Afghanistan: Was die bürgerliche Presse verschweigt

Redaktion – 18. Juli 2021

Über die jüngste Machtübernahme der Taliban und der Rolle und dem Abzug der die NATO-Imperialisten wird in den bürgerlichen Medien viel spekuliert, gelogen und prognostiziert. Die wahren Hintergründe der Besetzung Afghanistans durch die NATO-Staaten werden weiterhin verschleiert und die Regierungschefs, allen voran Angela Merke stellen sich dumm und behaupten dreist, das sie die schnelle flächendeckende „Eroberung“ des afghanischen Territoriums durch die  Taliban nicht voraus sehen konnten.

In unserem ersten Artikel vom 16. August haben wir geschildert, warum der Abzug der NATO-Truppen gut war, um den Weg zur Befreiung Afghanistans von Fremdherrschaft und religiösen Fanatismus zu eröffnen. Auf der Suche nach Hintergrundmaterial stießen wir auf eine Ausarbeitung von Genossen/innen aus Österreich, die schon im November 2001 erstmals veröffentlicht wurde. Die hilft, die Lage in Afghanistan aus antiimperialistischer Sicht zu verstehen und entlarvt die Ziele des US-Kapitals und (ihrer) der NATO. Anschließend der Text zur Kenntnis:
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Vorläufige Thesen zum Krieg gegen Afghanistan
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1) Überwältigende militärische Übermacht

Von Anfang an war klar, dass die Verteidigung des gesamten Territorium Afghanistans und insbesondere seiner Städte gegen die gewaltige imperialistische Überlegenheit nicht möglich sein würde. Selbst gut gerüstete reguläre Armeen wie jene des Irak oder Jugoslawiens waren ohne die unabdingbare ausländische Unterstützung dazu nicht fähig.

Zwar machte die pakistanische Unterstützung für die Taliban ihren Aufstieg und vor allem ihre fast flächendeckende Kontrolle des Landes erst möglich, doch musste diese angesichts des amerikanischen Drucks schließlich stark zurückgenommen werden.

Dass die Taliban rund ein Monat durchhielten kann – so wie die 78 Tage jugoslwischer Widerstand – bereits als gewisser Erfolg angesehen werden, ebenso wie die Tatsache, dass sie ihre Kerntruppen zumindest zum Teil evakuieren konnten.
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2) Taliban wurden nicht zerschlagen

Die Taliban konnten einen guten Teil ihrer im wesentlichen aus leichter Infanterie bestehenden Truppen zurückziehen und für den Guerillakrieg, zu dem sie am besten geeignet sind, dislozieren. Zwar sind Stammeskommandanten abgefallen und dürften sich Truppenteile aufgelöst haben. Doch zeigt die mehr als einwöchige hoffnungslose Verteidigung Kunduz´ sowie der nach wie vor andauernde Kampf um Kandahar, dass ein gewisses Maß an Disziplin und Moral erhalten werden konnte. Der Kern der Taliban-Truppen konnte jedenfalls nicht zerschlagen wurden.

In den Regionen mit mehrheitlich nicht paschtunischer Bevölkerung und ebenso in den meisten größeren Städten, in denen ihre radikale Auslegung des Islam kaum der Kultur der Mehrheit entsprach, wurden die Taliban als Okkupanten verstanden. Ohne besonderen Rückhalt in der Bevölkerung mussten sie unter dem imperialistischen Druck abziehen.

Unter gewissen Umständen könnten sie aber die Unterstützung durch die Bevölkerung in ihren Kernregionen im Osten und Südosten erhalten oder in Ermangelung einer politischen Alternative wieder zurückgewinnen.

In der strategisch wichtigen Stadt Jalalabad, deren Bevölkerung überwiegend paschtunisch ist, überließen sie die Macht nicht den Kräften der Nordallianz, sondern ehemaligen paschtunischen Mujaheddin-Kommandanten, die die Nordallianz als Hauptfeind betrachten. Bereits seit Beginn der Bombardements hatte sich abgezeichnet, dass die Taliban zur Verbreiterung ihrer Machtbasis den lokalen Stammesführern und Honoratioren mehr Befugnisse einräumten. Um in Kandahar die Machtübertragung auf Taliban-nahe Kräfte zu verhindert, scheinen die USA nach zwei Wochen erfolgloser Angriffe entgegen anderslautenden Behauptungen mit eigenen Truppen einzugreifen.

Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass dich diverse paschtunische Kräfte gegen die Nordallianz und eventuell auch gegen die westliche Soldateska mit den verbliebenen Kräften der Taliban ins Einvernehmen setzen.
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3) Nordallianz kann keine stabile Regierung bilden

Der einzige Zusammenhalt der Nordallianz war ihr gemeinsames Interesse gegen die Taliban. Nachdem diese sich nun von der staatlichen Macht zurückgezogen haben und die Nordallianz sich anschickt eine neue staatliche Macht zu errichten, läuft sie Gefahr von den selben Interessengegensätzen über die Aufteilung der Territorien und Ressourcen, die zwischen 1992 und 1996 den Bürgerkrieg antrieben, zerrissen zu werden.

In ihren jeweiligen Ursprungsgebieten mögen die verschiedenen Milizen der Nordallianz eine feste Verankerung in der Bevölkerung haben. Doch keine der Gruppierungen repräsentiert gesamtnationale Interessen, die ihnen Unterstützung in anderen nationalen und religiösen Gemeinschaften des Landes sichern würden.

Insbesondere der städtischen und der paschtunischen Bevölkerung sind die Massaker der Warlords der verschiedenen nun in der Nordallianz zusammengeschlossenen ehemals verfeindeten Milizen noch in lebendiger Erinnerung. Viele Paschtunen sehen in der Ermordung von Tausenden als Taliban Verdächtigten in Mazar-e Scharif und Kabul nach dem Einmarsch der Truppen der Nordallianz eine Fortsetzung dieser Politik.

Überhaupt war die Fähigkeit der Taliban, dem Bürgerkrieg Einhalt zu gebieten, die marodierenden Milizen zu entwaffnen und die öffentliche Ordnung wiederherzustellen, einer der wesentlichsten Gründe für die Unterstützung aus der Bevölkerung.

Vieles deutet also darauf hin, dass die paschtunische Mehrheitsbevölkerung eine unter Kontrolle der Nordallianz gebildete Regierung nicht akzeptieren wird.
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4) Proimperialistische Einbindung der Paschtunen möglich?

Zahir Schah, der greise ehemalige König, gilt als favorisierte Lösung dieses Zentralproblems zur Etablierung eines stabilen proimperialistischen Regimes. Dabei ist aber zu bemerken, dass er über keinen festen Einfluss, geschweige denn eine Hausmacht verfügt. Zwar rühmt er sich seiner paschtunischen Abstammung, doch ist des Paschtos nicht mächtig und muss sich des Persischen, der traditionellen Bildungs- und Verwaltungssprache Afghanistans, bedienen.

Zahir Schah will als Konstituante eine Loya Jirga, die Große Ratsversammlung der Stammesrepräsentanten, abhalten und sich über diese die Schirmherrschaft über die Regierung sichern. Obwohl die Loya Jirga von der Bevölkerung allgemein als einzig demokratische Lösung angesehen wird, so ist doch offensichtlich, dass die durch das westliche Eingreifen geschaffenen Realitäten am Schlachtfeld die Kräfte der Nordallianz begünstigt. Viele Paschtunen trauen dieser Operation daher nicht und sehen im König eine Marionette der Nordallianz und des Imperialismus.

Fürderhin muss klar sein, dass Stammesrepräsentanten durch ihre begrenzten lokalen Interessen leicht zur Flankendeckung eines um die Nordallianz gruppierten Regimes werden.

Die einzig moderne, über Stammesinteressen hinausgehende politisch-militärische Kraft der Paschtunen könnten also die Taliban bleiben. Ihr kampfloser Rückzug und der Zusammenbruch ihres politischen Regimes mag in den ersten Tagen viele mit ihnen verbündete Stammesführer zum Abfall veranlasst haben. Doch in dem Maße in dem sie sich als einzige Alternative zum antipaschtunischen Regime der Nordallianz etablieren können, wird den Stammesführern nur die Wahl zwischen der höchst unpopulären Kollaboration mit der Nordallianz oder den Taliban bleiben. Die neuen Machthaber von Jalalabad und vielleicht bald auch Kandahar fallen wohl in die zweite Kategorie.
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5) Verlierer Pakistan, Sieger Russland und Iran

Derzeit scheint der große Verlierer der noch offenen Partie am Hindukusch Pakistan zu sein. Dessen allmächtige Militärs hatten mit dem Plazet der Vereinigten Staaten Mitte der 90er-Jahre alles auf das Pferd Taliban gesetzt. Der Erfolg schien ihnen Recht zu geben. Doch Schritt für Schritt wurde den USA ihr ins Kraut schießender Antiamerikanismus zu bunt. Ebenso wenig konnte das geplante Pipeline-Projekt von Zentralasien über Afghanistan ans arabische Meer verwirklicht werden. Vergeblich versuchten die US-Administration über Pakistan einen moderaten prowestlichen Flügel an die Macht zu bringen – vergeblich. Mit dem Krieg gegen die Taliban und der erst wenige Monate alten Unterstützung der Nordallianz, dem dezidiertem Feind Pakistans, versetzten die USA Pakistan einen schweren strategischen Schlag.

Unter diesem Druck musste Pakistan die Unterstützung für die Taliban massiv einschränken. Doch es verfügt über keinerlei gangbare Alternative. Der König ist keine verlässliche Kraft, der pakistanische Interessen vertreten könnte, genauso wenig wie einzelne Stammesführer, wiewohl sie diese zu formieren versuchen. Hinzu kommt die Gefahr des paschtunischen Nationalismus, der die territoriale Integrität Pakistans selbst bedroht, auf dessen Territorium vermutlich bereits die Mehrheit der Paschtunen lebt. Die Taliban konnten diesem Nationalismus noch über den Panislamismus Ausdruck verleihen, der Pakistan nicht gefährdete. Jede weniger stark islamisch gefärbte politische Kraft der Paschtunen, die sich am ehesten auf der Traditionslinie der Khalqis etablieren könnte, schriebe sich Paschtunistan mehr oder weniger offen auf die Fahnen.

Die Gewinner sind die Feinde Pakistans und auch der USA. Russland und Iran – und indirekt auch Indien – üben auf die verschiedenen Kräfte der Nordallianz entscheidenden Einfluss aus. Die USA konnten zweitere nur mit ersteren Zustimmung instrumentalisieren, die aber die Rücknahme der Aggression gegen diese Staaten notwendig macht. Da die Versorgung der Truppen und im weiteren Sinn auch die wirtschaftliche Entwicklung eines von der Nordallianz geführten Regimes vom Wohlwollen dieser zwei Staaten abhängt, zeichnet sich auch keine Änderung dieses Umstandes ab. Im Gegenteil, die vorprogrammierten Konflikte der Nordallianz mit den USA könnten erste noch weiter in die Arme Russlands treiben.

Sollte es zu einer De-facto-Teilung des Landes kommen, die keineswegs im Interesse der USA ist, so würde diese Abhängigkeit von Russland und Iran nur noch weiter akzentuiert.
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6) Imperialistische Truppen

Die genannten Interessensgegensätze sowohl zwischen den Akteuren in Afghanistans selbst als auch den involvierten regionalen Mächten wird es dem Imperialismus schwer machen, ein ihm dienliches stabiles Regime einzusetzen.

Die Nordallianz wird sich nicht so ohne weiteres von den errungenen Machtpositionen trennen. Denn sie wird von Eigeninteressen angetrieben. Und es ist letztendlich die Nordallianz, die über die militärische Macht vor Ort verfüht. Die Episode um die von den USA nicht gewünschte Einnahme Kabuls ist ein Vorbote kommender Schwierigkeiten. Die Paschtunen und Pakistan werden aber nicht bereit sein die Herrschaft der Nordallianz, selbst wenn sie eine paschtunische Tarnung finden sollte, anzuerkennen.

Daher scheint der Einsatz und selbst die Stationierung imperialistischer Truppen unerlässlich. Doch dem Westen ist klar, welche Probleme eine massive Truppenpräsenz bringen könnte. Man wird also versuchen über die UNO Truppen aus islamischen Ländern, insbesondere des Nato-Staates Türkei, ins Land zu bringen und die eigene direkte Präsenz so gering als möglich zu halten.

Insbesondere eine Fortsetzung des Krieges gegen die Taliban würde aber eine immer stärkere direkte Involvierung imperialistischer Truppen bedeuten, was wiederum den Volkswiderstand anfachen könnte.
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7) Fortsetzung des Krieges

Vieles spricht also dafür, dass der Krieg sich in anderer Form fortsetzt. Gehen die Taliban zum Guerillakrieg über – und dazu scheinen sie zumindest für eine gewissen Zeit fähig –, dann könnte sich die paschtunische Mehrheit in Ermangelung einer politischen Alternative auf ihre Seite stellen, insbesondere in ihren Kernregionen.

Der Guerillakrieg kann lange geführt werden, erfolgreich im Sinne des Sturzes des Regime und der Vertreibung der imperialistischen Truppen kann er aber nur mit massiver militärischer Hilfe von außen, so wie es gegen die Sowjetunion der Fall war, sein und die ist nicht abzusehen. Pakistan kann zwar ein Auge zudrücken, aber solange die USA die Taliban als Feind betrachten, kann Pakistan ihnen keine substantielle Hilfe gewähren.

Gelingt es den USA bin Laden zu ergreifen und die Taliban-Führung zu vernichten, so könnte Pakistan eine Nachfolgebewegung der Taliban wieder unterstützen. Dies würde einer De-facto-Teilung des Landes nur noch weiter Vorschub leisten.
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8) Und die Kriegsziele der USA?

Die gleichgeschalteten imperialistischen Medien sind ob des strategischen Rückzugs der Taliban gleich in Siegesgeschrei ausgebrochen. Das war nicht anders zu erwarten. Der Erfolg eines Krieges ist jedoch am Ziel zu messen.

Und da beginnt bereits das Problem der Weltmacht USA. Sie konnten sich das Ziel nicht sorgfältig auswählen, sondern sie wurden durch die Angriffe vom 11. September zur schnellen Reaktion gezwungen.

Zu aller erst wurde der Krieg notwendig um Vergeltung zu üben und die überwältigende militärische Überlegenheit der USA zu beweisen. Dies ist mit der Vertreibung der Taliban von der Macht und mit der entsprechenden Medienorchestrierung gelungen, auch wenn man dem „leibhaftigen Bösen“ in Gestalt von Osama bin Laden bisher nicht habhaft werden konnte.

Zweites Ziel ist konsequenterweise die Errichtung eines proimperialistischen Regimes, das möglichst auf eigenen Füssen steht. Davon sind die vermeintlichen Weltenlenker in Washington weit entfernt. Im Gegenteil, dessen Erreichung bleibt unwahrscheinlich. Vielmehr ist eine längerfristige militärische Verstrickung möglich, die sich politisch für die USA sehr nachteilig auswirken könnte.

Drittes Ziel ist die Stärkung des regionalen Einflusses. In dieser Hinsicht kann mit Fug und Recht von einem Misserfolg der USA gesprochen werden. Ihr Hauptverbündeter Pakistan ist nicht nur politisch destabilisiert, sondern hat jeden Einfluss zugunsten Russland, Irans und des Erzfeindes Indien verloren. Die Vereinigten Staates mögen dafür die Präsenz ihrer Truppen in einigen zentralasiatischen Republiken, insbesondere Usbekistan, erreicht haben. Doch bleiben diese grundlegend von Russland abhängig, das mittels der Nordallianz dem amerikanischen (Rohstoff-)Zugriff auf Zentralasien einen Sperrriegel vorschieben konnte. Insgesamt ist man der Beherrschung Zentralasiens nicht näher gekommen.

Viertens haben die USA den Konflikt mit dem politischen Islam nun verallgemeinert und treiben den ehemaligen Verbündeten nun in eine zunehmend antiimperialistische Richtung. Zwar musste die Bin-Laden-Strömung in Afghanistan zweifellos eine Teilniederlage einstecken, denn der Aufstand der zum Dschihad aufgerufenen muslimischen Massen kam nicht. Doch zeigt das vor allem die politische Schwäche und Unzulänglichkeit des sozialkonservativen Islamismus ägyptisch-saudischer Prägung, der nicht in der Lage ist die Massen mit ihren sozialen, politischen und kulturellen Forderungen anzusprechen. Der zunehmenden Sympathie der verarmten Volksmassen für einen islamisch gefärbten Antiimperialismus tut das jedoch keinen Abbruch. Dies gilt für den arabischen Zentralraum über den indischen Subkontinent bis hin nach Indonesien. In Zentralasien, wo bis zuletzt islamische Bewegungen von Tschetschenien bis Sinkiang gegen die Feinde der USA über Afghanistan instrumentalisiert wurden, wird man die Unterstützung massiv zurückfahren. (Das bedeutet aber weder, dass alle islamische Bewegungen antiimperialistisch wären, noch dass die USA die eine oder andere Kraft nicht mehr instrumentalisieren würde. Die Konstatierung einer allgemeinen Tendenz enthebt uns nicht der Notwendigkeit einer konkreten Analyse der in einem spezifischen Land wirkenden Kräfte.) Dennoch, ganz unabhängig vom Schicksal bin Ladens, handelt es sich um einen amerikanischen Einflussverlust.

Insgesamt konnten die USA mit dem Krieg die unipolare Weltordnung zumindest dem Anschein nach verteidigen. Indes haben sowohl die Anschläge, als auch die in Afghanistan und in der Region aufgerissenen Widersprüche ebenso wie die für den Krieg notwendige versöhnlichere Haltung gegenüber Russland und China die Brüchigkeit der Neuen Weltordnung gezeigt. Eher früher als später wird sie einer multipolaren Ordnung weichen müssen. Der aktuelle Krieg ist nur ein weiterer Schritt dazu.
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9) Nein zur UNO

Zuallererst müssen wir für ein Ende der militärischen Aggression des Imperialismus und gegen die Stationierung seiner Truppen in Afghanistan und in der Region kämpfen.

Genauso lehnen wir „Friedenstruppen“ der UNO ab, auch wenn sie aus islamischen Ländern der „Dritten Welt“ stammen sollten. Ihre Mission wäre dennoch nur die Absicherung der imperialistischen Interessen.

Jede äußere Einmischung, sei sie militärisch oder zivil, muss von den Antiimperialisten zurückgewiesen werden, auch wenn sie unter der Fahne der UNO, in der letztlich der Westen kommandiert, durchgeführt wird. Dazu zählt das Projekt einer breiten Übergangsregierung, das nun mit den Verhandlungen in Bonn in Angriff genommen werden soll.

Unter den heutigen Umständen lehnen wir auch die Loya Jirga, die von vielen als einziger Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts gesehen wird, ab, denn in ihr kommen im wesentlichen die Interessen der Stammeselite zum Ausdruck, die unter Wahrung ihrer Autonomie und einer formalen nationalen Unabhängigkeit für eine proimperialistische Lösung zu instrumentalisieren sein werden.

Die konsequente Anwendung des Selbstbestimmungsrechts in einem demokratisch und antiimperialistischen Sinn bedeutet die Unterstützung all jene Kräfte, die gegen den Imperialismus und sein Projekt eines Marionettenregimes kämpfen. Das könnten die Reste der Taliban sein, das könnten in Zukunft aber auch Teile der Nordallianz sein, die mit den USA in Konflikt geraten.
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10) Paschtunistan

Der britische Imperialismus hinterließ am indischen Subkontinent und im angrenzenden Raum eine Grenzziehung, die dem Erhalt seiner Machtinteressen am besten zu dienen schien und den Völkern bis heute das Selbstbestimmungsrecht verweigert.

Am schärfsten drückt sich das in der Schaffung Pakistans aus, dass der Schwächung des mit einer gewaltigen antiimperialistischen Bewegung der Volksmassen schwangeren Indiens dienen sollte. Zurück blieb ein Völkerkäfig, denn keine der vier großen Nationalitäten Pakistans hat entsprechende nationale Rechte. Die Paschtunen sind eine unterdrückte Nationalität, gegen deren Unabhängigkeitsbestrebungen unter anderen Pakistan geschaffen und die Grenzziehung mit Afghanistan beibehalten wurde.

Seit Beginn des indischen Befreiungskampfes forderten die Paschtunen oder zumindest ihre Intelligenzija die nationale Selbstbestimmung. Die britischen und in der Folge die pakistanischen Interessen waren diesen Bestrebungen immer diametral entgegengesetzt.

Im Krieg gegen die Sowjetunion kam der paschtunische Nationalismus nur vermittelt über den Islamismus zum Ausdruck. Einerseits war ein säkularer, linker Nationalismus mit der sowjetischen Invasion gescheitert und die Massen wandten sich islamistischen Strömungen zu. Andererseits förderte Pakistan ganz bewusst die islamistischen Kräfte, um ja keine panpaschtunischen Ideen aufkommen zu lassen.

Doch die nationalen Selbständigkeitsbestrebungen sind bis heute latent vorhanden und können bei Ausschluss der Paschtunen von der Macht explosiven Charakter annehmen. Die Bürgerkriegsparteien entwickelten sich im Verlauf des Konflikts entlang der verschiedenen nationalen Identitäten und schufen diese zum Teil erst. (Denn in der bisher vorherrschenden Stammesgesellschaft spielte diese nur eine untergeordnete Rolle.) Mit der Machtübernahme der nichtpaschtunischen Nordallianz wird der nationale Charakter des Konflikt noch verstärkt, denn falls die Taliban weiterhin Widerstand leisten und zwar ohne die Unterstützung Pakistans und selbst gegen dessen Willen, dann könnten sie oder ihre Nachfolgebewegung nicht mehr allein und so sehr die Avantgarde des islamistischen, sondern auch des paschtunischen Widerstand werden – und das auch auf pakistanischem Boden.

Unter den heutigen Bedingungen ist die Forderung nach einem Paschtunistan durchaus antiimperialistisch, weil sie sich sowohl gegen das in seiner gesamten staatlichen Konzeption reaktionäre und proimperialistische Pakistan richtet als auch das Selbstbestimmungsrecht gegen ein vom Westen gesteuertes vermeintlich breites Regime in Afghanistan betont.
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11) Permanenter Krieg?

Mehrfach hat der amerikanische Imperialismus angekündigt, dass es sich um einen langen Krieg handeln würde. In den letzten Tagen haben sich die Drohungen gegen den Irak derartig verschärft, dass man sie kaum anders denn als Vorbereitung für eine neuerliche massive militärische Aggression interpretieren kann.

Nach innen hin kann dies als Versuch der USA verstanden werden, der strukturellen kapitalistischen Krise, die durch die aktuelle Rezession besonders spürbar wird, mittels eines stark gesteigerten Rüstungsprogramm entgegenzuwirken. Der permanente Krieg dient dann zu dessen permanenter Rechtfertigung.

Auf internationaler Ebene kommt darin die Tatsache zum Ausdruck, dass die Neue Weltordnung nur mehr mittels permanentem Krieg aufrechtzuerhalten ist. Doch mit jeder Intervention reißt der US-Imperialismus mehr Widersprüche auf als er löst – gegenüber den Staaten, die er zu beherrschen versucht, aber vor allem auch gegenüber den Milliarden Verdammten dieser Erde, deren Hass auf all das, was für den westlichen Wohlstandbürger als Inkarnation des Guten gilt, sich unweigerlich vertieft. Ob eine militärische Fortsetzung des Genozids am irakischen Volk zur Opposition Russlands und anderer Staaten führen oder ob es eine Rebellion unter den arabischen Massen auslösen wird, ist nicht vorauszusehen. Doch sie bringt uns dem Zusammenbruch der US-Hegemonie einen weiteren Schritt näher.

Wir müssen ausnahmslos alle Kräfte unterstützen die in diese Richtung wirken, dabei jedoch unsere politische Unabhängigkeit wahren und unsere eigenen Kräfte stärken. Denn ist die monopolare Ordnung einmal von einer multipolaren, deswegen aber immer noch kapitalistischen Ordnung – oder besser Unordnung –, abgelöst, denn eröffnet sich wieder die Möglichkeit für siegreiche soziale Revolutionen.

Antiimperialistische Koordination
Wien, 28. November 2001″

Erstveröffentlichung am 28. November 2001 auf »Antiimperialistisches Lager«. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers. Bilder und Bilduntertexte wurden ganz oder zum Teil von der Redaktion »RoterMorgen« hinzugefügt.
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Lest dazu auch:

Afghanistan: Warum nur das Ende der Besatzung den Weg zur Befreiung öffnet

 

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14 Kommentare

  1. Der andere Blick

    Afghanistans Korruptionsgesellschaft demnächst in EU-Europa?

    »Das Debakel in Afghanistan beendet Merkels Ära.
    Die deutsche Kanzlerin macht nur noch Dienst nach Vorschrift. Sie geht ins Kino, während in Kabul Landsleute um ihr Leben fürchten. Diese Wurschtigkeit ist symptomatisch: Unter Merkel regierten die Bürokratie und das Desinteresse an der Zukunft.«

    Vgl. Neue Zürcher Zeitung *

    Kommentar

    Afghanistans Korruptionsgesellschaft und Kollaborateure demnächst im westlichen Konsumparadies.

    Kommt jetzt die berechtigte soziale Neiddiskussion in Deutschland und EU-Europa zum Zuge?

    Kann man davon ausgehen, das m/w Korruptionswillige der vormaligen afghanischen Regierung und Behörden sich bereits rechtzeitig und relativ problemlos ins Ausland abgesetzt haben? Jetzt können sie ihre unterschlagenen Millionen im Exil genießen. Dabei sowohl in den Vereinigten Staaten wie in der Schweiz. Aber auch Weitere werden das Raubvermögen in Deutschland genießen können, ohne dabei von den Behörden und der deutschen Justiz und Politik belästigt zu werden. Jetzt dürfen sie sich täglich am Konsumparadies beteiligen. Gegebenenfalls werden sie auch noch sozial privilegiert, entgegen der deutschen Bevölkerung, so auch mit Wohnungen und anderen Extras.

    * Vgl. Afghanistan: Das Debakel beendet Merkels Ära (nzz.ch)
    https://www.nzz.ch/meinung/der-andere-blick/afghanistan-das-debakel-beendet-merkels-aera-ld.1640876?reduced=true

    Info-Empfehlung: EMMA bleibt mutig!

    AFGHANISTAN: IHNEN DROHT DER TOD

    »Der Westen hinterlässt verbrannte Erde. Wieder einmal. Und die Islamisten übernehmen die Macht. Was können wir tun? Alice Schwarzer fordert: Jetzt nur Frauen als Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen!«

    Siehe: Afghanistan: Ihnen droht der Tod | EMMA
    https://www.emma.de/artikel/afghanistan-ihnen-droht-der-tod-338835

    18.08.2021, R.S.

  2. 10.000 Tonnen
    = 10.000.000 kg
    = 10.000.000.000 g
    = 1.000-Milliarden € „Marktwert“;
    was einem BSP von mindestens
    = 5.000-Milliarden € entspricht.
    Das heißt, obwohl pro Hektar nur rund 33 kg Schlafmohn geerntet werden, kann man damit die größten Profite in der Landwirtschaft erwirtschaften:
    33 kg Opium = 3.3 Mio. Euro pro Hektar und Jahr und STEUERFREI
    Aufwand pro Hektar 500,- Euro
    => Profit: 660.000 %
    zum Vergleich:
    Körner-Mais = 0,20 €/kg – Ernte rund 5.000 kg/ha => 1.000,- pro Hektar und Jahr und Steuerpflichtig
    Aufwand pro Hektar 500,- Euro
    => Profit: 100 %
    Dem Opium-Kartell – bestehend aus den USA, GB, EU, BRD usw. – ging es in Afghanistan die letzten 20 Jahre allein darum, die Anbauflächen für Schlafmohn zu vergrößern und den Opiumhandel sowohl auszubauen als auch zu sichern.

  3. Interessant zeigt aber dass am Ende eine Aufteilung des Landes in patschtunische und nichtpatschtunische Gebiete als einzige Lösung bleibt.

  4. Afghanistans Klassengesellschaft im Klassenkampf.
    Taliban suchen nach «Kollaborateuren»

    Die Oberschicht findet ihre Aufnahme im westlichen Konsumparadies.

    »Die wichtigste Lehre aus dem Debakel in Afghanistan: Der Westen kann die Welt nicht retten. Lange hat der Westen die Werte der liberalen Weltordnung verteidigt. Doch in Afghanistan ist die schöne Idee endgültig gescheitert. Mehr Bescheidenheit täte dem Westen gut, sonst werden weitere Niederlagen folgen.«

    Vgl. Neue Zürcher Zeitung *

    Kommentar

    Afghanistans Klassengesellschaft.

    Die afghanische Oberschicht wird gerettet, die Armen müssen vor Ort überleben.

    Vorgeblich soziale Bemühungen des Westens konzentrierten sich vor allem um die weitere Förderung der sozialen Oberschicht und deren korrupten Eliten und Stammesführungen. Die große Mehrheit der afghanischen Bevölkerung hat davon in keiner Weise profitiert. Vor allem blieb die Landbevölkerung davon ausgespart, ebenso auch die Mehrheit der städtischen Erwerbsbevölkerung, die keinen gesicherten Zugang zu sozialen Leistungen hatte.

    Profitiert haben die Hilfskräfte und Kollaborateure der westlichen Alliierten und deren vorgeblichen NGOs und entsprechenden Diensten. Zudem hat sich die afghanische Oberschicht die einträglichen Posten untereinander aufgeteilt. Gleiches gilt für deren sozial privilegierte Töchter und Frauen. Vorrangig konzentrieren sich die westlichen (imperialistischen) Fluchthilfen auf die bisher schon sozial und materiell privilegierten Afghanen. Für 80 Prozent der afghanischen Bevölkerung hat es kaum bzw. selten eine soziale Hilfe gegeben. Mit Ausnahme der Frauen der Oberschicht Afghanistans hat es für mehr als 90 Prozent der afghanischen Frauen keine Bildungsmöglichkeit und soziale Verbesserung gegeben.

    PS: Selbst unter den Taliban könnte das Leben jetzt für die Mehrheit der Frauen aus den unteren sozialen Schichten erträglicher werden. Lebenswerter, als unter den bisherigen korrupten Eliten Afghanistans und deren ideologisch-politischen Anbindung am materiellen Nasenring der destruktiven bisherigen westlichen Vorgaben.

    ●, die korrupte Oberschicht und deren m/w Hilfswillige finden jetzt ihre Aufnahme in den USA, Deutschland und gegebenenfalls in der Schweiz und Liechtenstein. Vorausgesetzt das sie auch zu Jenen gehörten, die rund 40 Prozent der 2.000 Milliarden US-Dollar an westlichen Kosten und Steuergeldern für den gesamten Afghanistaneinsatz unterschlagen hatten (rund 800 Mrd. USD in die diversen Privatschatullen der letzten 20 Jahre).

    * Vgl. Afghanistan, Biden, Nato: Der Westen kann die Welt nicht retten (nzz.ch)
    https://www.nzz.ch/meinung/der-andere-blick/afghanistan-biden-nato-der-westen-kann-die-welt-nicht-retten-ld.1641143?reduzed=true

    Siehe auch: Taliban suchen nach «Kollaborateuren»
    Afghanistan: Die neuesten Entwicklungen im Bürgerkrieg (nzz.ch)
    https://www.nzz.ch/international/afghanistan-die-neuesten-entwicklungen-im-buergerkrieg-ld.1541939?reduced=true

    20.08.2021, R.S.

  5. Hier fehlt der Anfang der Geschichte. Woher kommt der Taliban? Wer hat ihn gegründet. Wer hat ihn finanziert? Wer hat ihn bewaffnet? Zu welchem Zweck sind die Amerikaner in das Land eingefallen?

  6. Afghanistan: „Vietnam 2.0“

    Unter den Taliban wurde der Mohnanbau drastisch reduziert (2001: 185 Tonnen).

    In Folge der Besatzung durch die USA und NATO-Politik vervielfältigte sich unter alliierten westlichen Schutz der Mohnanbau und weltweite Export, unter anderem nach Europa und in die USA. Dabei diente auch die deutsche Bundeswehr dem Schutz von klein-bäuerlichen und landwirtschaftlichen Mohnfeldern in Afghanistan.

    Der unter den alliierten NATO-Truppen geschützte und forcierte Mohnanbau/Opium-Produktion und Heroin in Afghanistan (2017: 9.000 Tonnen) diente auch als Währung zur Finanzierung von Warlords und geheimdienstlichen Aktivitäten und mafiösen Geschäften des internationalen Drogenhandels.

    Info-Empfehlung: Der Regierungswechsel in Afghanistan lief reibungsloser als nach der US-Präsidentenwahl. Ohne einen Schuss abzugeben, haben die Taliban am Wochenende auch Kabul eingenommen. Haben die Amerikaner in Afghanistan gerade ihr „Vietnam 2.0“ erlebt? Sind die Taliban 2.0 noch dieselben, die 2001 verjagt wurden? Und was bedeutet das auf dem geopolitischen Schachbrett?
    Siehe: VIETNAM 2.0 | Das 3. Jahrtausend #66 – YouTube
    https://www.youtube.com/watch?v=PYRYiGN8Wf0

    Vgl. Afghanistan, Biden, Nato: Der Westen kann die Welt nicht retten (nzz.ch)

    Siehe auch: 18.08.2021: Taliban-Machtübernahme – Drogenbeauftragte Ludwig erwartet mehr Drogen aus Afghanistan (deutschlandfunk.de)

    21.08.2021, R.S.

  7. Hier ist noch etwas, was die bürgerliche Mitte der ganz, ganz großen europäischen Werte verschweigt: Vergesst nicht, die afghanischen #Ehepartner*innen von #Deutschen auszufliegen, auch wenn es „nur“ eine Bauhelfer*in sein sollte! #Werte.
    „Gleichzeitig wird jedoch darauf hingewiesen, dass in den Nachbarländern (z. B. Indien, Pakistan, Iran) die Teilnahme an A1-Prüfungen und somit der Erwerb des Sprachzertifikats grundsätzlich möglich ist, sodass ein genereller Verzicht auf den Sprachnachweis weder möglich noch erforderlich ist.“
    https://afghanistan.diplo.de/blob/2188132/2f6890d6bfe312a493b1c1b4b3cb039a/d-visa-merkblatt-sprachnachweis-data.pdf?fbclid=IwAR3eU0e8JyNkFwWR1Lwxkf3pLbRZwNiU8F2I5wXI2Ne4L4_NDWxBzDBusdg

    Auch daran können Sie erkennen, wie verlogen die Gesänge über „Werte“ sind. Der verrotte bürgerlich neoliberale, deutsche Faschismus macht nicht einmal bei Lebensgefahr und bewiesener Gefahr im Verzug vor den Familienangehörigen der eigenen Staatsbürger halt.

  8. Der gewissenlos Hintergrund der Regierung zeigt sich nirgends so deutlich wie jetzt mit den Taliban. Es war von vorneherein klar, dass die Taliban das Verlorene wieder zurückholen werden, was ihnen genommen wurde. Wer das verweigert zu sehen, taugt nicht als Regierung. Vor allem zeigt dies das ganze Lügengebäude der angeblichen Frauenbefreiung. Was dies für das eigene Land hier bedeutet, sollte auch klar sein.

  9. Der afghanische Bauernkrieg.

    Der andere Blick

    Die Taliban im afghanischen Bauern- und Befreiungskrieg?

    Vor 500 Jahren in Zentraleuropa, bei rund 85 Prozent ländlicher Bevölkerung, waren die bäuerlichen Familien, die Männer und Frauen, miteinander humanistischer als heute im 21. Jh. in großen Teilen der feudal-islamischen Welt. Ihre damaligen Gegenspieler waren der feudale Adel und die katholische Kirche, die auch die sog. Hexenverfolgung vor allem gegen Frauen betrieben. So wurde auch der männliche und weibliche Bauernaufstand unter Führung von Thomas Müntzer um 1525 von der katholischen Kirche im Zusammenspiel mit den Fürsten und durch den Verrat Martin Luthers militärisch niedergeschlagen.

    ►Es bleibt zu hoffen, dass die heutigen Taliban sich in politischer Analogie zum Bauernaufstand befinden und die feudale Bourgeoisie und Hilfswilligen der NATO niedergeschlagen werden.

    Die afghanische Korruptionsgesellschaft und deren männlichen und weiblichen Hilfswilligen finden heute ihre soziale Alimentierung und Aufnahme im westlichen Konsumparadies Europas. Insbesondere auch in Deutschland.

    PS: Die evangelikalen Gutmenschen sorgen derweil für ihre Kollekte.

  10. Afghanistan-Kriegskosten der USA

    Quelle: Neue Zürcher Zeitung am 23.08.2021

    »Wo die Billion Dollar geblieben ist, welche die USA in den Afghanistan-Krieg gesteckt haben. Viel Geld floss direkt in den Krieg, relativ wenig in den Aufbau des Landes. Milliarden wurden verschwendet. Entsprechend wenig bleibt nach dem Abzug der Amerikaner.«

    Von Nikolai Thelitz und Alexandra Kohler, 23.08.2021

    »Nach fast 20 Jahren Krieg in Afghanistan ergreifen die Taliban wieder die Macht, kurz vor dem definitiven Rückzug der amerikanischen Streitkräfte aus dem Land. Der Plan von George W. Bush und seiner Regierung, aus Afghanistan einen demokratischen Rechtsstaat zu machen, sind vorerst gescheitert. Was bleibt, ist neben 240 000 Todesopfern eine hohe Rechnung für den amerikanischen Steuerzahler.

    Laut Zahlen des Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (Sigar) kostete der Krieg die Amerikaner bisher knapp 1 Billion Dollar. Davon floss die grosse Mehrheit (837 Milliarden) in Ausgaben für den Krieg, 133 Milliarden werden als Aufbaukosten ausgewiesen.

    2011 und 2012 waren die Kosten jeweils am höchsten

    Doch auch von den Aufbaukosten floss der grösste Teil in die Sicherheit des Landes. Rund 89 Milliarden Dollar wurden etwa für das Training afghanischer Soldaten, den Kampf gegen den Drogenhandel oder die Friedenssicherung verwendet. Etwa 36,3 Milliarden (3,7 Prozent der gesamten Ausgaben) wurden in die Entwicklung des Landes gesteckt, etwa in Infrastrukturprojekte, Sozialprogramme oder das Gesundheitssystem. Auch hier floss ein Teil der Gelder in den Kampf gegen den Drogenhandel.

    Wenig Geld für humanitäre Hilfe

    Der Aufwand der US-Regierung für humanitäre Hilfsprojekte beschränkte sich auf 4,2 Milliarden Dollar. Die grössten Budgetposten waren hier Flüchtlings- und Katastrophenhilfe. Rund 16 Milliarden betrugen die operationellen Einsatzkosten, etwa für die Sicherheit der Botschaft und von deren Personal oder für die Aufsicht über die Programme.

    Milliarden Dollar verschwendet

    Im Laufe der Jahre stellte der Generalinspektor immer wieder fest, dass Gelder verschwendet oder missbraucht wurden. Die Recherche-Plattform ProPublica hat Berichte der Aufsichtsbehörde gesammelt, welche die Verschwendung, den Betrug oder den Missbrauch von Steuergeldern untersucht.

    Ein Sigar-Bericht von 2015 stellte etwa fest, dass trotz den 8,2 Milliarden Dollar, welche die USA in Afghanistan für den Kampf gegen den Drogenhandel eingesetzt hatten, das Land weiterhin der weltweit grösste Opiumproduzent war. Das Geschäft mit dem Mohnsaft, aus dem unter anderem Heroin hergestellt wird, gilt als zweitwichtigster Wirtschaftszweig Afghanistans – nach der Kriegswirtschaft.

    An der Situation hat sich trotz weiteren 700 Millionen an Geldern nichts geändert. Die Taliban finanzierten sich laut Experten bereits vor der Machtübernahme zu über 60 Prozent aus dem Opiumanbau. Nun kontrollieren sie ein Land, das laut dem Uno-Büro für Drogen und Kriminalität (UNODC) für 85 Prozent der weltweiten Opiumproduktion verantwortlich ist.

    Auch weitere teure Projekte der Amerikaner scheiterten laut der Recherche von ProPublica: Zwei Milliarden Dollar steckten die USA in den Bau von Strassen, welche die Afghanen wegen fehlender Gelder und technischer Fähigkeiten wohl nicht selbst instand halten können. 660 Millionen wurden in gepanzerte Fahrzeuge investiert, die Afghanen wurden aber für die Wartung und Reparatur nicht genügend geschult.

    Immerhin stieg die Zahl der Schulkinder

    Vollkommen vergebens war der Effort der Amerikaner in Afghanistan dennoch nicht. Grosse Anstrengungen unternahmen sie etwa bezüglich der Bildung der afghanischen Kinder, vor allem der Mädchen. Rund 1,3 Milliarden investierte die Behörde für Internationale Entwicklung (USAID) in Bildungsprojekte, etwa für die Herstellung von Schulbüchern, Stipendien und Uni-Vorbereitungskurse für junge Frauen oder die generelle Verbesserung des Bildungssystems.

    Nach dem Einmarsch der Amerikaner stiegen die Einschulungsraten stark an. Ein grosser Unterschied zwischen Knaben und Mädchen blieb aber bestehen.

    Invasionen zeigen eine direkte Auswirkung auf die Einschulungsraten in Afghanistan

    Nachdem die Taliban 1996 das Afghanische Emirat nach Islamischem Recht ausgerufen hatten, wurden in den Jahren darauf nur gut 40 Prozent der Knaben und so gut wie gar keine Mädchen eingeschult. Im Vergleich: In Südasien lag die durchschnittliche Einschulungsquote für Mädchen und Buben im Jahr 2001 bei 90 Prozent. Bereits in den 1970er und 1980er Jahren waren in Afghanistan schon viele Kinder nicht in die Schule gegangen.

    Auch andere Indikatoren wie die Kindersterblichkeit und die Lebenserwartung haben sich während der amerikanischen Präsenz im Land verbessert, die Trends bestanden hier aber schon vor der US-Invasion. Andere positive Entwicklungen, wie etwa das gestiegene Bruttoinlandprodukt, dürften nicht nachhaltig sein, denn die afghanische Wirtschaft ist von der Kriegsindustrie und Hilfszahlungen abhängig. Die Armut im Land ist in den letzten Jahren noch gestiegen, und sie bleibt hoch, wie die «New York Times» schreibt.

    Die Schlussrechnung folgt erst noch

    Aus den Kampfeinsätzen im Nahen Osten dürften für die Amerikaner hohe Folgekosten entstehen. So schätzt die amerikanische Brown-Universität in einer Studie die Gesamtkosten der Post-9/11-Kriege (also inklusive des Irak-Kriegs und der Anti-Terror-Einsätze in anderen Ländern) für den Steuerzahler auf insgesamt rund 6,4 Billionen Dollar.

    Teuer (geschätzte Kosten: 925 Milliarden) werden etwa die Zinszahlungen für die Billionen, die für die Kampfhandlungen aufgewendet wurden. Auch die medizinische Versorgung der Veteranen wird künftig noch mindestens eine Billion Dollar kosten.

    Hohe Folgekosten für Kriegseinsätze

    Nach der Machtübernahme der Taliban steht also fest: Die teuer ausgebildeten afghanischen Streitkräfte mussten sich in Rekordzeit geschlagen geben. Korruption, Misswirtschaft und mangelnde Kampfmoral sind nur einige der Gründe, warum die investierten Gelder nicht den erhofften Erfolg brachten. Doch auch viele der Aufbauprojekte in Afghanistan haben sich nicht ausgezahlt. Der Effekt der US-Präsenz in Afghanistan dürfte vielerorts nicht nachhaltig gewesen sein.« Vgl. NZZ *

    * Vgl. Afghanistan-Krieg: Was die Billionen-Investition gebracht hat (nzz.ch)
    https://www.nzz.ch/international/afghanistsan-krieg-was-die-billion-investition-gebracht-hat-ld.1640697

    23.08.2021, Reinhold Schramm (Übernahme aus Quelle: NZZ, 23.08.2021)

  11. Afghanische Fachkräfte werden in Afghanistan gebraucht!

    Oder: davonlaufen und sozialstaatliches Asyl im Konsumparadies der EU ist keine Lösung.

    Von Reinhold Schramm

    «Nicht die Taliban, sondern wir haben den afghanischen Staat zerstört»

    »Der Triumph der Taliban und der Kollaps des afghanischen Staates haben den Afghanistan-Experten Gilles Dorronsoro nicht überrascht. Im Interview erklärt er, warum das State-Building-Projekt des Westens von Anbeginn zum Scheitern verurteilt war.«

    Vgl. Neue Zürcher Zeitung *

    Kommentar

    Fachkräfte werden in Afghanistan gebraucht!

    Jetzt sollten sich alle afghanischen Migranten in Deutschland und EU-Europa am Aufbau einer von Korruption befreiten Wirtschaft und Gesellschaft unmittelbar vor Ort in Afghanistan beteiligen.

    Beruflich qualifizierte afghanische Frauen und Männer werden auch in Afghanistan gebraucht. Nach der Befreiung von westlichen Besatzern und deren korrupten Regierenden und falschen Eliten sollten afghanische Migranten nun ihr Land nachhaltig wirtschaftlich und sozial aufbauen. Damit auch auf ihren weiteren sozialstaatlich alimentierten Verbleib im westlichen Konsumparadies Deutschlands und Österreichs, Frankreichs und Großbritanniens freiwillig verzichten.

    Spätestens mit einer für den Aufbau und die Entwicklung Afghanistans benötigten schulischen Bildung und beruflichen Ausbildung sollten sich afghanische Migranten nicht nur aus Deutschland auf den Weg in ihre Heimat machen. Nur hier, in Afghanistan, gibt es eine gemeinsame Zukunft für alle afghanischen Frauen und Männer.

    PS: Nur gemeinsam können Frauen und Männer die kulturelle und traditionelle, die feudal-religiöse Gefangenschaft im Patriarchat des Islam und Islamismus im 21. Jahrhundert überwinden.

    Vgl. Afghanistan: Interview mit dem Konfliktforscher Gilles Dorronsoro (nzz.ch)

    25.08.2021, R.S.

  12. Das Schicksal der Afghanen hat nie interessiert.

    Brain Drain

    Jetzt auch noch NATO-Hilfskräfte und Fachkräfte aus Afghanistan?

    »Der Westen muss mit den Taliban reden, jede Hilfe und Kooperation aber an harte Bedingungen knüpfen. Sollen Europäer und Amerikaner die Taliban nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan anerkennen oder einmal mehr politisch isolieren? Keines von beidem! Aus humanitären und sicherheitspolitischen Interessen ist ein vorsichtiger Mittelweg gefragt.«

    Vgl. Neue Zürcher Zeitung *

    Kommentar

    Sollen die wenigen beruflich qualifizierten Afghanen jetzt auch noch Entwicklungshilfe in Deutschland leisten?

    Für Kollaborateure kann kein Funken von Ehre und Moral vorausgesetzt werden. Dies gilt auch für vormalige afghanische Ortskräfte der NATO-Armeen und der vom Westen eingesetzten (korrupten) Regierungen und Verwaltungen Afghanistans. Ebenso wenig für den örtlichen Warlord und Drogenbarone wie für einen Teil der Stammesführungen auch. Die feudal-religiöse Oberschicht und die Kleinbourgeoisie (vor allem in den Städten) profitierte von der Anwesenheit und Besatzungspolitik.

    Für die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung hatte sich nach dem Abzug der sowjetischen Besatzung die Lebenshaltung weiterhin verschlechtert. Auch die ländliche Bevölkerung wurde benachteiligt. Von rudimentären Bildungsangeboten profitierten vor allem die Kinder der afghanischen Feudalherren und (marginalen) Oberschicht und Bourgeoisie, so teils auch deren Töchter (vor allem in den Großstädten). Die große Masse der Bevölkerung hatte kaum Zugang zu einem Bildungsangebot. Vor allem Frauen in ländlichen Regionen blieben weitgehend von Bildung ausgeschlossen.

    ►Aktuell betreibt die Politik der USA, der EU und insgesamt aller NATO-Staaten, nicht nur den Entzug und Export von vormals sozial privilegierten Hilfskräften aus Afghanistan. Sondern auch den Entzug von Fachkräften Afghanistans, die dringend für den wirtschaftlichen und sozialen Aufbau des Landes und vor Ort in ländlichen Regionen benötigt werden.

    Brain Drain
    Der negative Fall

    »Brain Drain beschreibt im übertragenen Sinne den „Abfluss von Intelligenz und Verstand“. Das bedeutet: Ein Land verliert Spitzenkräfte aus Wissenschaft und Wirtschaft an andere Länder. Meist verlassen gut ausgebildete Arbeitskräfte ihre Heimat, weil sie anderswo bessere Arbeits- oder Forschungsbedingungen und eine höhere Entlohnung erhalten. Allerdings können auch politische und kulturelle Gegebenheiten zu Auswanderungen führen. Viele hoch qualifizierte Migranten profitieren von ihrem Umzug. Ihr Heimatland allerdings verliert mit den klugen Köpfen wichtiges Potenzial für seine Wirtschaft und seine internationale Wettbewerbsfähigkeit.«

    Quelle: Brain Drain – Wirtschaft und Schule
    https://www.wirtschaftundschule.de/wirtschaftslexikon/b/brain-drain/

    * Vgl. Neue Zürcher Zeitung am 01.09.2021:
    Afghanistan: Der Westen muss mit der Taliban-Regierung reden (nzz.ch)
    https://www.nzz.ch/meinung/afghanistan-der-westen-muss-mit-der-taliban-regierung-reden-ld.1643137

    01.09.2021, R.S.

  13. Aspekte zum Aberglauben und religiösen Wahn des ISLAM

    ►Karl Marx über den Islam (März 1854)

    „Der Koran und die auf ihm fußende muselmanische Gesetzgebung reduzieren Geographie und Ethnographie der verschiedenen Völker auf die einfache und bequeme Zweiteilung in Gläubige und Ungläubige. Der Ungläubige ist „harby“, d.h. der Feind. Der Islam ächtet die Nation der Ungläubigen und schafft einen Zustand permanenter Feindschaft zwischen Muselmanen und Ungläubigen. In diesem Sinne waren die Seeräuberschiffe der Berberstaaten die heilige Flotte des Islam.“ Ein Auszug, vgl.

    Marx: „Die Kriegserklärung – Zur Geschichte der orientalischen Frage“ (28. März 1854)
    Quelle: Marx und Engels über Religion. Dietz Verlag Berlin 1976. Vgl. Das Verhältnis des Islam zu den christlichen Religionen. Aus: MEW, Bd. 10, S. 170–176.

    ►Info-Empfehlung: Peter Scholl-Latour über den Islam 1990
    Höre: https://www.youtube.com/watch?v=v_22H7-Oy24

    ►Der heilige Stammes- und Familienclan der Kollaborateure und „Ortskräfte“ der NATO-Staaten.

    ■ «Die kommen hier nicht zurecht»:

    Deutsche Afghanistan-Veteranen warnen vor großzügiger Aufnahme ehemaliger Ortskräfte.

    Vgl. Neue Zürcher Zeitung *

    «Mir war schon 2010 klar: Wenn wir gehen, ist alles wieder beim Alten», sagt Denny Vinzing. Die breite Masse der Bevölkerung wolle die Scharia, sonst wären die Taliban nicht wieder an der Macht, so der ehemalige Fallschirmjäger.

    «Ich hatte kein Vertrauen zu den Ortskräften»

    Der frühere Fallschirmjäger Vinzing wird noch deutlicher: «Ich hatte gar kein Vertrauen zu Ortskräften.» Und das hänge mit der afghanischen Kultur zusammen. Es sei normal, dass ein Sohn bei der Polizei, ein anderer bei den Taliban, ein dritter bei einem Drogenbaron arbeite. «Die wahre Treue der Afghanen gehört ohnehin der Familie und nur ihr.» Weil die Loyalitäten der Ortskräfte für ihn schwer durchschaubar gewesen seien, habe er selbst beim Sport eine Pistole mit sich getragen. «Und nachts lag die Waffe immer unter meinem Kopfkissen.» Es sei vorgekommen, dass Ortskräfte durchgedreht seien, weil sie sich beleidigt gefühlt hätten. Sicher, das seien Ausnahmen gewesen. Mit den meisten habe man sich gut verstanden, auch einmal Schach gespielt. «Aber vertraut habe ich den Ortskräften nicht.»

    Anders als weite Teile der deutschen Politik und Öffentlichkeit sind die drei Veteranen nicht dafür, ehemalige Ortskräfte in jedem Fall nach Deutschland zu bringen. –

    Vinzing hat zudem Zweifel an der Integrierbarkeit der meisten Ortskräfte in Deutschland. «Ehemalige Übersetzer werden sich wegen der Sprache bei uns leichtertun. Aber die meisten halte ich nicht für integrierbar. Sie leben nach ganz anderen Werten. Die Stellung der Frau ist radikal anders. Die kommen hier nicht zurecht.» – Ein Auszug, vgl. Neue Zürcher Zeitung *

    * Ortskräfte nach Deutschland? Afghanistan-Veteranen warnen (nzz.ch)
    https://www.nzz.ch/international/ortskräfte-nach-deutschland-afghanistan-veteranen-warnen-ld.1643661?mktcid=smsh&mktcval=Twitter

    04.09.2021, R.S. (Zusammenfassung)

  14. Es macht mich fassungslos, was in Afghanistan passiert. Wie viel Tod und Leid, Armut und Hunger, wie viel Angst erzeugt und Hass gesaet wird.
    Ich bin wütend darüber, wie sich Politiker gegenseitig die Schuld zuweisen aber gleichzeitig ihre Fühler ausstrecken. Wahrscheinlich wird es nicht lange dauern, bis die Taliban dem Westen diktiert wie es zu laufen hat, wenn wir Wert auf unschuldige Leben legen.
    Der Abzug wirkt auf mich wie Verrat am Volk dort.

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