So weitermachen, wie bisher?

Volkskorrespondent Heinz Michael Vilsmeier – 28. Juli 2021

Heinz Michael Vilsmeier

Odysseus befahl, Kirkes Rat folgend, seinen Männern, das sie ihn an den Mast seines Schiffes fesseln und  sie sich selbst die Ohren mit Wachs verschließen sollen. – Die Tochter des Helios hatte vorhergesehen, dass Odysseus nicht fähig sein würde, dem Gesang der Sirenen zu widerstehen. Also hatte sie ihm aufgetragen, dieses zu tun.

Katastrophen, auch private, werfen ihre Schatten voraus. Nicht anders war es, als die Affäre zwischen Kirke und Odysseus ihren Lauf nahm. Die Affäre war übrigens absehbar, noch bevor der Held einen Fuß auf Aiaia, Kirkes kleine Insel, gesetzt hatte. Der Götterbote selbst hatte ihn Kirke angekündigt: Odysseus sollte der sein, dem sie erliegen würde und nach dem sie sich gesehnt hatte. Wäre es allein nach Kirke gegangen, hätte Odysseus ihr Lager nie wieder verlassen. Doch „es war „kompliziert“, wie wir heute sagen würden…

Schließlich blieb Odysseus nichts anderes übrig, als nach einer List zu suchen, wie er, ohne Kirkes Misstrauen zu wecken, ihr entfliehen könne. Aber irgendwie fiel ihm nichts Gescheites ein. Wieder war es der intrigante Götterbote Hermes, der intervenierte: „Entlocke ihr zunächst das Versprechen, dass sie all deine Wünsche erfüllen werde – das Weitere wird sich schon finden!“, raunte er und steckte ihm sicherheitshalber noch einen ordentlichen Beutel Marihuana zu, das ihn immun machte, gegen ihren Zaubertrank. Kirke, nicht ahnend was Odysseus im Schilde führte, versprach was immer er hören wollte, hoffend, ihn so an sich zu binden. Schon bald aber bat er, sie möge ihn seine Schiffe in den Wind stellen lassen. – Schweren Herzens willigte sie ein, dass er seine Segel setze.

Kurzvideo: Odysseus und Kirke

Das war keine Selbstverständlichkeit, denn im Bewusstsein ihrer Göttlichkeit tat sie was sie wollte. Versprechen waren ohnehin leere Worte für sie. Dass es bei Odysseus anders war, war der Leidenschaft ihrer Liebe geschuldet. Bei einem anderen hätte sie reagiert, wie sie es immer getan hatte. Aiaia war voller Männer, auch 21 Gefährten des Odysseus gehörten dazu, die sie in Schweine und wilde Tiere verwandelt hatte. – Doch Odysseus war die große Ausnahme.

Natürlich wollte sie auch herauszufinden, wie es ihm gelungen war, ihrem Zauber zu widerstehen. Sie sollte sie nie erfahren, dass Hermes ihr einen Streich gespielt hatte und Odysseus jenes Kraut gegeben hatte, das ihn ihr entrückte. – „Rauchen macht impotent“, könnte man wohl sagen. – Für Kirke bedeutete Odysseus‘ Leidenschaftslosigkeit natürliche eine narzisstische Kränkung. – Besonders quälte sie daher Vorstellung, ER könne statt ihrem, dem Zauber der verhassten Sirenen verfallen. – Das eine andere ihn bekäme, musste auf jeden Fall verhindert werden.

Kirke konnte Sirenen sowieso nicht leiden. Diese Aversion übrigens teilen wir Menschen mit ihr. – Vermutlich hat sie ihren Ursprung in der Erzählung Homers. – Wie auch immer, wir wollen diesen unheilkündenden Gesang partout nicht hören, stopfen uns Wachs in die Ohren, lassen uns an die Masten unserer Boote fesseln und – überlisten uns selbst. Unser Bestreben ist es, nahendes Unheil einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen. Trifft es uns dennoch, können wir immer noch behaupten, wir hätten nichts gewusst…

Es stellt sich die Frage, ob wir uns auf diese Weise unsere Zukunft nicht nachhaltig versauen. Angesichts der aktuellen Krisen, der wachsenden Kriegsgefahr, dem Niedergang des Westens, dem Aufstieg derer, die Europa einst unterworfen und gedemütigt hatte, der Pandemie, des Klimawandels und vor allem angesichts der Erkenntnis, dass unsere Art und Weise zu wirtschaften und zu produzieren gerade an die Wand fährt, leben wir in wachsender Angst. Wir starren auf die Unheil kündenden Ereignisse, wie das Kaninchen auf die Schlange. Jedes Mal, wenn etwas geschieht, wie etwa die jüngsten Flutkatastrophen, die Hitzewelle in Kanada und die Erwärmung der Ostsee auf das Niveau der Cote d’Azur, verhalten wir uns, als würden wir Neuland betreten.

Unser Bewusstsein kann exponentiell verlaufende Entwicklungen nicht wirklich begreifen. Im Laufe unserer Entwicklung haben wir gelernt, dass alles im Großen und Ganzen so bleibt, wie es ist. Deswegen wissen wir mit exponentiell verlaufenden Prozessen eigentlich nichts anzufangen. Wir glauben noch immer, Veränderungen geschehen in evolutionären Schrittchen und seien eine Sache von Jahrmillionen. Alles andere macht uns Angst und lässt uns auf Durchzug schalten. So verstehen wir weder Revolutionen, die das Potential haben, alles zu verändern, noch Naturkatastrophen, die auf einen Schlag alles beenden. Wir verhalten uns wie die Bürger von Pompeji und Herculaneum, die die Vorboten des großen Ausbruchs im Jahr 79 n. Chr. so lange ignorierten, bis sie davon „völlig überrascht“ wurden.

Kurzvideo: Hochwasser in China:
Drohnenbilder zeigen Ausmaß der Schäden
Nicht anders verhalten wir uns angesichts der globalen Klimakatastrophe. Bei jeder der sich häufenden „Naturkatastrophen“, die in Wahrheit ebenso menschengemacht sind, wie es der Klimawandel ist, sind wir völlig überrascht. Und statt den Klimawandel zu stoppen, rufen wir nach Einführung flächendeckender Warnsysteme. Wer denkt, es gehe darum, mittels einer App oder durch Sirenen rechtzeitig gewarnt zu werden, wird die darüber eintreffenden Warnungen im Ernstfall ignorieren, denn er überhört schon jetzt die Signale der Natur, mit denen sie uns immer deutlicher zu verstehen gibt, was eigentlich los ist. – Wir aber beachten sie nicht, am liebsten wollen wir so weitermachen, wie bisher.
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