Protest gegen die Stuttgarter Konferenz der Innenminister/innen

Sahra Barkini – 24. Januar 202

Vom 1. bis zum 3. Dezember gab es in Stuttgart eine InnenministerInnen-Konferenz. Daher rief das NoIMK Bündnis für Freitag, 3. Dezember, zu einer Demonstration unter dem Motto „Ihre Sicherheit ist nicht unsere Sicherheit“ auf. Sie führte vom Eckensee über den Charlottenplatz vorbei am Oberlandesgericht (OLG) über den Kernerplatz (dort befindet sich das türkische Konsulat) zum Neckartor. Es beteiligten sich etwa 500 Personen. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort.

Bereits am Donnerstag war ein Polizeihubschrauber und Drohnen über die Stuttgarter Innenstadt geflogen. Das Oberlandesgericht im Gerichtsviertel war mit Hamburger Gittern gesichert.

Im Vorfeld hatte das Bündnis gegen den Auflagenbescheid geklagt. Er besagte, dass Seitentransparente nicht länger als 1,50 Meter sein dürfen und der Abstand zwischen den Transparenten mindestens  2 Meter betragen müsse. Das Verwaltungsgericht bestätigte die Auflagen, und der Verwaltungsgerichtshof bestätigte in Folge den Auflagenbescheid als rechtskonform.
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„Vielen Dank für ihr unbändiges Verständnis.“

Die PolizeibeamtInnen stoppten die Demonstration zwischen Landgericht und Kernerplatz wegen Auflagenverstößen und zusammengeknoteter Transparente. Nachdem die Polizeiführung wohl erkannt hatte, dass sich die realitätsfremden Auflagen nicht ohne großen Gewalteinsatz durchsetzen ließen, konnte der Demonstrationszug weiter seinen Weg nehmen. Allerdings konnte sich der Polizeibeamte im Lautsprecherwagen nicht verkneifen, die DemonstrantInnen noch zu verhöhnen: „Vielen Dank für ihr unbändiges Verständnis.“

Die InnenministerInnen der Länder überbieten sich mit neuen Verschärfungen, sei es beim Polizeiaufgabengesetz oder bei den Asylgesetzen. Klimaaktivisten/-innen werden kriminalisiert. Antifaschisten/-innen mit Repression überzogen. Eine Welle der Repression gegen die antifaschistische Bewegung kommentierte der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl mit den Worten: „Wir kriegen euch“.
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„Wir kriegen euch“ 

Innenminister Baden-Württemberg, Thomas Strobl CDU – Archivbild

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) wollte ein Verbot von „Antifa-Gruppen“. Und der Thüringische Innenminister Georg Maier (SPD) sprach ebenso wie der Verfassungsschutzchef von linken „Terrororganisationen“ – und dabei bedienten sie sich klar rechter Parolen. Der scheidende Bundesinnenminister Horst Seehofer freute sich an seinem 69. Geburtstag über 69 Abschiebungen. Und wurde im Vorfeld der „NoIMK“ Demo mit dem Negativpreis „Abschiebeminister 2021“ gekürt.

Verliehen wurde ihm dieser durch die Initiative „Jugendliche ohne Grenzen (JoG)“ – das gab die Gruppe auf Twitter bekannt. Und auch dem baden-württembergischen Innenminister Strobl brannte das Thema Migration bereits zu Beginn der diesjährigen Konferenz unter den Nägeln. Der Deutschen Presseagentur dpa zufolge sagte Strobl,  durch die Koalitionsvereinbarungen von SPD, Grünen und SPD im Bund sei  die Migration „auf grün gestellt. Ihr Kinderlein kommt“. Die Union ticke da anders, sie wolle Migration „steuern“. Um das zu erreichen, sprach sich Strobl für mehr Repression an den Grenzen bis hin zu völligen Schließungen als „Ultima ratio“ aus.

Während Antifaschismus und die Klimabewegung momentan vermehrt zur angeblichen Bedrohung erklärt werden, werden JournalistInnen von Rechten bedroht. Fast wöchentlich fliegen rechte Chatgruppen bei Polizei und Bundeswehr auf. Es werden Todeslisten geführt und Waffen gehortet, um sich auf einen Tag X vorzubereiten. Und nicht zuletzt sitzen mit der AfD Nazis wieder in den Parlamenten.
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„Bildung einer kriminellen Vereinigung“

Trotz NSU, Halle, Hanau, dem Mord an Walter Lübcke und NSU 2.0 wird weiter die Mär vom Einzeltäter verbreitet. Aber bei AntifaschistInnen oder Kurden/-innen zieht man schnell den §129 heran. Durch diesen wird die „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ konstruiert. Auf Grundlage dieses Paragraphen sitzt die Leipzigerin Lina seit nunmehr einem Jahr in Haft.

Am 1. November, dem „Welt Kobanê Tag“, hatte man in Stuttgart das Gefühl,  die Versammlungsfreiheit gelte nicht mehr. Ein massives Polizeiaufgebot begleitete die DemonstrantInnen und filmte sie durchgehend. In einem Kommentar unseres Chefredakteurs Alfred Denzinger heißt es: „Welcome in „The Länd“: Wir können alles – außer Versammlungsfreiheit. (…) Die Beamten filmten und fotografierten ohne jegliche Scheu völlig hemmungslos und offen friedliche VersammlungsteilnehmerInnen. Bei den Betroffenen löst dies unweigerlich das Gefühl aus, gerade etwas Verbotenes zu tun. Soll dieses Polizeiverhalten TeilnehmerInnen und PassantInnen suggerieren, das das Demonstrieren nichts für „anständige“ Bürger ist und DemonstrantInnen eher potentielle Straftäter darstellen?“ (Siehe hierzu: https://beobachternews.de/2021/11/06/viel-polizei-bei-demo-von-kurdinnen/).

KritikerInnen unterdrückt und ausgegrenzt

Was auch immer die InnenministerInnen auf der Konferenz in Stuttgart auskochen: In den vergangenen Jahren haben bereits viele Menschen erlebt, was es bedeutet, wenn der Staat für mehr Sicherheit sorgt. Die Polizeibefugnisse wurden ausgeweitet, die Präsenz in der Öffentlichkeit erhöht, Zunahme von Racial Profiling, verstärkte Kriminalisierung von AntifaschistInnen und KlimaaktivistInnen sowie härtere Asylgesetze. Dadurch wurden die Handlungsräume derer, die wirtschaftliche und politische Verhältnisse infrage stellen, oder derer, die aufgrund der Herkunft unterdrückt und ausgegrenzt werden, durch staatliche Maßnahmen immer weiter eingeschränkt. Zusätzlich werden durch Ausweitung von Überwachung und Kontrolle die letzten selbstbestimmten Räume genommen.
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Überwachung, Kriminalisierung und Repression

Im Demonstrationsaufruf hieß es: „Im Kapitalismus können diese Probleme nicht gelöst werden. Der gesellschaftliche Unmut darüber wächst, und gleichzeitig entsteht die Möglichkeit für das Aufkommen größerer sozialer Proteste. Das ist auch den Innenminister:innen bewusst – und sie reagieren schon präventiv mit mehr Überwachung, Kriminalisierung und Repression. Auch wenn wir von einer sozialen Massenbewegung weit entfernt sind, schafft sich der Staat jetzt schon die materiellen und rechtlichen Grundlagen, um bei möglichen Aufständen schnell eingreifen zu können. Innere Militarisierung und die Ausweitung der Polizeibefugnisse sind notwendige Stützpfeiler, die den Erhalt des Systems gewährleisten sollen. Die InnenministerInnen handeln nicht in unserem Interesse, sondern im Sinne eines Systems, das durch Konkurrenz und Profitzwang immer wieder Krisen erzeugt – und wir müssen die Kosten bezahlen. Ihre Überwachung, Kontrolle und Repression betrifft uns alle, also lasst uns auch alle gemeinsam auf ihre Verschärfungen antworten: mit vereinten Protesten gegen die IMK, mit dem Aufbau einer starken Bewegung von unten und mit der Perspektiven einer solidarischen Gesellschaft ohne Ausbeutung, Rassismus und Klimazerstörung. Denn das ist unsere Sicherheit.“
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Trotz massivem Polizeiaufgebot Demo durch die Innenstadt

Der Demonstrationszug, an dem sich AktivistInnen der Klimabewegung, Geflüchtete, antirassistische und antifaschistische Gruppen beteiligten, zog trotz massivem Polizeiaufgebot durch die Innenstadt. In Redebeiträgen von „Jugendliche ohne Grenzen“ wurde die Abschiebepolitik kritisiert. Die Revolutionäre Jugend Stuttgart sprach über die von Rechten durchsetzten Sicherheitsbehörden, und das Offene Treffen gegen Krieg und Militarisierung (OTKM) kritisierte die zunehmende Militarisierung im Inneren.

Vor dem OLG gab es sowohl einen Redebeitrag der Roten Hilfe als auch des Klimatreffens Bonn. Die Bonner AktivistInnen berichteten über die bevorstehende Verschärfung des Versammlungsgesetz in NRW. Ein weiterer Redebeitrag kam von kurdischen AktivistInnen vor dem türkischen Konsulat. Sie sprachen über den faschistoiden türkischen Staat, der den kurdischen Befreiungskampf mit allen Mitteln und der Hilfe der Bundesrepublik bekämpft.

Vor dem Gebäude der rechten Polizeigewerkschaft DpolG in der Nähe des Neckar-
tors wurde der hunderten Opfer von Polizeigewalt erinnert. Aktivisten/-innen zeigten Schilder mit den Namen der Getöteten.

Am Neckartor wurde die Demonstration durch die Demonstranten/-innen dann
vorzeitig beendet.

Video von beobachter news

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Erstveröffentlichung am 9. November 2021 auf »beobachter News«. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers
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