
YeniHayat – 5. April 2025
Seit knapp zwei Wochen dauern die Proteste in der Türkei an und die Universitäten sind zu einem wichtigen Schauplatz geworden. So boykottieren Studierende z. B. in Ankara und Istanbul die Vorlesungen, um stattdessen auf die Straße zu gehen und für die Befreiung ihrer inhaftierten Kommilitoninnen und Kommilitonen und die Verbesserung ihrer sozialen Lage zu demonstrieren.
Um uns als Studierende in Deutschland mit ihren Protesten, denen das Ein-Mann-Regime unter Erdogan mit massiven Repressionen wie Massenverhaftungen begegnet, zu solidarisieren, haben sich zahlreiche Asten (Allgemeinen Studierendenausschüsse) in Deutschland zusammegeschlossen und neben einer Solidaritätserklärung einen Austausch mit Studierendenvertretern vor Ort auf die Beine gestellt. Online so wie in zahlreichen Städten sind wir somit mit mehr als 400 Studierenden zusammengekommen und konnten erfahren, wie die Situation an den Universitäten ist und wie es weitergeht.
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Warum Solidarität?
Mehr als 10 Asten haben sich aus ganz Deutschland zugeschaltet, um sich solidarisch mit den Forderungen der Studierenden nach Demokratie zu zeigen und die massiven Angriffe der Erdogan-Regierung zu verurteilen. In der Anmoderation und dem Grusswort des AstAs der Universität Hamburg wurden die Hintergründe so einer Veranstaltung hervorgehoben: Denn die Bundesregierung unterstützt die Erdogan-Regierung weiter aktiv! Es gibt zwar zahlreiche leere Worte, unter anderem bei den Kundgebungen in den letzten Wochen, aber die Taten sagen etwas anderes. Allein letztes Jahr erhielt die Türkei 230 Millionen Euro Waffenlieferungen aus Deutschland und dieses Interesse an der Türkei bricht nicht ab. Besonders im Rahmen der Kriegsvorbereitungen als strategischer Partner in der NATO wird das Land weiter hochgerüstet. Deutsche Leitmedien geben offen zu, dass Erdogan in seiner Rolle als “Türsteher” Europas zu wichtig sei, um ernsthafte Kritik durch die deutsche Regierung erwarten zu können. Im Grusswort des AStA der Uni Hamburg wurde zudem besonders die Solidarität mit “allen fortschrittlichen und antifaschistischen Kräften der Bewegung, welche für eine Gesellschaft jenseits von nationalem Chauvinismus kämpfen“, hervorgehoben. Anschliessend ging der Austausch mit den Kommilitoninnen von der ODT-Universität in Ankara und der Bogazici-Universität in Istanbul los. Sie beide sind Teil der Emek Gencligi sowie der Studierendenvertretungen- und Strukturen vor Ort.
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Wofür gekämpft wird
Sie beschrieben eindrücklich, dass der Kampf der Studierenden zwar einen neuen Höhepunkt erreicht hat, jedoch schon seit Jahren immer wieder anhand verschiedener Fragen entbrennt: Sei es der Fahrstuhlabsturz und dee Tod eines Studenten in einem maroden Wohnheim, Femizide oder die Einschränkung der Demokratie und Forschungsfreiheit. In der Demokratiebewegung nehmen die Studierenden heute eine zentrale Rolle ein. Dazu sind sie in Fachbereichs- und Fakultätsgruppen organisiert. Diese haben zu einer Versammlung eingeladen und mobilisiert, um zum akademischen Boykott aufzurufen. Damit sollten Vorlesungen und Seminare verweigert und somit der akademische Betrieb lahmgelegt werden. Auf dieser Versammlung wurden auch Boykott-Komitees gewählt, die den akademischen Boykott planen. Mit solchen Aktionen haben die Studierenden gelernt, dass sie sich gegen antidemokratische Entscheidungen zusammenschließen können. Damit setzen sie ihren Kampf fort, um sicherzustellen, dass die Jugend, die versucht wird, mit Hausarrest und brutalen Inhaftierungen ruhig zu stellen, zu bewussten Individuen wird, die forschen, lernen, sich vereinigen und ihre Stimme erheben können

Gemeinsam sind wir stark
Die Genossinnen berichteten auch von den Repressionen gegen die Bewegung – eine von ihnen war zur Zeit des Gespräches in Hausarrest. Damit versucht die Regierung, antreibende Köpfe vorerst außer Gefecht zu setzen. Dass das nicht einfach funktioniert, indem man einzelne Leute in den Hausarrest verbannt, zeigt das Ausmaß der Proteste. Allein in Istanbul waren bei dem angekündigten Massenprotest zwei Millionen Menschen. Darunter auch viele Studierende, denn die Studierenden sind gut organisiert und entwickeln damit gemeinsame Stärke. Sie schließen sich in politischen Organisationen zusammen und sammeln Erfahrungen, wie man am besten weitere Studierende zu Demos und Protesten mobilisiert. Ziel ist es, den Kampf kontinuierlich zu führen und das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass sie als Studierende aktive Teile der Gesellschaft und der Veränderung sind. Gemeinsam mit Lehrer:innen boykottieren Studierende den Unterricht und organisieren Demos und Protestaktionen mit. Statt in die Vorlesungen zu gehen, sind sie treibende Kraft dieser gesamtgesellschaftlichen Bewegung.
Sie fordern neben der Herstellung demokratischer Grundrechte eine Verbesserung ihrer Arbeits- und Lernbedingungen. Sie fordern bezahlbaren Wohnraum, der in Großstädten wie Ankara und Istanbul unbezahlbar ist. Denn seit Jahren macht Erdogan keine Politik für die Massen, sondern für die Reichen des Landes.
Das trifft nicht nur die Studierenden, sondern vor allem die Arbeiterklasse – umso wichtiger, den Protest über die Unis hinaus auszuweiten. Die Forderung nach einem Generalstreik sowie Konsumboykotte der letzten Tage über die Ferien sind solche Versuche.
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Wir müssen uns als Studierende organisieren
Mit dem Austausch haben wir internationale Solidarität gelebt. Wir haben es geschafft, diesen Austausch zu organisieren, weil wir uns als Asten zusammengeschlossen haben. Aber natürlich hört die internationale Solidarität nicht auf, wenn der Zoom beendet ist. Im Gegenteil: Jetzt gilt es, sich auch hier weiter an den Universitäten zusammenzuschließen und den Druck auf die hiesige Regierung zu erhöhen. Obwohl unsere Situation eine andere als in der Türkei ist, verbinden uns dennoch die gleichen Probleme: Ein Drittel der Studierenden in Deutschland leben in Armut und können sich das Leben und Studieren in großen und teuren Universitätsstädten kaum mehr leisten. Auch in Deutschland wird eine Politik gemacht, die nicht unsere Interessen vertritt. Das hat das erst neulich beschlossene Aufrüstungspaket bewiesen: Während das Geld in die Bundeswehr und die Rüstungsindustrie gepumpt wird, wird bei uns in der Bildung und im sozialen Bereich gespart. Während Unternehmen subventioniert werden, obwohl sie Millionen Gewinn machen, werden Löhne gedrückt und die lohnabhängige Klasse muss schauen, wie sie sich und ihre Familien über die Runden kriegen. Auch wie Studierende merken das am eigenen Leib, wenn wir in prekären Jobs arbeiten und am Ende des Monats den Euro dreimal umdrehen müssen. Umso wichtiger ist es, sich an den Studierenden in der Türkei und in anderen Teilen der Welt wie in Serbien ein Beispiel zu nehmen, denn wir Studierenden können etwas bewirken und Druck ausüben. Wir müssen uns in unseren Universitäten organisieren, an den Wahlen teilnehmen und die Gremien beleben, in die Fakultäten und Fachbereiche gehen und unsere Stimme erheben. Wir können Hörsäle besetzten, Kampagnen gegen die immer krasseren Kürzungen in der Bildung und den geschürten Rassismus fahren, uns gegen die Militarisierung unserer Forschung und die Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit aussprechen, für bessere Arbeits- und Lernbedingungen und Frieden auf die Straße gehen. Wir sind stark, wenn wir uns zusammenschließen und organisieren. Das hat der Austausch mit den Studierenden in der Türkei bewiesen.
Erstveröffentlichung am 5. April 2025 auf »YeniHayat«. Wir danken den Genossinnen und Genossen von »YenuHayat« für ihre gute Arbeit und der Genehmigung der Weiterveröffentlichung. Bilder und Bilduntertexte wurden ganz oder zum Teil von der Redaktion »RoterMorgen« hinzugefügt, die Rechtschreibung verbessert und aktualisiert.
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Zum Thema Gendern: Das in Mode gekommene »Gendern« und die damit einhergehende Sexualisierung der Sprache widersprechen der marxistischen Erkenntnistheorie, nach der das Sein das Bewusstsein prägt und nicht das Geschlecht. Auch in der traditionellen deutschen Sprache steht nicht das Geschlecht im Vordergrund, sondern der Mensch. Aus diesem Grund gendern wir nicht, respektieren jedoch den Willen anderer, dies in ihren Texten zu tun, die wir daher nicht verändern. Mehr dazu könnt ihr hier nachlesen.
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