Wer ist Systemrelevant?

Schon bei der Lehman Brothers-Krise 2008/Eurokrise 2009 wurden hauptsächlich nur die Banken gerettet. Daraus wurden natürlich keine Lehren gezogen. Die fallenden Profitraten in der Produktion stachelten die Spekulationen des Finanzkapital nur in noch größerem Ausmaß an. 2020 stand auch ohne das Corona-Virus eine Rezession an. Die „Corona-Krise“ ist eine Wirtschaftskrise, die durch das Virus extrem verschärft wurde. Den Herrschenden kommt das gewissermaßen rechtzeitig, denn so können sie alles auf das Virus schieben.

Auch hier wird es wieder so laufen wie immer, Finanzspritzen für das Großkapital, Beifall klatschen für die, die den Kopf hinhalten.

Der kleine Gastwirt wird keine Zuschüsse oder Kredite erhalten, weil er vor Corona schon Schulden hatte und des halb sein Betrieb nicht „fortführungswürdig“ sei. Jetzt in der Krise zeigt sich noch mehr, wer „sytemrelevant“ ist: Die Pflegekräfte, Krankenschwestern. LKW-Fahrer, Reinigungspersonal, Müllabfuhr,Verkäuferinnen und Erzieherinnen riskieren gerade Gesundheit und Leben, gehen aber oft mit weniger als 2000 Euro netto nach Hause. Sie sind es, die ein System am Laufen halten, das gerade sie oft besonders schlecht behandelt.

Warum arbeiten ausgerechnet jene, die jetzt als Helden gefeiert werden, so oft mit mickriger Bezahlung unter schlechten Bedingungen? Pflegekräfte in Altenheimen und Krankenschwestern bekommen nach 16Jahren im Beruf 3311 Euro – gesetzt den Fall, daß sie überhaupt nach Tarif bezahlt werden.

Die Kapitalisten fliehen seit Jahrzehnten aus der Tarifbindung und drücken sich so vor allgemein verbindlichen Gehältern. Das gilt auch für die „menschenfreundlichen“ Heuchler der Kirchen.

Das Baugewerbe und die Landwirtschaft kommt ohne die Billiglohnsklaven aus Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien nicht mehr aus. Deshalb die Begeisterung der Kapitalistenklasse für die „Globalisierung“.

Systemrelevant? Ein Kunde kauft mit Mundschutz und Handschuhen am frühen Morgen in einem Supermarkt im Berliner Ortsteil Friedenau ein. (Foto: dpa, Quelle: YouTube

Die Corona-Seuche in Italien ging von den ca. 300 000 chinesischen Lohnsklaven im Land aus, die hauptsächlich in der Textilindustrie ausgebeutet werden.

In einer Autofabrik machen die Personalkosten weniger als 20 Prozentaus, in Branchen mit „personenbezogenen Dienstleistungen“, wie etwa Altenheimen, liegen sie bei bis zu 80 Prozent. Wer in solchen Branchen seine Gewinne erhöhen will, der muß Löhne drücken.

Ganz schlimm sieht es im Einzelhandel aus, wo laut Verdi nur ein Drittel des meist weiblichen Personals durch Tarifbindungen abgesichert ist. Nur die Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015 hat verhindert, daß die Stundenlöhne zum Teil bis auf drei Euro fielen.

Vor Altersarmut wird aber auch der Mindestlohn viele Kassiererinnen nicht schützen: Ein Großteil von ihnen muß Teilzeit mit sehr wenigen Stunden arbeiten, obwohl sie gerne mehr Stunden machen würden. DieKapitalisten arbeiten lieber mit vielen kleinen Verträgen und flexibel einsetzbarem Personal.

Viele Systemrelevante können gar nicht protestieren: Polizei und Feuerwehr dürfen ihre Arbeit nicht niederlegen – im sozialen Bereich verweigern außer dem die Kirchen und konfessions gebundenen Verbände ihren Beschäftigten das Streikrecht.

Oft haben die Kassiererinnen, Polizisten keine Schutzmasken oder Schutzkleidung. Dabei sind es gerade sie, die mit Menschenmassen zusammentreffen.

In den schlecht bezahlten systemrelevanten Berufsgruppen ist der Antei lvon Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund besonders hoch. Im Einzelhandel etwa liegt der Frauenanteil bei 70 Prozent. Dann gibt es noch „unsichtbare systemrelevante“ Berufe wie Osteuropäer, die Lkws deutscher Unternehmer durch Europa steuern. Oder osteuropäische Pflegekräfte, die in Deutschland faktisch illegal 24-Stunden-Dienste in geschätzt 300 000 deutschen Privathaushalten machen.
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Wird die Corona-Krise die Lage der systemrelevanten Berufe verbessern?

Nein, im Gegenteil: Der Handelsverband teilte mit, daß man die 2019 vereinbarte Tariferhöhung bis zum Ende des Jahres aufschieben wolle, um in Not geratenen Arbeitgebern zu helfen. Große Teile der Branche– wie Bekleidungs- und Elektronikläden – müssen seit zwei Wochen geschlossen bleiben. Diese Entscheidung trifft auch die Kassiererinnen in den Supermärkten. Es ist zu befürchten, daß nach der Krise ein harter Sparkurs eingeschlagen wird, der gerade systemrelevante Berufsgruppen stark treffen kann.

Es ist zu hoffen, daß diese Berufsgruppen in der Corona-Krise ihren eigenen Wert besser schätzen, sich organisieren und vielleicht auch einmal streiken. Ohne Klassenkampf geht eben nichts im Kapitalismus und es wird so bleiben, solange es Kapitalismus gibt.

Nachfolgend noch Zitate von Marc Friedrich und Volker Pispers:

Der Erfolgsautor und Multicrashprophet Marc Friedrich 2014:

Ich möchte noch etwas zum Thema Systemrelevanz sagen. Systemrelevanz ist ein sehr starkes Wort. Es wird von der Politik, aber auch von der Finanzwirtschaft sehr oft mißbraucht. Was ist denn systemrelevant? Jetzt stellen wir uns mal vor, es ist Montagmorgen. Alle Krankenschwestern, alle Ärzte, die Jungs von Feuerwehr und Müllabfuhr sagen „Nee, wir haben keine Lust, wir kommen mal eine Woche nicht.“

Ich glaube, dann merken wir, was wirklich systemrelevant in unserer Gesellschaft ist. Banken sind nicht systemrelevant. Banken sind schlicht und einfach das System.

Volker Pispers 2004:

Machen Sie folgendes Gedankenexperiment. Stellen sie sich vor, morgen fallen alle Unternehmensberater, alle Investmentbanker und alle Aktienanalysten tot um, oder morgen fallen alle Polizisten, alle Feuerwehrleute, alle Krankenschwestern und alle Altenpfleger tot um. Und überlegen Sie kurz, was Sie persönlich vermissen werden.

Er machte dann noch weiter.

Und jetzt machen Sie sich klar, daß diese degenerierte Gesellschaft die Leute, auf die wir alle irgendwann im Leben mal angewiesen sind, so schlecht bezahlt, daß die sich für ihre Familien kaum noch Wohnungen in deutschen Großstädten leisten können. 


Franz
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