Israels militärische Expansion – Errichtung eines „Großisraels“?

Bild: Der, nun durch die IDF besetzte, Berg Hermon Almog, Hermonsnow, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Jens Ackerhof – PERSPEKTIVE»online – 27. Dezember 2024

Seit dem Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad rückt das israelische Militär zunehmend nach Syrien vor. Währenddessen kündigt der Finanzminister einen Plan zur Annexion des Westjordanlands an, und Stimmen zur Besiedlung Gazas werden immer lauter. Wird ein „Großisrael“ angestrebt? –
Lest bitte die Einschätzung des Hamburger Journalisten Jens Ackerhof, die am gestrigen Freitag auf perspektive-online veröffentlicht wurde.

„Nachdem die Truppen eine Bedrohung identifiziert hatten, handelten sie gemäß des standardmäßigen Einsatzverfahrens: Dem Demonstranten wurde ins Bein geschossen.“ Mit diesen Worten rechtfertigten die Israel Defense Forces (IDF) ihr gewalttätiges Vorgehen gegen einen Demonstranten in Maariyah, einem Dorf in der Daraa-Provinz im Süden Syriens.

Der Verwundete war Teilnehmer eines Protests gegen das stetige Vorrücken israelischer Truppen in Syrien. Die Bewohner von Maariyah klagen auch darüber, dass die IDF sie nicht ihre Felder bewirtschaften lasse und ihre Bewegungsfreiheit einschränke. Bewohner:innen der Quneitra-Provinz geben wiederum an, dass einige durch die IDF bereits aus ihren Dörfern vertrieben worden seien.

Seit dem Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad mischt sich Israel zunehmend militärisch in Syrien ein. Durch massive Luftangriffe auf Damaskus und andere Ziele in Syrien sollen, so die IDF, strategische Waffensysteme zerstört werden „damit sie nicht in die Hände von Extremisten fallen“. Auch rückt das israelische Militär verstärkt in syrische Gebiete vor.
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Israel besetzt „Pufferzone“ in den Golanhöhen

So nahmen am 8. Dezember israelische Truppen die sogenannte „Pufferzone“ in den Golanhöhen ein. Der Großteil der Golanhöhen ist seit 1967 israelisch besetzt und seit 1981 offiziell von Israel annektiert. Bis heute sind die USA das einzige Land, das die Annexion anerkennt, nachdem der damalige und künftige US-Präsident Donald Trump 2019 die Golanhöhen als israelisches Staatsgebiet bezeichnete. Nach internationalem Recht zählen die Golanhöhen trotzdem noch immer zum Territorium Syriens.

Im Zuge eines Waffenstillstandsabkommens zwischen Syrien und Israel wurde 1974 eine etwa 80 km lange Pufferzone zwischen den israelisch okkupierten Golanhöhen und dem Rest Syriens gezogen. Eigentlich sollten UN-Truppen die einzigen militärischen Kräfte sein, die in der Pufferzone stationiert sein dürfen. Durch den Vorstoß der IDF brach Israel nun dieses Abkommen. Die oben geschilderte IDF-Präsenz in Maariyah liegt sogar noch außerhalb der UN-Pufferzone auf syrischem Gebiet.

Zugleich wurden auch Truppen auf der Spitze des Bergs Hermon an der syrisch-libanesischen Grenze und dem nördlichsten Punkt der Pufferzone stationiert. Hermon, die höchste Spitze Syriens, ist von strategischer Bedeutung. Die IDF bereitet sich nun vor, auf Hermon zu überwintern. Internen Quellen zufolge soll der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu die Truppen sogar angewiesen haben, bis Ende 2025 in der Region des Bergs zu bleiben.

Seit dem 7. Oktober 2023, als palästinensische Widerstandskräfte aus Gaza ausbrachen und Angriffe auf das Militär, aber auch auf Zivilisten verübten, befindet sich Israel in einem Mehrfrontenkrieg. Durch Israels Genozid an den Palästinser:innen sind bisher vermutlich etwa 200.000 Menschen in Gaza getötet worden, während sich auch die Angriffe durch israelische Siedler im besetzten Westjordanland häufen. Und im Libanon wurde nach der israelischen Invasion bereits ein Fünftel der gesamten Bevölkerung zur Flucht gezwungen. Wie ist die zunehmende Ausweitung des Kriegs durch Israel einzuordnen?

Israels Mehrfrontenkrieg – Verteidigung oder Expansion?

Fragt man Netanjahu, so gehe es vor allem um die Verteidigung. Über die Besetzung der Pufferzone in den Golanhöhen sagte Netanjahu beispielsweise, dass sie lediglich eine „temporäre defensive Position“ sei. Andere Stimmen in Netanyahus rechtsextremer Regierung legen wiederum nahe, dass Expansion das Ziel ist: Expansion des israelischen Einflusses in der Region oder sogar eine Expansion des israelischen Staatsgebiets.

Eine solche Stimme ist der israelische Finanzminister Bezael Smotrich von der faschistischen Nationalreligiösen Partei. In einem Dokumentarfilm des Senders ARTE lässt Smotrich verlauten: „Jerusalems Zukunft besteht darin, sich bis nach Damaskus auszudehnen“. Smotrich selbst lebt in einer illegalen israelischen Siedlung im Westjordanland.

Im Zuge von Trumps Wahlsieg in den USA brachte er seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die USA eine vollständige Annexion des Westjordanlands unterstützen würden. 2025 würde „das Jahr der Souveränität in Judea und Samara“ werden, womit das Westjordanland gemeint ist. Laut eigener Aussage habe Smotrich das Siedlungsdirektorat und die Zivilverwaltung im Verteidigungsministerium bereits beauftragt, „die notwendige Infrastruktur zur Anwendung der Souveränität [über das Westjordanland] vorzubereiten“.

Großisrael – vom Nil bis zum Euphrat

Smotrich und andere israelische Faschist:innen sind angetrieben von der Ideologie eines „Großisraels“. Die Gebietsansprüche der Vertreter:innen eines Großisraels variieren, mindestens werden jedoch Gaza und das Westjordanland als israelisches Staatsgebiet angesehen.

Die Vorstellung eines Großisraels hat ihre religiösen Wurzeln in dem Buch Genesis in der Tora, bzw. dem alten Testament. Hierin verspricht Gott das Land Israel den Nachkommen von Abraham, Isaak und Jakob. Dieses Land erstrecke sich zwischen den Flüssen Nil im heutigen Ägypten und dem Euphrat im heutigen Irak. Überträgt man die biblische Vorstellung auf heutige Grenzen, würde Großisrael sich über Teile von Jordanien, des Libanon, Syriens und Ägyptens erstrecken.

Es muss betont werden, dass diese biblische Passage nur von einer Minderheit der Jüd:innen und Christ:innen als tatsächlicher und exakter Gebietsanspruch angesehen wird. Politische Relevanz erlang die Idee eines Großisraels allerdings durch die Bewegung des revisionistischem Zionismus und dessen Begründers Ze’ev Jabotinsky. Geboren 1880 in Odessa (damals im russischen Zarenreich) war antisemitische Gewalt und Unterdrückung für Jabotinsky trauriger Alltag. Diese Erfahrungen trieben ihn zu der Überzeugung, dass ein sicheres jüdisches Heimatland notwendig sei.
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Ze’ev Jabotinsky und der revisionistische Zionismus

Jabotinsky brach allerdings in den 1920er Jahren mit dem moderaten Zionismus. Während die moderateren Zionist:innen ihre Vorstellung einer jüdischen Heimat auch durch Kompromisse erreichen wollten, zunächst weniger weitreichende Gebietsansprüche stellten, und oft beeinflusst von sozialdemokratischer und sozialistischer Ideologie waren, lehnte Jabotinsky diese Ideen ab. Das gesamte Mandatsgebiet Palästina, das damals auch Jordanien umfasste, müsse Teil des neuen Staats werden. Jabotinsky dachte hierbei an einen kapitalistischen Staat mit großer militärischer Stärke. Nur durch die Expansion Israels könne es Platz für alle jüdischen Migrant:innen bieten, und nur durch ein starkes Militär die Sicherheit für sie garantieren.

Während Jabotinsky vor der Gründung des israelischen Staates starb, haben seine Ideen bis heute großen Einfluss auf rechte Kräfte in Israel. Noch zu Jabotinksys Lebzeiten gründete sich die Irgun, eine paramilitärische Terrororganisation, die vor der Staatsgründung in Palästina Anschläge auf die arabische Bevölkerung und die damals britische Mandatsmacht verübten. Die Likud-Partei, der Netanjahu angehört, ging ursprünglich aus dieser Bewegung des revisionistischen Zionismus hervor. Auch die Siedlerbewegung ist stark von Jabotinsky beeinflusst, der für die Errichtung von Siedlungen in Jerusalem und dem Westjordanland eintrat.

Im Gegensatz zu den moderaten Zionist:innen glaubte Jabotinsky nicht daran, dass die palästinensische Bevölkerung durch Kompromisse und Zusammenarbeit von der Errichtung eines jüdischen Staats überzeugt werden könnte. Stattdessen schrieb er: „Jedes indigene Volk wird sich gegen fremde Siedler wehren, solange es irgendeine Hoffnung sieht, sich von der Gefahr der fremden Besiedlung zu befreien. Das tun die Araber in Palästina, und das werden sie weiterhin tun, solange sie einen Funken Hoffnung haben, verhindern zu können, dass Palästina zum Land Israel wird.“
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Warum ein Großisrael sehr profitabel sein könnte

Diese Ideologie eines Großisraels findet sich nicht nur in der Rhetorik ihrer extremsten Vertreter:innen, wie eben Bezael Smotrich. Auch Netanjahu beteuert, dass die annektierten Golanhöhen „für alle Ewigkeit“ israelisch sein sollen. Nun möchte Israel umgerechnet mehr als zehn Millionen Euro in die Entwicklung der Ortschaften auf den besetzten Golanhöhen investieren. Ziel ist es, die dortige Bevölkerung, die schon jetzt mehrheitlich israelisch ist, zu verdoppeln.

Der religiöse Fanatismus rechter israelischer Politiker wie Bezael Smotrich sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Expansion hin zu einem Großisrael vor allem aus geopolitischen und ökonomischen Motiven geschehen würde: Die Golanhöhen sind beispielsweise auch vor allem deshalb so wichtig für Israel, weil es etwa ein Drittel seines Trinkwassers von dort bezieht.

Sollte wiederum ein Großteil der palästinensischen Bevölkerung aus Gaza vertrieben werden, würde der Wiederaufbau des zerstörten Gebiets hohe Profite für Unternehmen bedeuten. Einen solchen Plan gibt es derzeit offiziell nicht. Doch Israels Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir (ebenfalls ein Siedler), gab bei einer Konferenz zu verstehen: „Wenn wir keinen zweiten 7. Oktober wollen, müssen wir nach Hause gehen und das Land kontrollieren“. Auch Daniella Weiss, Leiterin der radikalen Siedlerorganisation Nachala gibt an, bereits eine Liste von 500 Familien zu haben, die bereit seien, sofort nach Gaza umzusiedeln.

Auch das Magazin Spiegel kommt durch eigene Recherchen zu dem Schluss, dass die israelische Militärstrategie mittlerweile vor allem darauf ausgerichtet sei, „den Gazastreifen auf Jahre zu besetzen, das von Palästinensern bewohnte Gebiet immer weiter zu verkleinern und die bisherigen Einwohner aus Nordgaza komplett zu vertreiben“, um den Bau israelischer Siedlungen zu ermöglichen.

Bei diesen Plänen spielen religiös geprägte Vorstellungen eines Großisraels zwar eine wichtige Rolle. Es sollte jedoch klargestellt werden, dass es innerhalb der israelischen Rechten weder eine klare Vorstellung möglicher Grenzen eines solchen Großisraels gibt, noch wird klar, wie genau das zu erreichen wäre. Vielmehr dient die wiederholte Erzählung als kontinuierliche Rechtfertigung für die Errichtung von Siedlungen auf palästinensischem Gebiet, wie auch für die Angriffe auf fremdes Staatsgebiet durch die IDF.

Erstveröffentlichung am 27. Dezember 2024 auf »PERSPEKTIVE>>«. Wir danken den Genossinnen und Genossen von »Perspektive« für ihre gute Arbeit und der Genehmigung der Weiterveröffentlichung. Bilder und Bilduntertexte wurden ganz oder zum Teil von der Redaktion »RoterMorgen« hinzugefügt.
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