Heinz Ahlreip – 24. Juni 2023
Es gehört zu den grausamsten Widersprüchlichkeiten unserer Tage, dass das Finanzkapital über die Häupter der Völker das Etikett ‘Beste Demokratie aller Zeiten‘ geklebt hat, es diese indessen nur als kapitalistisch gestutzte geben kann. Ohne Massen geht es heute nicht mehr. In Deutschland zum Beispiel hat der US-Imperialismus nach 1945 dessen Demokratie geprägt. Nimmt man das Wort ‘Demokratie‘ im wahrsten Sinne des Wortes, hatte Rousseau bereits 1762 in seinem Gesellschaftsvertrag geschrieben, so hat es nie eine Demokratie gegeben, sie passe nicht für Menschen, nur für ein Volk von Göttern.
Die Entschlüsselung des heutigen pandemischen Gebrauchs des Wortes ‘Demokratie‘, das Wort, und es ist heute nur ein Wort, das unser ganzes Dasein begleitet, und das von den bürgerlichen Massenmedien bis zur Unerträglichkeit rauf und runter, tagein, tagaus abgenudelt wird. Es uniformiert uns alle, damit gehört es zu den fundamentalen Aufgaben marxistischer Aufklärung, denn es ist eines der kardinalsten Schlüsselwörtern unseres alltäglichen und sonntäglichen Lebens (Sonntagsreden). Der heute die Welt unterjochende Imperialismus, mit seiner eindeutigen Tendenz zu vollauszuschöpfender politischer Reaktion, braucht eine tonnenschwere Schatzkiste mit progressiv-glitzernden Schlagwörtern, um sich unterschwellig in die Seelen der unterdrückten Völker einzuschmeicheln. Das Wichtigste der Indoktrination, der Vertauschung von Freiheit und Sklaverei, kann auch in einem Nebensatz untergebracht sein. Die Imperialisten feilen lange, mitunter mit psychologiegeschulter Assistenz, an ihren Reden und Texten. Virtuose und nicht leicht zu durchschauende Manipulierung mit Sprache ist jeder Klassengesellschaft inne.
Es gibt Demokratie. Das ist der Ausgangpunkt für das heutige alltägliche Demokratieverständnis, zu dem wir hinzufügen müssen, was die Zensurschere abgeschnitten hat, dass dem deutschen Finanzkapital die ganze Arbeit des Volkes zur Verfügung steht. Das ist der Kern, und nicht die Diskussionen von gehirnmäßig eindimensional ausgerichteten Schwätzern, wie das Volk sich am besten selbst beherrscht, wie es seine Ketten der Sklaverei modifizieren bzw. liberalisieren kann. Der spezifisch deutschen Staatshörigkeit, zu der namhafte Philosophen beigetragen haben, eignet sich zu ewiger Versklavung.
Demokratie liegt wie eine ausgeprägte Münze vor uns und die Präger sagen: Ihr Glücklichen, ihr braucht sie nur einzustreichen, sie sei euch für immer gegeben. Die Präger haben es verstanden, die Demokratie vom elenden sozialen Milieu zu separieren, denn in diesem herrscht die völlige Ohnmacht der werktätigen Massen gegenüber den blind wütenden Kräften des Kapitalismus. Es gehört zu den auffälligen Merkmalen des bürgerlichen Demokratiebegriffs, dass Produktionsstätten und Demokratie im Gedanken auseinanderzuliegen haben. Der Produktionsprozess beherrscht im Kapitalismus die Produzenten und es ist klar, dass in diesem Milieu sich nur eine falsche, verkrüppelte Demokratie ergeben kann. Die Demokratie, die die Bourgeoisie vertritt, kann nur eine als eine über den Klassen schwebende sein, sonst wäre sie Klassenfratze. Die Demagogen haben Erfolg, es wird einstweilen angenommen, dass es Demokratie als Wille der Volksmehrheit gibt. In dieser Eindimensionalität liegt heute die Ruhe des bundesrepublikanischen Spießers, der darauf hereingefallen ist, dass es Demokratie gibt. Eine Drehung ist erfolgt, erfolgreich hat bürgerlich Ideologie ihre spezifische Klassendemokratie als die Demokratie unter das Volk gebracht.
Das von der bürgerlichen Ideologie fixierte Eindimensionale ist indessen falsch. Richtig ist, dass es keine unteilbare Demokratie gibt, sondern Demokratie und Demokratie. Der Durchschnittsdemokrat aus dem bundesrepublikanischen Sauerteig gerät sofort in Verwirrung, wenn wir uns geschichtswissenschaftlich mit der Demokratie auseinandersetzen. Es gibt eine kapitalistische Demokratie gegen den Feudalismus und eine sozialistische Demokratie gegen den Kapitalismus. Das sind die beiden bis heute in den industriell hochentwickelten Ländern vorliegenden Demokratietypen. Weder kann es eine feudale Demokratie geben noch einen feudalen Demokratismus. Das Erste, was also gegen die eindimensionalen bürgerlichen Schmalspurdenker herausgearbeitet werden muss, ist die Freilegung der komplexen Widersprüchlichkeit der Demokratie. Mit einem Ball jonglieren, ist keine Kunst, es kann aber als Kunst gelten, wenn politisch unaufgeklärte Volksmassen nur von diesem wissen. Es gibt eine Arithmetik der Demokratie und es gibt eine Algebra der Demokratie, und zwischen beiden liegt ein qualitativer Sprung. Beide sind auf den ersten Blick füreinander das Verkehrte der Wahrheit, so kalt zueinander wie eine kahle kalte Leinwand zur unergründlich verschmitzt lächelnden Mona Lisa.
Demokratie umfasst doppeltes Gedoppeltes: Die bürgerliche Demokratie gegen den Feudalismus ist eine Demokratie der Reichen gegen die Armen, die proletarische eine der Armen gegen die Reichen. Der bürgerliche Schwamm der Demokratie, mit dem Blut und Schmutz des Proletariats vollgesogen, hat die ganze Tafel leergewischt, sie formal gemacht, und wir müssen jetzt wieder Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort, wissenschaftlichen Gedanken für wissenschaftlichen Gedanken auftragen. Die reichen Bürger brauchen eine bürgerliche Staatsmaschinerie, um das proletarisch-urbane Blut der zu Lohnarbeitern gewordenen feudal-ruralen Leibeigenen zu saugen. Die formalogisch ausgelegte Demokratie ist die blendende, beste Hülle, um das Wesen der bürgerlichen Staatsmaschinerie zu verbergen: Ein nationales Kriegswerkzeug der Arbeit gegen das Kapital zu sein. Das tierische Dasein der Lohnsklaverei ist mit der bürgerlichen Demokratie völlig vereinbar. Bürgerliche Ideologen müssen ihre Demokratie als die beste aller besten Demokratien verkaufen, wir müssen einmal den Lackmantel hochheben: “Die Freiheit der kapitalistischen Gesellschaft bleibt immer ungefähr die gleiche, die sie in den antiken griechischen Republiken war: Freiheit für die Sklavenhalter“ (Lenin, Staat und Revolution, Werke, Band 25, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite 474). Die Demokratie gegen den Kapitalismus ist folglich eine der Armen gegen die Reichen. Die Formen der bürgerlichen Demokratien sind außerordentlich mannigfaltig, im Kern aber sind sie eine Diktatur der Bourgeoisie, die Formen der proletarischen Demokratien sind auch außerordentlich mannigfaltig, im Kern aber sind sie eine Diktatur des Proletariats (Vergleiche a.a.O., Seite 425). Glauben denn die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologen allen Ernstes, dass ihre ideologische Beweihräucherung der besten Demokratie aller Zeiten gegen den reißenden, alles verschlingenden Strom weltgeschichtlicher Dialektik resistent sei? Die bürgerliche Demokratie wird zerschlagen, die proletarische stirbt ab. Wie? Was? Die proletarische Demokratie stirbt ab. Was ist das denn für ein Unsinn, sagen die Chaoten. Die bürgerliche Demokratie kämpft heute um ihr Überleben mit einem Millionenaufgebot von Ideologen, die die Völker blind machen sollen: Natur und Geschichte entbehren einer dialektischen Gesetzmäßigkeit. Das ist der Kern, auf den die Konterrevolution unweigerlich insistieren muss, denn es wäre der Tod des Marxismus; die Ordnungshüter sind heute die Revolutionäre: Die Entwicklungsgesetzmäßigkeit in der Natur und in der Geschichte gilt es zu behaupten, denn diese ist als theoretischer Reflex Kompass praktisch-konsequent-revolutionären Handelns. Gegen die die Völker verderbenden Chaoten und ihrer Parteienpluralität, gegen diesen Hurrikan des Irrationalismus, als Volksfeinde völlig unfähig, Krisen im Interesse des Volkes zu lösen, gibt es eine Partei, für die die Welt nach Marx eine andere war als vor seinem Wirken. Die Weltgeschichte ist kein blindes Ungefähr, in das wir auf Sklavenschiffen verfrachtet, hineintaumeln in einen bodenlosen Abgrund, nein, wir können die Entwicklungsgesetze der Weltgeschichte eruieren und das stolze Schiff der Revolution mit dem Kompass in der Hand durch die letzten, gigantischen Klassenschlachten der Vorgeschichte links weniger rechts mehr Schläge verteilend hindurchsteuern können. Wir erkennen in dem zum Weltfrieden führenden Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie einen Kampf zwischen Gesetz und Chaos, zwischen geschichtlichen und ökonomischen Plan gegen die Anarchie der Produktion, die die Weichen auf Weltkrieg stellt.
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Not too bad, wie der Engländer sagt. Wenn auch stellenweise unverständlich, bzw. zu dick aufgetragen. „Völkerverderbende Chaoten“, einem marxistisch Gebildeten mag das etwas sagen, aber den Massen, die unter „Chaoten“ etwas völlig anderes verstehen, nämlich Leute, wie wir, die vielleicht einem anderen Ordnungsprinzip folgen, dürfte das eine Leerstelle bleiben. Abgesehen davon, dass es auch nicht wirklich trifft. Auch und gerade nicht in der revolutionären Perspektive. Der Historische und Dialektische Materialismus ist die Wissenschaft von der Wissenschaft. Die Metawissenschaft. Und eine wissenschaftlich verbriefte Erkenntnis ist, nämlich nach dem 2. Gesetz der Thermodynamik, dass kosmisches Geschehen von Entropiezunahme geprägt ist. Und darin alles Geschehen. Eines Geschehen, das erst an seinem Ende angekommen wieder bei der Ordnung angekommen sein wird. Bei der Friedhofsruhe nämlich. Solange es lebt geht es von der Ordnung zu immer mehr Unordnung. Oder wie Mao Tse-Tung das formulierte – auf die Gesellschaft übertragen: Es herrscht große Unordnung unter dem Himmel. Unordnung, die solange es Klassengesellschaft gibt, natürlich von den Herrschenden ausgeht, von ihrem in der Tat nun „chaotischen“ System, die aber darin weitere Unordnung hervorruft – die der Revolution. Die Revolution ist kein Ordnungsprinzip. Sie ist, abgesehen davon, dass sie unvermeidbar ist, stets die Ausnahme. Und auch wenn sie, auf lange Sicht betrachtet, neue Ordnungssysteme hervorbringt, ist sie für sich genommen das jeweils Höchstmaß an Unordnung. Teil der Entropiezunahme. Darin dem Krieg nicht unähnlich. Nämlich Krieg zwischen Klassen. Die Option der Revolution als „Ordnung“ zu verkaufen, kann nur die falschen „Revolutionäre“ ködern – die Spießer. Die „konservativen Revolutionäre“. Wie sie sich selber nennen. Nein, die wirklichen Revolutionäre machen sich keine Illusionen darüber, dass die Revolution nicht zufällig ein „Pakt mit dem Teufel“ ist und darin absolut kein Friedensgebet. Keine Hoffnung auf Ruhe und Frieden beinhaltet, sondern die äußerste Anstrengung in Richtung Unruhe und Unfrieden. Die Revolution ist „kein Deckchenstricken“, wie Mao-Tse-Tung uns noch verriet. Sie ist der gewaltsamste Eingriff in den Lauf der Geschichte.