EU: Vom „Getreideabkommen“ zu „Getreideprotesten“

Redaktion  – 19. April 2023

Die EU hat das ukrainische Getreide, das angeblich dazu gedacht war, den weltweiten Hunger zu bekämpfen, regelrecht aufgesaugt. Nun protestieren Landwirte in der EU wegen des Preisverfalls für Getreide, während der Hunger den ärmsten Ländern wächst.

Letzten Sommer haben die Medien wochenlang berichtet, Russland blockiere ukrainische Getreideexporte und setze so den Hunger als Waffe ein, weil das ukrainische Getreide von den ärmsten Ländern der Welt so dringend gebraucht wird. Das ukrainische Getreide sei für die Dritte Welt bestimmt und die EU setzte sich angeblich ganz ganz doll dafür ein, dass die bösen Russen endlich erlauben, dass das ukrainische Getreide an die ärmsten Länder geliefert werden kann.

In der Folge wurde das Getreideabkommen geschlossen und das ukrainische Getreide konnte über das Schwarze Meer exportiert werden. Die Medien haben dann schnell aufgehört, darüber zu berichten, denn es stellte sich heraus, dass das ukrainische Getreide gar nicht an die ärmsten Länder der Welt ging, sondern vor allem in die EU. Das kann man auf der entsprechenden Seite der UNO nachlesen, aber das mussten die Menschen im Westen ja nicht erfahren.

Nun protestieren die Landwirte in Osteuropa, wo die Speicher randvoll mit billigem ukrainischen Getreide sind, gegen den Preisverfall und die EU-Kommission ist weitgehend untätig. Die ersten osteuropäischen Staaten haben bereits im Alleingang Importverbote für ukrainisches Getreide beschlossen, obwohl solche Entscheidungen im des EU-Binnenmarkts von der EU-Kommission getroffen werden müssten.

Da die deutschen Medien über diese Situation weitgehend schweigen, hat Thomas Röper einen Bericht der russischen Nachrichtenagentur TSS über den Stand der Dinge übersetzt, der heute erstmalig auf „Anti Spiegel“ veröffentlicht wurde. Hier die wichtigsten Auszüge aus den Bericht.

„Inakzeptabel“: Die EU ist empört über osteuropäische Entscheidungen zu ukrainischem Getreide

Die Proteste der osteuropäischen Landwirte gegen Getreideeinfuhren aus der Ukraine und die mangelnde Reaktion der EU-Kommission haben eine Reihe von Ländern dazu veranlasst, einseitige Einfuhrbeschränkungen für ukrainische Agrarprodukte zu verhängen. Dafür wurden sie bereits von der EU-Kommission kritisiert, aber die Zahl der Länder, die solche Entscheidungen treffen, kann nur noch steigen. Die TASS berichtet, wie es zu der schwierigen Lage in Osteuropa gekommen ist und wie man sie zu lösen versucht.

Einseitige Beschränkungen

Die Situation mit ukrainischem Getreide ist zu einem der größten Probleme für die osteuropäischen Länder geworden. Die Überflutung der Märkte einer Reihe von Ländern hat für die örtlichen Landwirte verheerende Folgen. Aufgrund der dadurch verursachten Unannehmlichkeiten sahen sich Polen und Ungarn gezwungen, ein Verbot für die Lieferung von Agrarprodukten aus der Ukraine bis Juni 2023 zu verhängen. Die Länder begründeten diese Maßnahmen mit der mangelnden Reaktion der EU-Kommission auf ihre Forderungen nach europäischer Hilfe für die ungarischen und polnischen Landwirte, die erhebliche Verluste erlitten haben.

Die Slowakei folgte mit einer ähnlichen Entscheidung. Ähnliche Maßnahmen werden von Bulgarien in Erwägung gezogen.

Die EU-Kommission hat einseitige Lieferverbote für Produkte aus der Ukraine als inakzeptabel bezeichnet.

„In diesem Kontext halten wir es für wichtig, daran zu erinnern, dass die EU-Handelspolitik in die ausschließliche Zuständigkeit der gesamten Union fällt, so dass jede einseitige Maßnahme inakzeptabel ist“, betonte die Kommission.

Getreideproteste ziehen durch Europa

Kurz vor der Verhängung der Beschränkungen durch die genannten Länder kam es in Osteuropa zu Protesten gegen Lieferungen ukrainischen Getreides, das für den Transit in Drittländer bestimmt ist, da ein Teil davon auf dem Gebiet der osteuropäischen Ländern verbleibt und mit dem dortigen Getreide in Konkurrenz tritt.

Nach Angaben, die dem Europäischen Rat von Polen, Bulgarien, der Tschechischen Republik, Ungarn, Rumänien und der Slowakei vorgelegt wurden, sind die Weizenimporte aus der Ukraine seit 2021 um das Hundertfache oder sogar Tausendfache gestiegen.

Zudem stiegen von Januar bis November letzten Jahres die Maiseinfuhren aus der Ukraine in die europäischen Nachbarländer von einigen Tausend auf mehrere Millionen Tonnen. Während sich die Einfuhren nach Polen im November 2021 auf 6.000 Tonnen beliefen, betrugen sie im gleichen Zeitraum 2022 1,6 Millionen Tonnen. Die Einfuhren nach Ungarn beliefen sich 2022 auf mehr als 900.000 Tonnen gegenüber 5.000 Tonnen im Jahr 2021, nach Bulgarien waren es 16.700 Tonnen gegenüber 361.000 Tonnen im Vorjahr. Die Slowakei erhielt im vergangenen Jahr 250.000 Tonnen, während es 2021 fast Null waren. Rumänien erhielt im Jahr 2022 1,02 Millionen Tonnen, aber das Dokument enthält keine Daten für 2021.

Darüber hinaus haben die Einfuhren anderer landwirtschaftlicher Produkte aus der Ukraine stark zugenommen, darunter Zucker, Geflügelfleisch, Mehl, einige Milchprodukte, Sonnenblumenkerne oder Raps.

Seit Monaten kommt es in Osteuropa zu Massenprotesten gegen den starken Anstieg der Einfuhren. Die polnischen Landwirte haben ihre negative Haltung zu dieser Situation besonders aktiv zum Ausdruck gebracht. Im Rahmen der Demonstrationen blockierten sie die Straßen in der Nähe der Grenzübergänge Dorohusk und Grebenne und ließen die Lastwagen aus dem Nachbarland nicht durch. Bereits im Februar schrieb Agropolska über diese Aktionen, die von der Vereinigung „Betrogenes Dorf“ organisiert wurden. Ihre Vertreter stellten klar, dass ihr Protest apolitisch war: Sie forderten nur, dass Getreide aus Polen in andere Länder – afrikanische und Länder des Nahen Ostens – geschickt wird.

Nun gibt es auch in anderen Ländern der Region Proteste. Am 7. April veranstalteten rumänische Landwirte ähnliche Aktionen in Bukarest und anderen Städten sowie an Grenzübergängen. Sie verlangten von der Regierung, sie vor der Einfuhr von Billiggetreide aus der Ukraine zu schützen, das nach Angaben lokaler Medien oft 70 Prozent unter den rumänischen Preisen verkauft wird.

„Wir haben unterschiedliche Produktionskosten. Wir halten die Rückverfolgbarkeit der Produkte und die chemischen Normen ein, um dem Verbraucher saubere Produkte anbieten zu können. Das ist bei Getreide, das von außerhalb der EU importiert wird, nicht der Fall. Es ist gentechnisch verändert und von phytosanitären Kontrollen und Zöllen befreit“, protestierte ein Demonstrant an einem Kontrollpunkt in Nadlak im westrumänischen Landkreis Arad.

Am selben Tag begannen bulgarische Landwirte, Kontrollpunkte an der Grenze zu Rumänien zu blockieren. Infolge der Proteste bildeten sich im Norden des Landes Staus mit Hunderten von Lastwagen. Die Demonstranten forderten eine Änderung der Vorschriften für die Einfuhr von Waren aus der Ukraine und eine unabhängige Kontrolle, da die bulgarischen Produkte aufgrund der niedrigen Preise der ukrainischen Produkte nicht mehr wettbewerbsfähig sind.

Warum die Probleme entstanden sind

Nachdem Russland die Militäroperation startete, sah sich Kiew mit Einschränkungen bei der Ausfuhr von Getreide über die Schwarzmeerhäfen konfrontiert, so dass die Ukraine nach alternativen Routen für die Verschiffung durch EU-Länder suchte.

Die Schwarzmeer-Initiative (Getreideabkommen) wurde am 22. Juli 2022 in Istanbul unterzeichnet, um das Risiko einer weltweiten Nahrungsmittelkrise zu vermeiden. Ein großer Teil der Lieferungen sollte an Entwicklungsländer gehen, aber tatsächlich geht ein großer Teil des Getreides aus der Ukraine in die EU und nicht in die ärmsten Staaten.

Nach Angaben der UNO haben bis Anfang März 2023 etwa 780 Schiffe rund 23 Millionen Tonnen Getreide aus ukrainischen Häfen exportiert. Etwa 52,6 Prozent davon gingen nach Europa und Zentralasien, 24,8 Prozent in den asiatisch-pazifischen Raum, 14,3 Prozent in den Nahen Osten und nach Nordamerika, und nur 2,6 Prozent gingen nach Afrika südlich der Sahara.

Russische Regierungsvertreter haben wiederholt darauf hingewiesen, dass der zweite Teil des Getreideabkommens – das Memorandum über die Förderung russischer Agrarerzeugnisse und Düngemittel auf den Weltmärkten -, in dem es um die Ausfuhren aus Russland geht, nicht umgesetzt wird. In diesem zwischen Russland und den UN unterzeichneten Memorandum verpflichtete sich Moskau, weiterhin landwirtschaftliche Erzeugnisse zu liefern, und die Organisation verpflichtete sich, sich für die Aufhebung der Beschränkungen für diese Lieferungen einzusetzen.

Ende September bezeichnete Präsident Wladimir Putin die Situation als „völligen Schwindel“. Er wies darauf hin, dass von mehr als 200 Schiffen mit Getreide nur vier im Rahmen des UN-Hilfsprogramms eingesetzt wurden.

Ukrainisches Getreide wurde bereits vor Abschluss des Getreideabkommens aktiv an die EU geliefert. Die EU und die Ukraine unterzeichneten 2016 ein umfassendes und vertieftes Freihandelsabkommen, durch das Zölle und Abgaben auf viele ukrainische Agrarprodukte ausgesetzt wurden. Die Exporte aus der Ukraine in die EU wurden im Mai letzten Jahres durch die sogenannten Solidaritätslinien erleichtert – Landrouten, über die Getreide aus der Ukraine in die EU und Treibstoff und militärische Ausrüstung zurück transportiert werden. Genau diese Maßnahmen haben zu einem erheblichen Anstieg der Lebensmittelimporte in Europa geführt.

„Erhebliche Importe von Produkten aus einer einzigen Quelle während der nationalen Ernten haben in allen betroffenen Mitgliedsstaaten zu Marktstörungen geführt. Ein Teil des importierten Getreides geht an inländische Futtermittelverarbeitung, was zu einer geringeren Nachfrage nach heimischem Getreide führt“, heißt es in einer Erklärung an den Europäischen Rat, die Informationen aus den betroffenen osteuropäischen Ländern enthält, die von den erhöhten Importen betroffen sind.

Was die Regierungen tun

Die Regierungen dieser Länder versuchen, verschiedene Maßnahmen zu ergreifen, um die Situation zu entschärfen. Dem Dokument des Europäischen Rates zufolge haben Polen, Bulgarien, die Tschechische Republik, Ungarn, Rumänien und die Slowakei eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der Situation vorgeschlagen, darunter Entschädigungen für die Landwirte, die Schließung von Solidaritätslinien, die Einrichtung von Lagermöglichkeiten für überschüssige landwirtschaftliche Güter und neue Transportkorridore, einschließlich der Eisenbahn.

Das polnische Landwirtschaftsministerium hat die Regierung bereits gebeten, die betroffenen Landwirte finanziell zu unterstützen, doch die Landwirte halten diese Maßnahme für unzureichend und fordern eine systemische Lösung.

Ende März kündigte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki seine Absicht an, das angesammelte ukrainische Getreide „in Nordafrika, im Nahen Osten, wo es eigentlich hingehört“, zu verkaufen und die Lieferungen durch die EU-Kommission einschränken zu lassen.

Warschau: Polnische Bauern protestieren gegen die Agrarpolitik der Regierung. | Quelle: YouTube

Der polnische Generalstaatsanwalt und Justizminister Zbigniew Ziobro forderte die polnische Regierung Ende März auf, in der EU Verfahren zur Wiedereinführung von Zöllen auf ukrainische Getreidelieferungen einzuleiten.

Gleichzeitig forderten Mitglieder der polnischen Oppositionsparteien, die Einfuhr von ukrainischem Getreide und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen in das Land zu stoppen. Dieser Vorschlag wurde insbesondere von Krzysztof Bosak, einem Abgeordneten der Konföderationspartei, gemacht. „Die Verluste für die Wirtschaft belaufen sich auf Milliarden. Das ist wirklich ein großer Wirtschaftsskandal“, sagte er.

Ungarn hat angesichts der aktuellen Situation beschlossen, die Transitlieferungen von Getreide aus der Ukraine durch sein Hoheitsgebiet strenger zu kontrollieren. Wie Landwirtschaftsminister Istvan Nagy erklärte, muss sichergestellt werden, dass das Getreide auch wirklich in die Zielländer gelangt und nicht auf den mitteleuropäischen Märkten bleibt. Er schlug außerdem vor, dass die EU die Zölle und Mengenbeschränkungen für ukrainisches Getreide wieder einführt.

Die EU verspricht Hilfe

EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski erklärte Ende März, dass die EU-Kommission beabsichtigt, Landwirten aus Rumänien, Bulgarien und Polen Hilfe zu leisten. Das Gesamtpaket beläuft sich auf rund 56 Millionen Euro: 29,5 Millionen Euro sind für Polen, über 16 Millionen Euro für Bulgarien und über 10 Millionen Euro für Rumänien vorgesehen.

Ungarn und die Slowakei haben keine Beihilfen erhalten, weil ihre Importe und ihre einheimische Erzeugung zusammengenommen den Fünfjahresdurchschnitt nicht überschritten haben.

Dabei beabsichtigt die EU-Kommission nicht, die Handelszölle gegenüber der Ukraine wieder einzuführen. Im Februar hat die EU-Kommission vorgeschlagen, diese Maßnahme bis Juni nächsten Jahres zu verlängern. Die Kommission begründet das mit ihrem Wunsch, die schwierige Lage, in der sich die ukrainischen Produzenten und Exporteure aufgrund des Konflikts befinden, zu erleichtern.

Was wurde bisher getan?

Wie der ukrainische Agrarminister Nikolay Solsky am 7. April nach einem Treffen mit seinem polnischen Amtskollegen Robert Telus erklärte, wird die Ukraine bis zur neuen Vermarktungssaison, die am 1. Juli beginnt, keine Getreideexporte nach Polen tätigen. Wie Telus klarstellte, geht es nicht darum, den Transit von ukrainischem Getreide durch Polen in Drittländer zu beschränken. Die Minister einigten sich darauf, die Kontrollen zu verschärfen, damit sich das Getreide nicht auf polnischem Gebiet ablagert.

Kurz zuvor hatte Mateusz Morawiecki erklärt, der größte Teil des aus der Ukraine nach Polen verschifften Getreides sei im Transit. Er behauptete auch, dass die Lieferungen um das Fünf- bis Sechsfache zurückgegangen seien. Der Ministerpräsident erklärte, die Lager in Polen seien leergefegt und es gebe Platz für polnisches Getreide.

Gleichzeitig behaupteten die polnischen Landwirte, es sei nichts unternommen worden. „Wir dachten, der Minister würde uns ernst nehmen, aber das Gegenteil war der Fall. Der Grenzübertritt [des Getreides] geht immer weiter. Er hat sich sogar beschleunigt“, sagte Marcin Sobczuk, Vorsitzender des Bauernverbands von Zamość, in einem Interview mit der polnischen Nachrichten-Website Interia. Er wies darauf hin, dass die meisten Waren unkontrolliert durchkommen, „bestenfalls wird nur jeder zweite Waggon kontrolliert.“

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Wir danken Tomas Röper für seine gute Arbeit. Bilder und Bilduntertexte wurden ganz oder zum Teil von der Redaktion »RoterMorgen« hinzugefügt.

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