Wir trauern um Deniz Poyraz, Gefallene sterben nicht!

Erdal Eren* für RoterMorgen – 19. Juni 2021 

Die durch Schüsse aus der Waffe eines türkischen Faschisten in Izmir getötete HDP-Aktivistin, die Kurdin Deniz Poyraz, ist von insgesamt sechs Kugeln getroffen worden. Das geht aus dem Tatortbefundbericht der Polizei hervor, den die Nachrichtenagentur Mezopotamya einsehen konnte.

Vier Schüsse trafen die 38-jährige Genossin Deniz Poyraz im linken Bein, eine weitere Kugel traf den rechten Unterschenkel. Deniz Poyraz war am Donnerstag bei einem Anschlag auf, die rund um die Uhr, von der Polizei überwachten HDP-Zentrale in Izmir ermordet worden.

„Wir sind alle Deniz, wir sind alle HDP“

Wie die Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) aus dem Tatortbefundbericht weiter zitiert, hat der 27 Jahre alte Täter Onur Gencer unter anderem die verschlossene Tür des Büros der Ko-Vorsitzenden des HDP-Provinzverbands durch Schüsse auf das Schloss entriegelt. Anschließend wurden der Raum und weitere Büros verwüstet, alle Fensterscheiben sind zerbrochen worden. Einen weiteren Schuss gab der Faschist auf ein Bild der inhaftierten kurdischen Politikerin Sebahat Tuncel ab.
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Täter wollte seit Kindheit „PKK-Mitglieder“ töten

Bild Aus dem Instagram-Account des faschistischen Mörders Onur Gencer

Unterdessen werden immer mehr Informationen über den Täter bekannt. Schon seit seiner Kindheit plante er, „PKK-Mitglieder zu töten“, zitierte das türkische Format der Deutschen Welle am Donnerstag aus dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll von Gencer. Die HDP-Zentrale als Anschlagsziel habe er bereits seit letztem Januar ausgewählt. Um das insgesamt achtstöckige Gebäude besser auskundschaften zu können, schrieb er sich für einen Englisch-Kurs in einem Sprachinstitut, in der Etage über der HDP-Zentrale ein. Mehrmals sei er auf Erkundungstour gewesen, im Mai habe er dann bei der Bezirkspolizeidirektion Gaziemir einen Waffenschein beantragt und diesen auch bekommen. Die Ruger-Schusswaffe, die Gencer bei dem Anschlag offenbar benutzte, soll er sich für umgerechnet etwa 340 Euro besorgt haben. Der Mann habe gegenüber der Polizei angegeben, insgesamt zehn Kugeln in der HDP-Zentrale abgefeuert zu haben: „Mein Ziel war es, mehrere Personen vorzufinden. Allerdings befand sich vor Ort nur eine Person.“ Bei dem Täter handelt es sich um einen offenkundigen Faschisten, der im Internet Fotos von sich aus Minbic und Aleppo in Nordsyrien gepostet hat. Die HDP geht von einem „organisierten Anschlag“ aus, in den staatliche Stellen involviert seien. Im Vorstand des Thermal-Hotels in Balçova etwa, wo der angeblich „arbeitslose“ Faschist regelmäßig eincheckte, sitzen der Provinzgouverneur von Izmir, Yavuz Selim Köşger, sowie dessen drei Stellvertreter. Mittlerweile sitzt Gencer in Untersuchungshaft.
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Staatliche Hetze gegen HDP

Der HDP-Vorsitzende Mithat Sancar erklärte gestern, dass in dem Parteigebäude in Izmir am Tag des Anschlags eine Vorstandssitzung mit etwa vierzig Personen stattfinden sollte. Die Zusammenkunft sei aber kurzfristig verschoben worden. „Es ging also nicht nur darum, irgendeine Person zu ermorden. Es sollte ein Massaker stattfinden“, so Sancar. Das habe auch eine anschließende Tatortbegehung von HDP-Mitgliedern gezeigt. Es seien nicht nur ein bis zwei gezielte Schüsse abgegeben worden, die Schäden in den Räumlichkeiten deuteten auf einen Dauerbeschuss hin, mit dem alle Anwesenden getötet werden sollten. Auch Videoaufnahmen der HDP-Zentrale, die MA veröffentlicht hat, deuten darauf hin. Weiter erklärte Sancar, dass es sich bei dem Anschlag gleichzeitig um eine gefährliche Provokation handele: „Wir sagen das seit Monaten: Die Regierung ernährt sich von Chaos und will die demokratische Opposition mit Drohungen und Erpressung zum Schweigen bringen. Die HDP soll mit allen Mitteln eingeschüchtert werden. Dieses Ziel wird mit dem Kobanê-Prozess und dem Verbotsverfahren gegen die HDP verfolgt. Diejenigen, die auf juristischem und politischem Weg nicht mit uns fertig werden, haben jetzt bewaffnete Mörder zum Einsatz gebracht.“
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Oberbürgermeister Tunç Soyer: „Diese Kugel galt uns allen“

Oberbürgermeister Tunç Soyer (CHP) sagte in seiner Ansprache: „Diese Kugel galt nicht nur der HDP und den Kurden. Sie wurde auf uns alle abgefeuert, auf unsere Geschwisterlichkeit und unsere Einheit. Wir werden nicht sterben, wir werden gemeinsam und geschwisterlich eine schöne Türkei gründen. Mein Mitgefühl gilt uns allen.“

Tausende Menschen kamen zur Beerdigung der Genossin Deniz Poyraz

Im Anschluss wurde der Leichnam zum Friedhof in Buca begleitet. Dem Leichenwagen folgten Tausende Menschen, viele von ihnen trugen Schilder mit der Aufschrift „Wir sind alle Deniz, wir sind alle HDP“. Der Friedhof wurde von Tausenden Sicherheitskräften mit Panzerwagen belagert. Bei der Ankunft am Friedhof nahmen Frauen den mit lila Tüchern und Nelken geschmückten Sarg auf die Schultern und trugen ihn zum Grab, während das berühmte Lied „Sê jinên azad“ (Drei freie Frauen) von Delîla gespielt wurde.
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„Gefallene sterben nicht!“

Zweien der drei inhaftierten Brüder von Deniz, Süleyman und Ibrahim Poyraz, war die Teilnahme an der Beerdigung genehmigt worden. Kamuran Poyraz bekam keine Genehmigung. Während der Leichnam von Deniz Poyraz beigesetzt wurde, riefen die Anwesenden: „Gefallene sterben nicht!“
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Erklärung der Arbeiterpartei der Türkei (EMEP)

Deniz Poyraz, ein HDP-Mitglied und Parteimitarbeiterin, starb bei einem bewaffneten Angriff auf das Gebäude der Provinzorganisation der Demokratischen Volkspartei (HDP) in İzmir. Dieser Angriff ist das Ergebnis einer feigen Provokation und wir verurteilen ihn aufs Schärfste.

Es sollte nicht die Frage gestellt werden, wer der Schütze ist, sondern woher er diese Macht hat und auf welches politische Klima er sich stützt.

Die HDP ist seit Monaten das Ziel des regierenden Blocks. Jedes Mal, wenn die Regierungssprecher den Mund aufmachen, schütten sie einen Befehl nach dem anderen aus, um die HDP zu verbieten. Die Justiz eröffnet parallel zu den Diskursen der politischen Macht ein Verbotsverfahren.

Die HDP wird in den herrschenden Medien einem politischen Lynchmord unterworfen, aber die HDP-Sprecher bekommen keine Chance, sich öffentlich zu verteidigen.

Diejenigen, die dieses Klima des Hasses schaffen, sind für die unverhohlenen Provokationen verantwortlich.

Wir möchten daran erinnern, dass ähnliche Provokationen in Ankara während der Anhörungen zum „Fall Kobane“ stattgefunden haben.

Diese Angriffe auf die HDP, die die drittgrößte Partei in der Großen Nationalversammlung der Türkei (TBMM) ist, sind ein Schlag gegen das Recht, sich politisch zu engagieren und gegen die politischen Freiheiten.

Die Ein-Mann-Herrschaft hat versucht, jeden sozialen Kampf durch die HDP zu kriminalisieren.

Was die bandenmafiöse Herrschaftsordnung dem Land angetan hat, sollte zusammen mit diesem gravierenden Ereignis betrachtet werden.

Die Kräfte der Arbeit und der Demokratie sollten die Solidarität gegen solche Angriffe und Provokationen, die von einem Zentrum ausgehen, erhöhen. Denn das Wesentliche sind die Forderungen des Volkes nach Arbeit, Brot, Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit.

Nicht nur der Schütze, sondern auch die Anstifter des Anschlags müssen gefunden werden, dieses dunkle Komplott muss aufgedeckt werden und alle Verantwortlichen müssen vor Gericht gestellt werden.“

.* = Unsere Unterstützer/innen und Informanten aus der faschistischen Türkei müssen täglich mit Repressalien, Haft und Folter rechnen, wenn sie kritisch über die aktuellen Zustände in ihrem Land informieren. Aus diesem Grunde nennen wir stellvertretend statt ihre Namen den Namen unseres Genossen Erdal Eren der am 13. Dezember 1980, im Alter von 17 Jahren von der türkischen Militärjunta ermordet wurde. Wir werden Erdal nie vergessen und kämpfen in seinem Sinne weiter!
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2 Kommentare

  1. Und die europäer schauen zu und schweigen.
    Statt solidarität mit der HDP und Anmahnung an der Adresse der türkische Regierung ; will jetzt die europäische Komissarin sogar der faschisten Erdogan finanziel bei Seite stehen.

  2. Es ist eine Schande wie die EU mit zweierlei Maß an Ereignisse rangeht und reagiert bei Russland und Weißrussland wird mit Sanktionen reagiert ,wobei es bei Weißrussland auch anders wäre wenn es in der NATO und Verbündeter wie die Türkei wäre , lieber schickt man Milliarden in diesen Staat und stärkt diese defakto Diktatur . Mein Beileid gold der Familie und den Freunden ,an die Mitstreiter gebt nicht auf , seit beständig wie Wasser und Wind ,dem kann auch der härteste Fels nicht wiederstehen .

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