Streik an Hamburger Hochschulen – Studierende haben die Nase voll!

.

Redaktion Betrieb+Gewerkschaft – 15. November 2021

Prekäre Arbeit, Studieren auf Schulden, Sparpolitik? Studierende setzen sich zu Wehr!

Ein großer Teil der Studierenden ist darauf angewiesen, neben dem Studium einer bezahlten, häufig prekären Beschäftigung nachzugehen oder sich mit Studienkrediten zu verschulden. Selbst wenn ein Anspruch auf BAföG besteht und sämtliche Hürden der Antragstellung überwunden wurden, ist der BAföG-Satz viel zu niedrig, um davon den eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können. In Städten wie Leipzig, Berlin, Köln und Hamburg ist es besonders krass, weil dort die Mieten extrem hoch sind und laufend steigen: Wer über die Runden kommen will, ist gezwungen, neben dem Studium Jobben!

Jetzt beginnt das erste Präsenzsemester in Hamburg und die normale Tagesordnung soll weitergehen, doch die Studierenden machen nicht mit. Am letzten Montag besetzten sie den Hörsaal im Von-Melle-Park 9 an der Universität Hamburg und verwandelten ihn in ein Streikcafé. Sie fordern konkrete Verbesserungen für ihre Arbeits- und Studienbedingungen an Hochschulen und solidarisieren sich mit dem Streik der studentisch-wissenschaftlichen Hilfskräfte und Tutoren/-innen) an den hessischen Hochschulen.

Besetzter Hörsaal der Sozialokonomie an der Uni Hamburg. Bild: Stine

Worum es ihnen geht, über Hintergründe und Fakten, gibt am besten der Streikaufruf wieder, den wir hier anschließend veröffentlichen:
.
„Aufruf zum bundesweiten Streiksemester (11. Oktober 2021)

Wir, Studierende und Beschäftigte der Hamburger Hochschulen, haben heute morgen den Hörsaal im Von-Melle-Park 9 an der Universität Hamburg besetzt und in ein Streikcafé umgewandelt. Mit dieser Aktion solidarisieren wir uns mit dem morgigen Streik der Studentischen Beschäftigten (studentische/wissenschaft- liche Hilfskräfte und Tutoren/innen) an den Hessischen Hochschulen und leiten unsere Aktivitäten zur Vorbereitung des Streiksemesters 2021/22 ein. Die Besetzung dient der Schaffung eines Raums zum Austausch und der Vorbereitung einer gemeinsamen Streikbewegung für bessere Arbeits-und Studienbedingungen. Hiermit laden wir alle Studierenden und Beschäftigten, die unsere Ziele teilen, dazu ein, sich mit uns zusammen zu tun. Kommt zur Info-und Austauschveranstaltung in den Hörsaal des Von-Melle-Park 9 und schließt euch uns an.
.
Gemeinsam machen wir das kommende Wintersemester zum Streiksemester und erkämpfen uns bessere Arbeits- und Studienbedingungen!

So groß die Freude über die Rückkehr in den Präsenzbetrieb an der Hochschule ist, nach nun mehr als 1½ Jahren Studium unter Corona-Bedingungen sind wir nicht bereit zur Tagesordnung überzugehen, als wäre nichts gewesen. Mit unserer Besetzung fordern wir Raum zum Austausch und zur Vernetzung ein: Denn wir müssen reden! Die Isolation in der Pandemie hat nicht nur zahlreiche soziale Netzwerke unter uns Studierenden und Beschäftigten zerstört, sie hat uns auch gezeigt, welchen Stellenwert unsere Arbeits-und Lebensbedingungen in der Politik haben. Denn zum Dank für unsere monatelange Solidarität und unser Durchhaltevermögen begrüßt man uns bei Rückkehr an die Hochschule mit einer Kürzungsoffensive, an deren Ende nicht nur eine Verschärfung des Mangels an politische Austauschräumen, sondern auch eine erneute Verschlechterung der Bedingungen für Forschung und Lehre steht[1]. Die Corona Pandemie hat darüber hinaus für viele von uns einmal mehr offengelegt, auf welch prekärem Fundament sowohl unser Studium[2] als auch unsere Arbeitsbedingungengebaut sind[3]. Doch damit ist jetzt Schluss!

Statt uns weiterhin mit den warmen Worten der grünen Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank abspeisen zu lassen, fordern wir fundamentale Verbesserungen für uns Studierende und Beschäftigte. Wir rufen Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) auf seine Blockadehaltung gegenüber der Einführung eines Tarifvertrages für Studentische Beschäftigte aufzugeben!

Solidarität mit dem Arbeitskampf der studentischen Beschäftigten, die als studentische/wissenschaftliche Hilfskräfte und Tutor/innen den Forschungs-und Lehrbetrieb mit am Laufen halten!

Aktuell versteckt sich der rot-grüne Senat aber hinter der ablehnenden Haltung des eigenen Arbeitgeberverbandes der Länder.
Vergangenen Freitag begannen nun im Rahmen der Tarifrunde der Länder die bundesweiten Verhandlungen zwischen den Gewerkschaften ver.di und GEW und dem Arbeitgeberverband, bei denen die Gewerkschaften auch die Aufnahme von Verhandlungen für einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (TVStud) fordern. Die Vertreter/innen der Landesregierungen lehnten dies in den Gesprächen strikt ab.
Gemeinsam mit den studentischen Beschäftigten fordern wir vom Hamburger Senat die sofortige Aufgabe seiner Blockadehaltung gegenüber der Einführung eines Tarifvertrages inklusive Mitbestimmungsrechten für Studentische Beschäftigte! In persönlicher politischer Verantwortung sehen wir den ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), die zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Bündnis 90/Grüne)sowie Finanzsenator Andreas Dressel (SPD), der Hamburg nicht nur im Arbeitgeberverband vertritt, sondern dort sogar dessen zweiter Vorsitzender ist.
Die jährlich über 8.000 Arbeitsverhältnisse zwischen Studierenden und der Stadt Hamburg dürfen künftig #keineAusnahme mehr darstellen, denn auch wir haben ein Anrecht auf Tarifvertrag und Mitbestimmung, so wie alle anderen Beschäftigten der Hansestadt. Wenn es der SPD und den Grünen mit ihrem Beschluss „Hamburg -Stadt der guten Arbeit“ ernst ist, dann: #TVStud jetzt! 16€ Stundenlohn, unbefristete Arbeitsverhältnisse und gesetzlich garantierte Mitbestimmung! Weil unsere Arbeit #unverzichtbar ist!
.
Gegen die Sparpolitik, für die Ausfinanzierung der Hochschulen

Bereits am 05. Juni 2021 waren wir gemeinsam auf der Straße, um gegen die Kürzungspolitik an den Hamburger Hochschulen zu demonstrieren. Die jahrelange Unterfinanzierung der Hamburger Hochschulen wird durch SPD und Grüne mitten in der Coronakrise sogar noch verschärft, obwohl sich in der Pandemie die besondere Bedeutung kritischer und eingreifender Wissenschaft einmal mehr gezeigt hat. Mit dem neuen Semester bekommen wir die Auswirkungen dieser Einsparungsmaßnahmendeutlich zu spüren: Hamburg weitfallen Professuren weg, Lehrveranstaltungen werden überbelegt oder werden sogar ganz gestrichen, wie beispielsweise die studentischen Arbeitsgemeinschaften in der Rechtswissenschaft an der UHH. Wir fordern daher ein sofortiges Ende der Kürzungspolitik in der Wissenschaft und eine Ausfinanzierung von Forschung und Bildung!
.
Kein Studieren auf Schulden – Mehr BAföG und für alle!

Der Großteil der Studierenden ist darauf angewiesen, neben dem Studium einer bezahlten -häufig prekären -Beschäftigung nachzugehen oder sich mit Studienkrediten zu verschulden. Denn selbst wenn ein Anspruch auf BAföG besteht und sämtliche Hürden der Antragstellung überwunden wurden, ist der BAföG-Satz zu niedrig, um davon den eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Dies gilt besonders für Städte wie Hamburg, in denen Mietpreise bereits jetzt durchschnittlich 40% des Einkommens Studierender verschlingen[4] und stetig steigen. Neben der Doppelbelastung durch Studium und Lohnarbeit kommt der Druck hinzu, das Studium in Regelstudienzeit abzuschließen. Die Komplexität der Antragsstellung, die Abhängigkeit von Familienverhältnissen und die Angst vor der Verschuldung führen dazu, dass gerade jene, die dringend auf die Förderung angewiesen sind, häufig vor einer Beantragung zurückschrecken. So lebten bereits vor der Coronapandemie über die Hälfte der Hamburger Studierenden unterhalb der Armutsgrenze, während nur 18% BAföG bezogen[4].Aufgrund der mangelnden staatlichen Unterstützung haben Studierende über den Verlauf der Pandemie zusammen fast 2MilliardenEuro Schulden angehäuft[5]. Dadurch wird ihre prekäre Lage verschärft und Ungleichheiten im Studium zementiert. Der BAföG-Satz muss angehoben, das Verfahren vereinfacht und die Rückzahlung wieder abgeschafft werden! Wir fordern ein elternunabhängiges BAföG für alle, ohne Einkommensgrenzen und bürokratische Hürden! Auf den desaströsen Zustand des BAföG macht u.a. aktuell auch die bundesweite Kampagne des freien zusammenschluss von student/innenschaften e.V. (fzs) „50 Jahre BAföG –(k)ein Grund zu feiern“ aufmerksam, deren Forderungen wir unterstützen![6]

#IchBinHanna – Sofortige Entfristung der Arbeitsverhältnisse im Akademischen Mittelbau!
.
Ab sofort: Jeden Tag, 9 Uhr und 13 Uhr offenes Streikplenum im Hörsaal. – Bringt euch ein!

Die unter #IchbinHanna viral gegangenen Erfahrungsberichte von Beschäftigten des Akademischen Mittelbaus, u.a. unseren Dozenten/-innen, haben für viel öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt. Zudem organisieren sich Mittelbau-Beschäftigte in zahlreichen lokalen und bundesweiten Initiativen und kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen. Denn gerade einmal ca. 7 Prozent der wissenschaftlichen Arbeitsverhältnisse im Mittelbau an den Hochschulen sind unbefristet. Auf befristeten halben Stellen zu promovieren und nebenbei noch Lehre zu organisieren, geht nicht nur zu Lasten der Gesundheit von Wissenschaftler/innen, die zahlreichen Stundenun bezahlter Arbeit leisten müssen. Auch die Auswirkungen auf die Qualität der Lehre -und damit auf uns Studierende und unsere akademische Ausbildung-sind immens. Gemeinsam mit den Beschäftigten des Akademischen Mittelbaus fordern wir daher sofortige Entfristungen!

Auch unsere Kommilitonen/-innen und Kollegen/-innen in Hamburg und an allen anderen Hochschulen der Republik fordern wir auf: Schließt euch uns an! Gemeinsam machen wir das Wintersemester zum Streiksemester und erkämpfen uns bessere Arbeits-und Studienbedingungen.

11.10.2021, das Besetzungskomitee-Studierende und Beschäftigte der Universität Hamburg sowie Aktive der Initiative TVStud

Anmerkungen und Quellen
[1] Siehe auch den Aufruf zur Demonstration am 05.06.21 https://www.asta.uni-hamburg.de/1-aktuelles/01-asta-news/2021-05-20-demo-stop-the-cuts.html
[2] 79% der Studierenden in Hamburg sind auf einen Nebenjob in zumeist prekären Arbeitsbedingungen angewiesen.
[3] Studentische Hilfskräfte verdienen gerade einmal 10,91€/Stunde. Sie liegen damit weit unterhalb des Hamburger Mindestlohns, von dem sie als einzige Beschäftigtengruppe ausgenommen sind. Über 70% ihrer Arbeitsverhältnisse sind gerade mal auf zwei bis maximal 6 Monate befristet. Planbarkeit? Fehlanzeige! Erschwerend kommt hinzu, dass für sie ebenfalls kein Recht auf gesetzliche Mitbestimmung gilt – ein fundamentales demokratisches Recht, welches für alle Arbeitnehmer/innen in Deutschland gilt, außer für sie.
[4] https://www.studierendenwerk-hamburg.de/fileadmin/user_upload/STW_Hamburg/__Downloads/Presse/Publikationen/Sozialerhebung/Sozialerhebung2016_fuerWeb_2018_06.pdf
[5] https://www.spiegel.de/panorama/bildung/wegen-corona-studierende-verschulden-sich-mit-fast-zwei-milliarden-euro-a-7a390c44-c8d6-4925-89e8-7b7f04982d81
[6] Der Forderungskatalog und die Petition des Bündnisses findet sich unter:
https://bafoeg50.de

.
Wir fordern:

  • Solidarität mit dem Arbeitskampf der
    studentischen Beschäftigten!
  • Schließt euch an! Arbeiter, Angestellte und
    Studierende gemeinsam für bessere
    Arbeitsbedingungen!
  • Sofortige Entfristung alle student. Arbeitsverträge!
  • Für ein elternunabhängiges BAföG für alle!
  • 16€ Stundenlohn, unbefristete Arbeitsverhältnisse
    und gesetzlich garantierte Mitbestimmung!
  • Machen wir alle gemeinsam Druck auf die
    Landesregierungen!

.
Lest dazu bitte auch:

Bericht zum Streiksemester der Bewegung für einen Tarifvertrag für Studentische Beschäftigte

.

zurück zur Startseite
hier geht es zur Facebook Diskussionsgruppe

Sag uns deine Meinung zum Artikel mit einem Kommentar/Leserbrief

.

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*