Volkskorrespondenz zum Wochendende
Heinz Ahlreip – 29. Oktober 2022
Wann immer wir über einen Krieg schreiben, sollten uns die Worte Lenins im Gedächtnis nachklingen, dass es extrem schwierig ist, einen Krieg richtig zu lesen. Ob wir uns bereits, rep. erst im Vorfeld eines dritten Weltkrieges befinden, oder ob die Grenze bereits überschritten ist, ist deshalb so schwierig zu beantworten, weil die Grenzen in der Natur und in der Geschichte bewegliche und nicht starr sind.
Wer legt wie wann wo die Grenze fest, auf dem wir uns völlig, also mit beiden Beinen, auf dem Boden des Krieges befinden? Jeder Krieg hat eine Vorgeschichte, in der alles fraglich ist, hat eine Hochphase, in der der Friede an die Wand gedrückt ist, und ein Absinken, in dem Mal der Krieg, mal der Frieden mehr pulsiert, er hat an seinem Ende einen Übergang, besser: Umschlag in sein Gegenteil. Der Krieg, ist er im Gange, ist und bleibt in ein Geheimnis getaucht, das auch für Historiker noch lange nach Ende des Krieges nicht leicht zu erschließen ist. Diese Unbestimmtheit lässt am Anfang jedes Krieges Schwärme von Schwätzern aus den Niederungen der bürgerlichen Wissenschaften emporsteigen, die von den bürgerliche Massenmedien flugs zu Militärexperten hochstilisiert werden, trotzdem sich diese zeit ihres Lebens meist noch nie mit den Gedanken und Werken des Militärphilosophen Clausewitz beschäftigt haben, welcher aufzeigt dass sowohl die Kriegspolitik als auch der Krieg selbst ein Widerspruch in sich ist. Clausewitz hatte sich zu seinen Kriegsstudien intensiv mit der klassischen deutschen Philosophie, insbesondere mit Hegel und Fichte auseinandergesetzt.
Die Vordenker der MLPD, die es zu dem “modernen“ “Denker“ Willi Dickhut hintreibt, statt wie durch den objektiven Stoff der Theorie der Klassenkriege vorgegeben, zur Vertiefung des Marxismus zur klassischen deutschen Philosophie, bekanntlich eine Quelle des Marxismus, die auch heute noch sprudelt (neben dem französischen Sozialismus im 19. Jahrhundert und neben der klassischen englischen politischen Ökonomie) insbesondere zu Hegel, haben die Lösung der Problematik schon im Juni 2022 in der Tasche. Es heißt in ihrer Broschüre »Der Ukrainekrieg und die offene Krise des imperialistischen Weltsystems«, unter “Aktiver Widerstand gegen den dritten Weltkrieg“1. Für die MLPD ist der Weltkrieg da, der Fall gelöst, die Grenze markiert, es fällt aber auf, dass sie kein Datum für den Beginn des dritten Weltkrieges angeben können. Wer jedoch tiefer denkt, der der spricht vom heraufziehenden Weltkrieg. Das ist die richtige Widerspiegelung der Wirklichkeit. Der Schnellschuss der MLPD ist keine Frucht der proletarischen Denkweise, sondern eine Eselei, die mit dem Etikett ‘Proletarische Denkweise‘ wissenschaftlich geweiht werden soll. Die Erkenntnis des dialektischen Denkens ist, dass ein Weltkrieg erst dann vorliegen kann, wenn die imperialistischen Kernländer ihre Millionenarmeen in Alarmbereitschaft versetzt haben, andere maßgebende Länder, maßgebend nach imperialistischen Maßstäben, ihre Truppen ebenfalls in Alarmbereitschaft versetzt haben und dass es bereits zu aktiven, einander beschießenden und von Tag zu Tag eskalierenden Kampfhandlungen zwischen imperialistischen Truppen gekommen ist. Sicherlich wird die MLPD diese Weltkriegsbestimmung nach ihren Denkweiseschablonen einer kleinbürgerlichen Denkweise in die Schuhe schieben. Was für eine Konfusion!
Willi Dickhut, der Übervater der MLPD, hat im Grunde den Marxismus, wenn ich mich so ausdrücken darf, psychologisiert. Für Marxisten-Leninisten gibt es immer den ausschlaggebenden objektiven Gang der Dinge, ob wir diesen haben wollen oder nicht. Dieser objektive Gang setzt sich durch und schert sich einen Dreck um unsere Denkweisen. “Es handelt sich darum, was es (das Proletariat/H.A.) ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird“.2 Wir können alles denken, was wir wollen. Die wohl bemerkenswerteste und eindeutigste Passage gegen die Pervertierung des Marxismus durch Willi Dickhut stammt eigentümlicherweise nicht von einem Klassiker, sondern von dem bürgerlichen Leningrader Professor I. I. Kaufmann, der in der Mainummer des Jahres 1872 der Zeitschrift ‘Europäischer Bote‘ eine Rezension über das ‘Kapital‘ von Marx publiziert hatte. Für Marx war das eine gelungene Rezension und er druckte zustimmend eine Passage dieser Rezension von Kaufmann im Nachwort zur zweiten Auflage des Kapitals ab. Kaufmann konnte zwar Dickhut noch nicht lesen, aber was da von ihm im ‘Kapital‘ Band 23 der Klassikerausgabe auf Seite 26 steht, das verdeutlicht in scharfer Kontur, welchen kapitalen Bock Willi Dickhut geschossen hat. Liest man diese Passage, so drängt sich einem der Gedanke auf, er hätte Dickhut während der Niederschrift vor Augen gehabt, vor sich, vor seinem Schreibtisch. Kaufmann schrieb über das ‘Kapital‘ von Marx: “Demzufolge bemüht sich Marx nur um eins: durch genaue wissenschaftliche Untersuchung die Notwendigkeit bestimmter Ordnungen der gesellschaftlichen Verhältnisse nachzuweisen und so viel als möglich untadelhaft die Tatsachen zu konstatieren, die ihm zu Ausgangs- und Stützpunkten dienen. Hierzu ist vollständig hinreichend, wenn er mit der Notwendigkeit der gegenwärtigen Ordnung zugleich die Notwendigkeit einer andren Ordnung nachweist, worin die erste unvermeidlich Übergehen muss, ganz gleichgültig ob die Menschen das glauben oder nicht glauben (schon hier hätte Dickhut stutzig werden müssen/H.A.), ob sie sich dessen bewusst oder nicht bewusst sind (noch stutziger/H.A.). Marx betrachtet die gesellschaftliche Bewegung als einen naturgeschichtlichen Prozess, den Gesetze lenken, die nicht nur von dem Willen, dem Bewusstsein und der Absicht der Menschen unabhängig sind, sondern vielmehr umgekehrt deren Wollen, Bewusstsein und Absichten bestimmen (spätestens hier hätte Dickhut rufen müssen: Ich widerrufe!/(H.A.) … Wenn das bewusste Element in der Kulturgeschichte eine so untergeordnete Rolle spielt, dann versteht es sich von selbst, dass die Kritik, deren Gegenstand die Kultur selbst ist, weniger als irgendetwas andres irgendeine Form oder irgendein Resultat des Bewusstseins zur Grundlage haben kann“. Das liegt aber bei der MLPD vor.
Mit diesem persönlichen Beitrag zum Wochenende möchte ich auf eine Ausarbeitung hinweisen, an der ich maßgeblich mitgearbeitet habe. Sie wird in Kürze unter dem Titel »Zur Broschüre ‘Der Ukrainekrieg und die offene Krise des imperialistischen Weltsystems‘« in der Onlineausgabe des theoretischen Organs »Der Weg zur Partei« erscheinen.
Heinz Ahlreip, 29. Oktober 2022
- Gabi Fechtner, Monika Gärtner-Engel, Stefan Engel: »Der Ukrainekrieg und die offene Krise des imperialistischen Weltsystems«, Verlag Neuer Weg, Juni 2022, Seite 63.
- Karl Marx/Friedrich Engels, »Die heilige Familie«, Werke Band 2, Dietz Verlag Berlin 1960, Seite 38.
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…………….Lest dazu bitte auch:
Unsortierte Artikelsammlung über die MLPD
…………….verschiedener Autoren
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Über den Autor:
Heinz Ahlreip, geb. am 28.2.1952 in Hildesheim. Von 1975 bis 1983 Studium in den Fächern Philosophie und Politik an der Leibniz Universität Hannover, Magisterabschluss mit der Arbeit »Die Dialektik der absoluten Freiheit in Hegels Phänomenologie des Geistes«. Forschungschwerpunkte: Französische Aufklärung, Jakobinismus, Französische Revolution, die politische Philosophie Kants und Hegels, Befreiungskriege gegen Napoleon, Marxismus-Leninismus, Oktoberrevolution, die Kontroverse Stalin – Trotzki über den Aufbau des Sozialismus in der UdSSR, die Epoche Stalins, insbesondere Stachanowbewegung und Moskauer Prozesse. Ahlreip arbeitete als Lagerarbeiter u. a. bei Continental in Hannover und bis zum Rentenbeginn als Gärtner für Museumsstätten und Friedhöfe.
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In der Broschüre der MLPD steht nirgendwo, dass der III. Weltkrieg bereits stattfindet. Es
wird lediglich vor der „akuten Gefahr eines Dritten Weltkriegs“ gewarnt.
Ich lese in der obigen Volkskorrespondenz (VK): „… es fällt aber auf, dass sie (gemeint ist die MLPD, Anm. von mir) kein Datum für den Beginn des dritten Weltkrieges angeben können. …)
Dein Einwand Bernd ist unzutreffend.
Auch wird nicht „n u r“ vor dem 3. WK gewarnt. Dein „nur“ negiert die MLPD-Aussage kräftig. Dazu seht bitte den von Heinz in seiner VK angekündigte Ausarbeitung.