Gefoltert – geflüchtet – verboten – erschossen

Lara – 1. Juli 2022

Lara Stern

Im Gedenken an den Genossen Halim Dener trafen sich gestern am Hannoverranischen Steintorplatz über 1000 Menschen, um an den feigen Mord an dem jungen kurdischen Aktivisten durch einen deutschen Polizisten vor 28 Jahren zu erinnern.

Als Halim Dener im Mai 1994 zu uns kam und Schutz suchte, war der 16-jährige Kurde gerade den Todesschwadronen der faschistischen Türkei entkommen und rechnete nicht mit dem Hass fleißiger deutscher Beamter. Halim starb im gleichen Jahr in der Nacht auf den 1. Juli im Rücken eine Kugel, abgeschossen aus einem Smith&Wesson-Dienstrevolver des deutschen SEK-Beamten in Zivil.

Es ist schon überflüssig zu erwähnen das der Todesschütze durch einen „Kollegen“ gedeckt wurde, weiteren 29 Zeugen keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde und somit vom Landgericht Hannover nach einem verfrühten Abbruch der Beweisaufnahme, 1997 freigesprochen wurde.
Was nicht sein darf – darf nicht sein und so hört sich dann die Urteilsbegründung (Auszug) der Richters August-Wilhelm Marahrens der 3. Großen Strafkammer an:

„(…) Bei diesem Bewegungsablauf geriet der Angeklagte an den Abzug des nicht vorgespannten Revolvers, wodurch der Abzugswiderstand von 4,3 Kilo überwunden wurde und sich unbeabsichtigt ein Schuß löste“. Bei der Schußabgabe hat „die waffenführende Hand nicht mehr der bewußten Kontrolle des Beamten“ unterlegen. (…)“

Halim Dener (geboren am 23. Dezember 1977 im Landkreis Genç, Bingöl, Türkei – ermordet am 29. Juni 1994 in Hannover am Steintorplatz)

Halim war einer von uns! Er wollte mit Plakaten, so wie wir es auch tun, gegen das Verbot der PKK protestieren. Die Plakate enthielten das Emblem der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans (ERNK), des (damaligen) politischen Arms der PKK. Doch durch dass, in Deutschland geltende Verbot, wurde eine allenfalls Ordnungswidrigkeit zu einem quasi “terroristischen“ Delikt. Die Tötung von politischen Aktivisten durch Polizisten ist in Deutschland kein Einzelfall; Christy Schwundeck, Oury Jalloh oder Achidi John sind weitere bekannte Opfer.

Halim flüchtete wie so viele Kurden aus der Türkei. In seinem Heimatdorf Parcuk, das durch das türkische Militär gebrandschatzt wurde, war er als aktiver Kämpfer für die Interessen des kurdischen Volkes nicht mehr sicher.

Noch kurz vor seiner Flucht wurde Halim in seinem Heimatort von der Polizei  eine Woche lang verhört und gefoltert und kam dann als sogenannter unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland. Damals zerstörte das türkische Militär über 4.000 kurdische Dörfer – so auch Halims Dorf in der Nähe von Çewlik (türk.: Bingöl). 17.000 „Morde unbekannter Täter“, Verschwundene und Folter waren die gängige Praxis von Polizei, Geheimdienst und Paramilitärs.

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Gefoltert – geflüchtet – verboten – erschossen

Unter dieser Losung bildete eine Demonstration 2014 in Gedenken an Halim Dener und alle anderen durch Polizeigewalt Getöteten den Auftakt für die Kampagne für ein würdiges Gedenken an Halim Dener.

Von Anfang an hatte die Kampagne offensiv auf gut kalkulierten zivilen Ungehorsam gesetzt und versucht, die Stadt Hannover in eine politische Auseinandersetzung um ein Gedenken an Halim Dener zu zwingen – einem Ort des Gedenkens an Halim Dener einen prominenten Platz zu geben.

Daraufhin ließ die Staatsschutzabteilung nichts unversucht, um zu einer abschreckenden Kriminalisierung der „Kampagne Halim Dener“ zu kommen. So gab es Verfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, es gab Verfahren wegen des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz, es gab den Versuch der Anklage wegen Unterstützung der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) mit einer tatsächlich komischen und erheiternden Justizposse. Es gab die Überfallartige Observation des »Unabhängigen Jugendzentrums Kornstraße« ohne richterlichen Beschluss, es gab eine Razzia und sogar Luftballons wurdenals angebliche Symbole terroristischer Vereinigungen „verfolgt.

Beeindrucken ließ sich aus den Reihen der Aktivisten niemand davon, im Gegenteil: Die Solidarität wuchs stetig. Ein herrliches Wandbild entstand in Bielefeld, öffentliche Diskussionsveranstaltungen wurden entfacht, T-Shirts wurden gefertigt und eine Initiative für einen „Halim-Dener-Platz“ entstand. In jedem Jahr gab es nun Kundgebungen, Demonstrationen und Aktionen. Dazu wurde ein Gedenkstein gesetzt, eine Plakette angebracht und ein Buch wurde herausgegeben.

Halim-Dener-Graffiti (ca. 4,00 x 2,00 m) am Arbeiter* innenjugendzentrum in Bielefeld

Halim-Dener-Gedenktafel am Ort der
Ermordung, Hannover, Steintorplatz

Der Zusammenhalt deutscher Linken mit der kurdischen Bewegung konnte nicht mehr zerstört werden. Mittlerweile kennen wir uns gut.

Der Verlauf der Repression in Hannover zeigt, auch dass der „Recht“sprechung und der staatlichen Organe kein Vorwurf zu absurd erscheint, wenn gegen diese Solidarität geht. Er zeigt aber auch, wie Solidarität organisiert werden kann – auf verschiedenen Ebenen – und wie sie erfolgreich sein kann. Der alte Leitsatz „Trauer in Stärke umwandeln“, hat sich hier bewahrheitet und das ist gut so!

Dennoch wir müssen weiterhin davon ausgehen, dass die Verfolgungsbehörden, geht es gegen Linke – ob Migranten oder Deutsche – ihren Auftraggebern treu bleiben werden und uns verfolgen, diskriminieren und kriminalisieren werden. Lasst uns diese Reaktion als Auszeichnung ansehen, als den Beweis für unsere gute Arbeit.

Eines fürchten nicht nur die türkischen Faschisten, sondern weltweit auch die Bosse in den Banken und Fabriken. Unsere Solidarität! Die Solidarität zwischen den fortschrittlichen Menschen, den Linken und aller Migranten. Das ist der Albtraum der „Sicherheits“behörden!

Last uns gemeinsam zum Albtraum dieser Behörden werden!
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> Für einen Ort des individuellen Gedenkens an Halim Dener!
> Für eine umfassende Aufklärung aller Fälle von Polizeigewalt!
> Für die Aufhebung des Verbots der PKK!
> Für die Freiheit von Abdullah Öcalan
….und alle anderen politischen Gefangenen!
> Für den Kampf gegen Waffenlieferungen
….und für den Kampf gegen die Rüstungsindustrie:
….Rheinmetall entwaffnen!
> Für ein Bleiberecht für Alle“


HOCH DIE INTERNATIONALE SOLIDARITÄT!

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Lest dazu bitte auch:

Halim Dener – Gefoltert. Geflüchtet. Verboten. Erschossen

Halim Dener
Broschur, 200×200 mm
226 Seiten, 10,00 Euro
ISBN 3-9809970-0-6
Neuerscheinung Juli 2020
Verlag Gegen den Strom.
BESTELLUNG


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4 Kommentare

  1. 28.06.1997

    Freispruch für Todesschützen

    ■ Schuß auf 16jährigen Kurden löste sich von selbst, erklärt Landgericht Hannover

    Hannover (taz) – Drei Jahre nach seinem tödlichen Schuß in den Rücken des jugendlichen Kurden Halim Dener konnte der SEK- Beamte Klaus T. gestern das Landgericht Hannover als freier Mann verlassen. Die 3. Große Strafkammer des Landgerichts sprach den 30jährigen Polizisten vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei, nachdem schon die Anklage einen vorsätzlichen Schuß auf den jugendlichen Plakatkleber nicht mehr in Betracht gezogen hatte. „Für den tödlichen Schuß auf den Dener kann dem Angeklagten strafrechtlich kein Vorwurf gemacht werden“, begründete der Kammervorsitzende August Wilhelm Marahrens das Urteil und wünschte dem Polizisten „nach drei harten Jahren alles Gute für die Zukunft“.

    Das Urteil des Landgerichts folgte ganz den Angaben des SEK- Beamten zum Tathergang. Demnach hatte der Polizist den am Boden liegenden 16jährigen Kurden in eine Art Schwitzkasten genommen, als er auf dem Pflaster seine eigene, ihm aus dem Holster gefallene Dienstwaffe bemerkte. Als der Beamte die Waffe einstecken wollte, habe sich der Kurde aus dem Griff gelöst, und der Polizist sei ins Straucheln gekommen.

    „Bei diesem Bewegungsablauf geriet der Angeklagte an den Abzug des nicht vorgespannten Revolvers, wodurch der Abzugswiderstand von 4,3 Kilo überwunden wurde und sich unbeabsichtigt ein Schuß löste“, führte Richter Marahrens aus. Bei der Schußabgabe habe „die waffenführende Hand nicht mehr der bewußten Kontrolle des Beamten“ unterlegen.

    Zwar habe in der Hauptverhandlung nicht geklärt werden können, mit welcher Art Griff der Angeklagte die Waffe aufgenommen habe und auch nicht, „wie die Schußabgabe selbst erfolgte“. Doch habe von den 19 vernommenen Zeugen, die alle die Schußabgabe selbst nicht beobachtet hatten, keiner die Angaben des Angeklagten widerlegen könne.

    Ihren Freispruch stützte die 3. Strafkammer des Landgerichts gestern vor allem auf ein Gutachten des Bremer Unfallforschers Professor Ungerer, der die Überwindung des hohen Abzugswiderstandes durch einen Reflex nicht ausgeschlossen hatte.

    Der Bremer Rechtsanwalt Hans-Eberhardt Schutz, der die Eltern des Getöteten vertritt, hatte kurz vor der Urteilsverkündung gestern noch beantragt, durch zwei weitere psychologische Sachverständige die Streßsituation klären zu lassen, die in den Augen des Gerichts ursächlich für die unwillkürliche Schußabgabe war. Rechtsanwalt Schutz, der dem Gericht Ermittlungspannen und einen verfrühten Abbruch der Beweisaufnahme vorwirft, will jetzt eine Revision gegen das Urteil prüfen.

    Den Smith&Wesson-Dienstrevolver, aus dem sich nach dem Urteil ohne ein Vorspannen der tödliche Schuß lösen konnte, hält das niedersächsische Innenministerium weiter für sicher. Er sei „bei den niedersächsischen SEK-Beamten, die intensiv durch Schießtraining geschult werden, in den richtigen Händen“.

  2. 10. Juli 1919:

    Gedenken an Halim Dener: Provisorische Plakette belassen, bis dauerhafte Lösung gefunden ist

    Zu der während der Demonstration mit rund 1000 Teilnehmer*innen am vergangenen Wochenende angebrachten provisorischen Plakette in Gedenken an Halim Dener, der 1994 am Steintor während einer Plakatier-Aktion durch einen Polizeischuss ums Leben gekommen war, erklärt Dirk Machentanz, Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Rat der Stadt Hannover:

    „Die seitens der Stadt angekündigte Entfernung der Plakette ist erneut ein falsches Signal. Sie sollte hängen bleiben, bis endlich eine dauerhafte Lösung für ein angemessenes Gedenken in unmittelbarer Nähe zum damaligen Tathergang gefunden ist.“

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    Er erinnerte daran, dass der ehemalige Oberbürgermeister Schostok vor zwei Jahren die Bildung einer Kommission zur Entwicklung eines angemessenen Umgangs mit dem Tod Halim Deners angeregt hatte. Von einer solchen hat man danach jedoch leider nie wieder etwas gehört.

    „25 Jahre nach dem tragischen Ereignis wird es höchste Zeit für einen geeigneten Gedenkort an Halim Dener und die Umstände, die zu seinem Tod führten!“ so Machentanz abschließend.

  3. Landericht kippte das Verbot für umstrittenes Bielefelder Graffiti

    Im Berufungsverfahren schätzen die Richter das Halim-Dener-Bild als Kunstwerk ein und nicht als Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

    Der Streit um das Halim-Dener-Graffiti am Arbeiter*innenjugendzentrum (AJZ) an der Heeper Straße in Bielefeld, hatte eine erneute Wendung genommen. Im September davor galt es vor dem Amtsgericht noch als verboten, seit dem 18. Juni 2020 gilt es nun als schützenswertes Kunstwerk. Das ergab das Urteil des Landgerichts im Berufungsverfahren. Seit beinahe 26 Jahren erinnerte ein gesprühtes Bild am Eingang an den Mord des 16-jährigen Kurden.

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  4. „Keine Politik auf Spielplätzen“

    Unter diesem Titel berichtete die Hannoversche Allgemeine am 31.08.2021 darüber, das die Stadt Hannover ein Halim-Dener-Graffiti in Hannover-Linden entfernen ließ.
    Die Malerei entstand Anfang Juli während der Demo zum Gedenken an die Ermordung von Halim Dener.

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