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1. Mai 2020. Autokorso im Arbeiterviertel Kiel-Gaarden. Bild Roter Morgen CC0

„Wer im Stich lässt Seinesgleichen, lässt ja nur sich selbst im Stich!“ So klang es heute Mittag laut über den Vinetaplatz, dem zentralen Punkt in Kiel’s Arbeiterstadtviertel Gaarden!


Sympathisanten von Arbeit-Zukunft, der Onlinezeitung Roter Morgen und der KPD hatten kurzfristig zu einem Autokorso aufgerufen. Los ging es um 11 Uhr auf dem symbolträchtigen Wilhelmplatz, auf dem sich 1919 oft die revolutionären Roten Matrosen versammelten. Zwei Polizeiwagen und ein Polizist auf einem Motorrad, erwarteten uns und patrouillierten auf dem Platz zwischen den parkenden Autos. Doch der Treffpunkt war ein wenig abseits und so konnten die paar Fahrzeuge, geschmückt mit roten Fahnen, unbemerkt den Ort verlassen. Menschen waren kaum auf den Straßen, doch vereinzelnd wurde auch einmal die Faust zum Gruß gehoben. Überhören konnte kein Passant die Genossen, sie fuhren ganz langsam und einer hatte einen Lautsprecher an seinem Wagen befestigt, aus dem die ganze Stunde lang, die die Autos unterwegs waren, Lieder der internationalen Arbeiterbewegung erklangen. Dennoch war die Beteiligung sehr gering und die Beachtung durch die wenigen Spaziergänger ebenso. Aus technischen Gründen konnten keine Transparente mitgeführt werden und so dachten vielleicht auch einige, denen die Lieder nun gar nichts sagten, dass der Karneval erneut ausgebrochen sei – anders ist das Lautstarke „Helau-rufen“ einer Frau nicht zu deuten.
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Im roten Gaarden angekommen

Septemberstreik 1969. Genossen rufen zur Kundgebung auf dem HDW-Gelände in Kiel-Gaarden auf. Bild: Archiv Roter Morgen CC0

Nachdem der Protestzug durch die Kieler Altstadt gefahren ist und mehrere entgegenkommende Polizeifahrzeuge nicht die Verfolgung aufgenommen hatten, ging es am Bahnhof vorbei, Richtung BFA und dann ins Rote Garden, durch die Elisabethstraße auf den Vinetaplatz. In diesem traditionellen Arbeiterstadtteil ist quasi jede Hausecke ein historischer Ort. Die Kämpfe der Kieler Matrosen und Werftarbeiter, die vorwiegend in Gaarden wohnten, begannen schon in der Kaiserzeit. Zur Zeit des Faschismus gab es auf der großen Gaardener Werft HDW, aktive Widerstandskämpfer der KPD, dessen Aktionen teilweise noch überliefert sind.  Nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus waren es die Gaardener Werftarbeiter, die maßgeblich den Ton angaben. Sie erstreikten, nicht nur für alle Metallarbeiter der BRD, die 6-Tage-Arbeitswoche, sondern auch den 4o Stunden Tag. Der Kieler Lehrlingsstreik von 1972 ging ebenso in die Geschichte Gaardens ein, wie der Kampf der Werftarbeiter für und mit ihren Roten Betriebsräten der RGO, in den 1970 er Jahren.
Dem Vinetaplatz der sich heute den Demonstranten bot, sah man seine revolutionäre Vergangenheit nicht an. Nur wenig Menschen fanden sich dort. Zwei streiteten sich lautstark, ein Mann torkelte, vermutlich alkoholisiert, am Kantstein entlang. Die Lieder, die Roten Fahnen und der Umstand das der Vinetaplatz ein Fußgängerzone ist und dort nur selten Fahrzeuge zu sehen sind, ließ einige Leute aufschauen, ein Wirt kam aus seiner Kneipe und schaute den kreisenden Autos zu.
Gaarden, der Stadtteilkern wird auch Klein Istanbul genannt, hat den Größten Anteil von Erwerbslosen aller Kieler Stadtteile. Dort wird kaum noch gekämpft, man erträgt sein Schicksal und jeder sieht zu wie er mit AlG II, Rente oder Zuschüsse zum Lebensunterhalt zu recht kommt. Viele sind gezwungen, sich durch „Schwarzputzen“, Internetgeschäfte und andere, oft nicht legale Aktion, ein wenig dazu zu verdienen.
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Platz der Roten Matrosen

So nennen die Kieler Linken ihren Bahnhofsvorplatz, denn die sozialdemokratisch dominierte Kieler Ratsversammlung, war nur bereit diesen Platz, der oft der Ausgangspunkt für Demonstrationen ist, „Platz der Kieler Matrosen“ zu nennen. Jaja gut, mehr war von der SPD ja auch nicht zu erwarten.

Ein kleines Bündnis von mehr oder wenig bekannten Organisationen, hatte zu einer Kundgebung aufgerufen, die unter einigen vertretbaren Auflagen genehmigt wurde. Wie immer bei dieser Art Kundgebungen, wurden Transparente mit den verschiedensten Forderungen getragen, die nicht immer dem Charakter des internationalen Kampftages der Arbeiterklasse entsprachen. Aber der Spruch „Sozialpartnerschaft ist Arbeiterverrat“ fand auch die Zustimmung der Teilnehmer des Autokorsos. Circa 100 Teilnehmer, überwiegend bekannte Genossen aus DKP, SDAJ, PdL und Anarchos, harrten bei starkem Regen aus und lauschten den Redebeiträgen. Da die Aktionseinheit, die zu dieser Kundgebung führte, überwiegend daraus bestand das man sich einigte wann man wo zusammenkommen solle, waren viele Redebeiträge auch eher eine Selbstdarstellung, als ein Schulterschluss zu Gunsten der Kollegen und außerhalb der Betriebe.
 Besonders die Rolle der sozialdemokratisch orientierte PdL war bemerkenswert. Die in Kiel Mitgliederstärkste Organisation brachte nur ein paar Genossen auf die Straße.
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Vorwärts und nie vergessen…



Solidarität mit den Kollegen von Daimler, die demnächst stempeln gehen sollen oder die mit streikenden Kollegen bei Voith in Sonthofen, geht anders. Arbeiterlieder, Sprechchöre und die Presse waren auf der Kundgebung genauso wenig zu sehen, wie die Betriebs- und Personalräte der DGB-Gewerkschaften.
 Dennoch hat jede fortschrittliche Aktion, in Zeiten in denen die Herrschenden möchten das wir zu Hause bleiben, etwas Gutes. Selbst, wenn es nur neue Erkenntnisse sind wie man’s nicht machen sollte oder besser machen kann. Die revolutionäre Freundschaft der Teilnehmer am Autokorso wurde jedenfalls gefestigt und bietet nun eine neue Grundlage für ein gemeinsames Handeln.

1. Mai 2020. Kundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz, den die Linken „Platz der Roten Matrosen“ nennen. Bild: Roter Morgen CC0

Fiete

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Dabei muss es sich nicht grundsätzlich um die Meinung der Redaktion handeln.
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