Oury Jalloh – das war Mord!

Heinz Ahlreip – 13. Januar 2022

Heinz Ahlreip

Der am 2. Juni 1968 in Kabala (Sierra Leone) geborene Oury Jalloh wurde am 7. Januar 2005 in der Gewahrsamszelle im Keller des zentralen Polizeigebäudes in Dessau verbrannt aufgefunden. Er hatte den Status eines in Deutschland Geduldeten.  Er wurde verhaftet, weil er zwei deutsche Gärtnerinnen in einem Dessauer Park nach einem Handy fragte, um kurz telefonieren zu können. Diese Frage endete tödlich für ihn, denn statt Solidarität zu zeigen, rief eine Frau die Polizei herbei.

Die Behörden setzten eine Selbstmordversion in die Welt. Es bildete sich eine Initiative heraus, die trotz übelster staatlicher Repression mit einer seltenen Beharrlichkeit die Lüge von Staatswillen aufdeckte und den wahren Sachverhalt zu Tage förderte: Im Polizeigefängnis Dessau wurde ein an Händen und Füßen gefesselter 37jähriger Mann, ohne ein Feuerzeug bei sich zu haben auf einer nichtbrennbaren Matratze von Polizeibeamten mit Vorsatz, also nicht im Affekt mit Hilfe von Brandbeschleunigern verbrannt.

Im Zuge der nichtstaatlichen Ermittlungen deckte die Initiative auf, dass vor Jalloh noch zwei deutsche Staatsbürger von der Dessauer Polizei misshandelt und ermordet worden waren. Misshandlungen lagen auch bei Oury Jalloh vor. Das letzte einer Serie von Brandgutachten aus dem Jahr 2015, die die Selbstmordthese widerlegte, stammt von dem international renommierten britischen Brandsachverständigen Iain Peck, der den Tatort, die Zelle Nr. 5, originalgetreu nachbauen ließ. Sein Fazit lautet, dass der an Händen und Füßen gefesselte Oury Jalloh “von Polizeibeamten angezündet worden sein muss“ (Rote Hilfe, 4.2021, Mitgliederrundbrief, S.14). Sehr aufschlussreich ist auch ein radiologisches Gutachten von Dr.   Boris Bodelle aus dem Jahr 2019.  Er weist auf Nasen- bzw.  Schädelbruch und auf Rippenbrüche hin. Aus der Tatsache, dass kein Kohlenmonoxid im Herzblut gefunden wurde, ist zu schließen, dass Oury Jalloh schon vor seinem angeblichen Selbstmord “entweder bewusstlos oder bereits tot war“ (a.a.O.). Das sind deutliche Hinweise auf Motivlagen.

Gedenkdemonstration anlässlich des 13. Todestages von Oury Jalloh.

Seit 2005 finden alljährlich am 7. Januar Demonstrationen in Dessau statt, an der erfreulicherweise viele junge Menschen teilnehmen, die zum Zeitpunkt der kriminellen Bösartigkeiten der Dessauer Polizei politisch noch nichts mitbekommen konnten. So auch heute, die Dessauer Polizei spricht von 1 900 Teilnehmern, verdoppeln wir diese Zahl, so dass sie ungefähr hinkommt. Schon vor der Demo wurde auf dem Bahnhofsvorplatz skandiert: ‘Nichts vergeben, nichts vergessen, Bullen haben Namen und Adressen‘. Das ist ganz richtig, es handelt sich nicht um eine Demo um der Demo willen oder darum, einen Oury-Jalloh-Kult zu etablieren. Durch die ‘Black Community‘ in Deutschland ist Oury zur Gallionsfigur gegen polizeiliche Killer geworden.

Was wurde – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, bei zirka drei tausend Teilnehmern kann man in den engen Straßen und bei entsprechenden Entfernungen nicht alles mitbekommen – noch skandiert? Am häufigsten: ‘Oury Jalloh, das war Mord‘, sodann:  ‘Deutsche Polizisten, Mörder und Faschisten`, ‘BRD-Bullenstaat, wir haben dich zum Kotzen satt‘, ‘Deutsche Polizisten schützen die Faschisten‘, `Hoch die internationale Solidarität‘ … Zum Kotzen satthaben!! Daraus kann sich eher eine revolutionäre Flut bilden als aus DKP- Parteiprogrammen. 2017 war in Dessau auch noch zu hören: Gudrun Ensslin – das war Mord. Heute nicht.

Die Demo kam auch an einem Karl-Marx-Denkmal vorbei, an dem Genossen vor der Demo rote Nelken niedergelegt hatten. Damit ehrten sie einen Mann, ohne dessen Wirken für proletarische Demokratie und Sozialismus die Demo nicht unter so relativ “freien Bedingungen“ ablaufen könnte. Beim Sitz der Staatsanwaltschaft von Dessau sind laut Lesart der Demonstration behelmte deutsche Mörder und Faschisten in Polizeiuniform jedes Jahr regungslos einem Hagel von leeren Feuerzeugen ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft hat lächerlich genug Strafanzeigen wegen Körperverletzung erstattet.

Denonstration in Dessau. (Fotomontage RoterMorgen)

In Stendal hat sich eine Initiative gebildet, die auf eine Umbenennung der Carl-Hagenbeck-Straße in Oury-Jalloh-Straße hinwirkt. Dieser Hagenbeck war laut Wikipedia ein Tierhändler und Völkerschauausrichter, will richtigstellend sagen: Er stellte in seinem Zoo angeblich exotische Menschen aus, die er 1913 aus seinen Fanggebieten (primär Afrika und Südostasien) heraus nach Hamburg bringen ließ, er präsentierte diese Farbigen, die als unter dem Niveau der weißen Rasse stehend angesehen wurden, in 54 (!) Ausstellungen. Auch Kaiser Wilhelm II. kam, um sie zu begaffen  

Wir können dieser Initiative zur Umbenennung nur Erfolg wünschen. Erfolg auch der Familie Ouri Jalloh, die eine Strafanzeige wegen Strafvereitelung im Amt gegen die Generalsstaatsanwaltschaft Halle erstattet hat. Als nämlich der Leitende Oberstaatsanwalt in Dessau, also ein Mann vor Ort, Folker Bittmann, der jahrelang einen Selbstmord unterstellt hatte, sich durch medizinische und Brandgutachten überzeugen und seine falsche These fallen ließ, Ermittlungen wegen Mord einleitete, wurde dem in den Fall Eingearbeiteten  durch den Generalstaatsanwalt in Halle das Verfahren und ließ es im Oktober 2017 mangels Tatverdacht gegen Dritte einstellen, da – man rate – „eine weitere Aufklärung nicht zu erwarten“ sei.  Und das angesichts ganzer Stapel von hochqualifizierten, fachmännischen Gutachten.

Durch die gesamte deprimierende nunmehr 17jährige Prozedur wird angezeigt, dass eine diesmal vom deutschen Volk ausgehende Entnazifizierung der Behörden auch 2022 eine vorrangige politische Aufgabe bleibt. Die Wiege der BRD-Justiz wurde von Frau Marion Freisler geschaukelt, die im Entnazifizierungsverfahren als nicht belastet (!!) eingestuft worden war. Die feinen Früchtchen erleben wir heute. DEUTSCHE POLIZISTEN SCHÜTZEN DIE FASCHISTEN. Wo immer eine Demo in Deutschland stattfindet und diese Parole erschallt, sie zeugt von der Qualität der Demo.
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Über den Autor:
Heinz Ahlreip, geb. am 28.2.1952 in Hildesheim. Studium in den Fächern Philosophie und Politik an der Leibniz Universität Hannover von 1975 bis 1983, Magisterabschluß mit der Arbeit „Die Dialektik der absoluten Freiheit in Hegels Phänomenologie des Geistes“. Schwerpunkte der Forschung: Französische Aufklärung, Jakobinismus, französische Revolution, Politische Philosophie Kants und Hegels, Befreiungskriege gegen Napoleon, Marxismus Leninismus, Oktoberrevolution, die Kontroverse Stalin – Trotzki über den Aufbau des Sozialismus in der UdSSR, die Epoche Stalins, insbesondere Stachanowbewegung und Moskauer Prozesse.

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1 Kommentar

  1. Echte Aufklärung wird’s wohl nicht geben darüber? Nach meinem Wissen, welches nicht richtig sein muss hat er die 2 Mädels sexuell belästigt. Und es war angeblich nicht das erste Mal, dass er so etwas tat. Wie das Feuer so zielgenau entstehen konnte, ist auch mysteriös. Das fehlende Feuerzeug dann später doch gefunden….🤔 dennoch sollte kein Mensch so behandelt werden. Was gibt es für Kommentare, dass es nicht der erste Todesfall in jener Dienststelle war? Kann den Link leider technisch nicht öffnen. Weiss daher nicht, ob darin meine Zweifel und Fragen geklärt werden.

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