im Neuköllner Schillerkiez bei der Räumung der Kneipe Syndikat. Der ganze Einsatz soll aber nicht als krasser Angriff auf die Interessen der Berliner Mieter/innen gesehen werden, sondern wird als ein Beispiel für rot-rot-grüne Sicherheitspolitik verkauft. Denn seit Jahren werden im Friedrichshainer Nordkiez in einen sogenannten
 „Gefahrengebiet“ grundlegende Bürgerrechte außer Kraft gesetzt, begleitet von einer entsprechenden Medienkampagne. Das Einrichten der sogenannten „roten Zone“ setzt dem ganzen die Krone auf. Weder Demonstrations- noch Bewegungsfreiheit sollen hier ihren Platz finden.
Die Schließung einer Grundschule und einem halben Dutzend Kitas werden ebenfalls in Kauf genommen.

Auch wir fühlen uns unsicher, aber nicht wegen militanter politischen Aktionen in einem kleinen Kiez, sondern wegen des alltäglichen Mietenwahnsinns in ganz Berlin. Auch dieses Jahr wird der Wohnungsnotstand nicht behoben. Neuvermietungspreise steigen weiter, Wohnungen werden in Eigentum umgewandelt und Mieter:innen werden wegen Eigenbedarfs aus ihren 4-Wänden geklagt.

Einer der treibenden Akteure ist der Immobilienspekulant Padovicz. Ihm gehört nicht nur die Liebig34, sondern insgesamt mehrere tausend Wohnungen in ganz Berlin. Darunter sind auch die (weitest-gehend) leer stehenden Objekte in der Hauptstraße 1 in Lichtenberg, der Kröllstraße 12 in Alt-Treptow und der Weidenweg 63 in Friedrichshain. Nun soll die Liebigstraße 34 diesen beeindruckenden Leerstand ergänzen.

Es ist kein Zufall, dass in einer Stadt mit chronischer Wohnungsnot 40 Mieter:innen aus ihrem Wohnhaus geräumt werden, während der Konzern eines Milliardärs, ganze Häuser leer stehen lässt. Ganz offenbar ist dies die Logik des Marktes. Eine Logik, der wir uns nicht fügen sollten.
Stattdessen fordern wir eine lösungsorientierte Politik, die sich nicht zum Spielball von Investoreninteressen macht.

Hinzu kommt, dass die Infektionszahlen an COVID-19 Erkrankten rasant steigen, die kalte Jahreszeit hat begonnen und sowohl Kältehilfe als auch Notunterkünfte für Wohnungs- und Obdachlose sind auf die Pandemie längst nicht ausreichend vorbereitet. Im April 2020 hat diese Erkenntnis zu einer generellen Aussetzung aller Zwangsräumungen geführt. Nun verkündet der Senat stolz, dass lediglich landeseigene Unternehmen keine Zwangsräumungen mehr durchführen. Von solchen PR-Gags haben wir genug.

Wir fordern den Berliner Senat auf das Menschenrecht auf Wohnen zu garantieren und damit der Berliner Verfassung Geltung zu verschaffen.
Wir erinnern daran, dass diese Rechte universell sind, sie gelten auch für Anarchist/innen und radikale Feministen/-innen.
Die Zwangsräumung der »Liebig34« und alle weiteren Zwangsräumungen müssen ausgesetzt und abgeschafft werden. Stattdessen muss der Leerstand beschlagnahmt und wieder vermietet werden.

Das Berliner Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn ruft alle Gruppen und Initiativen auf gegen Leerstand, Zwangsräumungen und Eigenbedarfskündigungen aktiv zu werden. Wir wollen gemeinsam mit allen Mieter/innen dieser Stadt daran arbeiten, dass soziale Brandstifter wie Padovicz endlich enteignet werden. Wohnraum darf keine Ware bleiben.“


Gemeinsam gegen den Staat des Kapitals Wut in Stärke zu verwandeln

Die Wut der Bewohner/innen und Sym­pathi­santen der »Liebig«34, deren Geschichte nach mehr als 30 Jahren zu Ende gegangen ist, ist verständlich. Dutzende Demonstrationen, spektakuläre Aktionen wie die Besteigung des Molecule-Man, Allianzen mit der etablierten Kulturszene oder ausdauernde juristische Bemühungen zeugen von einem bedingungslosen Engagement für den Erhalt ihres Projekts. All dies blieb ohne jeden Erfolg. Übrig blieb nur noch die Wut.

Jetzt kommt es darauf an die Wut in Stärke zu verwandeln und zu erkennen das Spekulieren mit Wohnraum und die Schröpfung der Mieter, nur ein Teil der täglichen Unterdrückung und Ausbeutung durch die Herrschenden, mit ihrem Monopol auf Gewalt ist! Jegliche Ungerechtigkeit, die tägliche Ausbeutung der Arbeiter in den Betrieben, Umweltverschmutzung und Kriege haben ihre Uraschen im kapitalistischem System. Deswegen müssen wir alle aufstehen – Metaller im Betrieb und in der Gewerkschaft, Obdachlose, Hausbesetzer, Umweltschützer, Friedenskämpfer, H4-Empfänger – Frauen, Männer, In- und Ausländer – gemeinsam gegen das Kapital und für ein vereintes, unabhängiges und sozialistisches Deutschland!

ROTER MORGEN bleibt am auch in diesem Fall am Ball und unterstützt durch seine Berichterstattung, durch das Aufdecken von Schweinereien, Ungerechtigkeiten und durch die Lieferung Hintergrundinformationen.

 

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Lest dazu auch:

»Liebig34«: Täuschungsmanöver zur Entsolidarisierung der Öffentlichkeit

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4 Kommentare

  1. Hier sollten sich einige KommentatorInnen mal näher Gedanken zu den Begrifflichkeiten ‚legal‘ und ‚legitim‘ machen und zu den Auswirkungen „legaler“ politischer Vorgehensweisen, die uns z.B. die AFD in den Bundestag gebracht haben.
    Vielleicht fällt dann irgendwann mal der Groschen, dass es in Gesellschaften vor allem um moralische Legitimation einzelner Entscheidungen geht, wenn das Leben nachhaltig für alle besser werden soll.
    Oder finden die selben Leute, die hier gegen linke Hausbesetzis wettern, es auch in Ordnung, dass zig Tausende flüchtende Menschen im Mittelmeer ertrinken oder in lybische Internierungslager ‚zurückgeführt‘ werden, weil EU Recht das bewusst legalisiert hat?

  2. Eigentum verpflichtet……? – die Legislative, die Judikative und die Exekutive zur „Solidarität“ (in diesem Fall bedeutet Solidarität einfach Abhängigkeit, gelinde ausgedrückt) mit den Besitzenden. 40 Leute vor dem Winter auf der Straße, während die Entscheidungsträger und Durchsetzer vor dem warmen Ofen sitzen und ihren Erfolg feiern. Die Menschlichkeit bleibt auf der Strecke und damit auch die Gerechtigkeit. Kapitalismus ist eine gefährliche Krankheit – Gier frisst Hirn und zerstört nicht nur die Gesellschaft, sondern die ganze Erde.

  3. Erfüllungsgehilfen von Spekulanten und Immobileinhaien, die Häuser läßt man verfallen und Menschen sitzen auf der Straße, weil sie sich keine horrenden Mieten leisten können. Eigentum verpflichtet, GG

  4. Die privaten Wohnungsgesellschaften in demokratisches Gemeineigentum überführen!

    Von Reinhold Schramm

    »Steigende Mieten. Berliner Häuserkampf. Von Daniel Gräber am 9. Juni 2021.
    Mieterinitiativen und Politaktivisten demonstrieren gegen „Miethaie“ und „Spekulanten“ und fordern die Enteignung von Immobilienbesitzern. Vermieter werden zum Feindbild, Privateigentum zum Problem: In der Hauptstadt eskaliert die Wohnungsdebatte. Dahinter steckt eine gefährliche Strategie.«

    Vgl. CICERO *

    Kommentar

    Aspekte der künftigen demokratischen Gesellschaftsformation.

    Nicht die Zerstörung der Paläste, sondern die Enteignung und Überführung in demokratisches Gemeineigentum ist die Aufgabe. Ebenso, demokratisches Gemeineigentum an den gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsmitteln. Gemeineigentum an Grund und Boden, Luft und Wasser, Rohstoffen und Bodenschätzen, Tier -Natur- und Pflanzenwelt.

    Auf der Grundlage des Gemeineigentums an gesellschaftlichen Produktionsmitteln die Schaffung einer sozial-ökonomischen und sozial-ökologischen Kreislaufwirtschaft. Langlebigkeit der Produktionsmittel und Produkte und deren Wiederverwendung und Zuführung für die künftige ökologische Kreislaufwirtschaft.

    PS: Villen und private Wohnanlagen werden sozialen Einrichtungen zur Verfügung gestellt bzw. dementsprechend umgewidmet. Heutige Wohnungskonzerne werden in demokratisches Gemeineigentum überführt.◄

    [Bei Rechtsbrüchen, Korruption und Vetternwirtschaft, gegebenenfalls die Todesstrafe, unabhängig von der bisherigen gesellschaftlichen Stellung.]

    * Vgl. Steigende Mieten – Berliner Häuserkampf | Cicero Online
    https://www.cicero.de/wirtschaft/steigende-mieten-berliner-hauserkampf/plus

    11.06.2021, R.S.

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