Redaktion – 7. April 2022
Am 7. April 1772, vor nunmehr 250 Jahren, wurde im französischen Besancon der hervorragende Vertreter des kritischen Flügels des utopischen Sozialismus und bahnbrechenden Vorläufer des wissenschaftlichen Sozialismus geboren. Wir können an den Grundgedanken, dem Recht auf Arbeit und dem Recht der Frauen, dieses mitunter bizarren, phantasiereichen dialektischen Schädels nicht vorbeigehen. Aus der Thematik der Menschenrechte sticht Fourier zwei hervor: Das Recht auf Arbeit und das Recht der Frauen auf Gleichberechtigung. Hier hat er Großes geleistet. Beide Rechte sind nach Fouriers Auffassung völlig unzulässig von der bürgerlichen Aufklärung und der französischen Revolution, in der er sein gesamtes Vermögen verlor, links liegengelassen worden. Nach eigener Selbsteinschätzung der französischen Enzyklopädisten hätte das natürlich nicht passieren dürfen, sahen sie sich doch als allwissende, gottgleiche, ja Gott verbessern könnende Perfektionisten, zu denen Fourier auch Robespierre schlägt.
Bürgerliche Aufklärer und Revolutionäre haben die Ehe intakt gelassen, nicht nur nach Fourier eine große Sünde, auch Marx spricht im Frühjahr 1845 in den Feuerbachthesen davon. Die irdische Familie müsse theoretisch kritisiert und praktisch vernichtet werden. In dem Kapitel ‘Idioten der Philosophie‘ setzt Fourier diesen ein Licht auf: Grundsätzlich übersehen diese das Recht auf Arbeit und das Recht der Frauen, so dass Fourier als ein sozialistisch-utopischer Feminist bezeichnet werden kann. Ohne das Recht auf Arbeit, das der deutsche Philosoph Fichte vom Staat einklagen wollte, sind alle anderen Rechte sinnlos, erst muss Arbeit gesichert sein, um dann über Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu philosophieren. Was bürgerliche Ideologen in der theoretischen Abstraktion hielten, wird von dem utopischen Sozialisten konkretisiert. Nun ja, es war eine bürgerliche Revolution, die sich wie alle bürgerlichen Revolutionen gegen, die den Reichtum produzierenden Klassen richten, einzig Marat bezeichnete die arbeitenden Klassen als die gesündesten des Volkes. Engels spricht von einer halben Revolution, denn den Arbeitern wurde schon während der bürgerlichen Revolution ein Koalitionsrecht bei Strafandrohung aberkannt – das berühmte Loi Le Chepalier vom 14. Juni 1791. Arbeitervereinigungen galten ab diesem Tag “für ein Attentat auf die Freiheit und die Erklärung der Menschenrechte strafbar mit 500 Livres nebst einjähriger Entziehung der aktiven Bürgerrechte“1. Auch Marx und Engels sahen im Feuerbachkapitel der ‘Deutschen Ideologie‘ die Reihenfolge wie Fourier nüchtern: Die einfache Tatsache, dass erst gearbeitet und produziert werden muss, um dann ideologisieren und philosophieren zu können. Die Menschenrechtsphilosophen fehlten also bei der Idee ihrer Wissenschaft. Es sind die Philosophen selbst, die in Unkenntnis ihrer Fundamente bleiben, ein Vorwurf, den schon Kant gegen seine eigene Zunft erhoben hatte. Fouriers Kritik geht tiefer: Die Philosophie lenke den menschlichen Geist von allen wichtigen Untersuchungen ab und treibe die Gesellschaft in den Abgrund. Eine hübsche Perspektive der bürgerlichen Aufklärung also.
Heute kräht jeder Hahn so laut er kann nach Menschenrechten und es wird übersehen, dass nur die proletarische Internationale diese wirklich erkämpfen kann. Heute gibt es weltweit keine Menschenrechte, weil der Globus mit Staaten übersät ist und ein Kult der Arbeit grassiert, der die Werte Schaffenden davon ablenken soll, dass sie die Natur bearbeiten, die ergo eigentlich den Produzenten gehören müsste. Fourier bringt den Gedanken ins Spiel, die stumpfsinnige und eindimensionale, den Arbeiter verblödende Monotonie der Arbeit aufzubrechen durch vielfältige Wechsel der Tätigkeiten, was in der Zivilisation eine Last war, soll in der Harmonie zur Lust werden, (er spricht auch von Flatterlust) – ein Gedankengang, den wir auch bei Engels finden, mur dass dieser vom Kapitalismus und vom Sozialismus spricht. Selbstverständlich ist in der sozietären Gesellschaft, wie sie Fourier entworfen hat, die Liebe die Hauptbeschäftigung.
Seiner Zeit voraus war Fourier auch auf dem Gebiet der polytechnischen Erziehung. Hier ging er weiter als Rousseau. Man solle Kinder im Alter von 3 Jahren in kleine Werkstätten führen, um dort in Gruppenarbeit durch Nachäfferei zu lernen, mit Hämmern zu hantieren. Bahnbrechend ist auch seine Forderung nach einem gesetzlich geregeltem und leistungsunabhängigem Grundeinkommen. Auch wer nicht arbeitet, soll trotzdem essen, hier ist er anscheinend liberaler als die Sozialisten des 19. und 20. Jahrhunderts, aber man weiß doch, dass der Ausspruch ‘Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen` aus einem bestimmten Blickwinkel kommt, von unten nach oben. Kapitalistische Parasiten sollen nichts kostenfrei vorgesetzt bekommen. Ich müsste mich schwer täuschen, wenn der Kumpel dem arbeitslosen Kumpel nichts gönne.
Wenn Fourier einem breiteren gebildeten Lesepublikum beiderlei Geschlechts bekannt geworden ist, so durch sein Urteil, dass man die Höhe gesellschaftlicher Entwicklung der menschlichen Gattung an der Höhe der weiblichen Emanzipation ablesen könne. Frauen und Männer gelten ihm sozial und juristisch als völlig gleich. Der Französischen Revolution gelang nicht der Durchbruch zu einem gleichen und geheimen politischen Wahlrecht auch für Frauen. Das ganze weibliche Geschlecht wird noch im 21. Jahrhundert von Kapitalisten und diesen hinterherhechelnden SPD-Politikerinnen und SPD-Politikern lohnmäßig übers Ohr gehauen. Heute in der BRD von einem Land sich realisierender Menschenrechte zu sprechen, darf wohl als unverschämte Verhöhnung der Volksmassen betrachtet werden. Die Besetzung einiger Managementstühle, was für ein verdorbenes Wort(!), mit Frauen ist der Trick bei der Sache, der Sache der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, denn für die Frauen des Volkes wird der Lohn ständig gesenkt. Durch schlaflose Nächte wird die Gesundheit alleinerziehender Mütter, die durch Lohnraub finanziell weder ein noch aus wissen, zerstört. Doch lesen wir Fourier im Original: “Allgemein lässt sich die These aufstellen: Der soziale Fortschritt vollzieht sich entsprechend den Fortschritten der Befreiung der Frau, und der Verfall der Gesellschaftsordnung vollzieht sich entsprechend der Abnahme der Freiheit der Frau … Die Erweiterung der Privilegien der Frauen ist die Grundlage allen sozialen Fortschritts“2.
Da liegt er vor uns, der Grundirrtum der kleinbürgerlichen und bürgerlichen Feministinnen: In einer Phase ungeheuerlicher Dekadenz des Kapitalismus, im Imperialismus, von der genuin über Generationen patriarchal eingestellten Bourgeoisie, eine Zunahme der Freiheit der Frau zu erwarten! Wer nicht begreift, dass Imperialismus politische Reaktion auf der ganzen Linie bedeutet, der solle sich lieber nicht in den Ozean des Klassenkampfes stürzen. Lenin verortete die Wurzel der Frauenversklavung im Mittelalter. “Bei uns in Russland gibt es keine solche Gemeinheit, Abscheulichkeit und Niederträchtigkeit wie die Rechtlosigkeit oder nicht volle Gleichberechtigung der Frau, dieses empörende Überbleibsel der Leibeigenschaft und des Mittelalters, das von der eigennützigen Bourgeoisie und dem stumpfsinnigen, eingeschüchterten Kleinbürgertum in ausnahmslos allen Ländern des Erdballs immer wieder aufgefrischt wird“3. Durchdenkt man diesen am 14. Oktober 1921, vor etwas über 100 Jahren geschriebenen Satz aufrichtigen Herzens, so liegt für die Frauen der BRD im Jahr 2022 Saudi-Arabien gleich um die Ecke.
Eine wichtige Lektüre für die armen, proletarischen Frauen ist Bebels Schrift über die Frau und den Sozialismus. Bebel hatte nicht von Ungefähr eine Biografie über Fourier verfasst. Eine wichtige Lektüre sind aber auch die 14 Vorlesungen, die Alexandra Kollontai von 1921 an der Sverdlow-Universität in Moskau vor Arbeiterinnen und Bäuerinnen gehalten hat: Die Situation der Frau in der gesellschaftlichen Entwicklung, Verlag Neue Kritik, Fulda, 19754, insbesondre das Kapitel: Die Bewegungen der Feministinnen und die Bedeutung der Arbeiterinnen im Klassenkampf. Diese Tochter eines reichen zaristischen Generals begann ihre politische Entwicklung als menschewistische Feministin und erkannte durch die Lektüre Lenins, dass die Frauenfrage keine Geschlechter-, sondern eine Klassenfrage ist. Ich möchte mit der bitteren Erkenntnis Fouriers schließen, dass man in Europa das weibliche Geschlecht so sehr erniedrigt habe, dass es gar nicht mehr auf den Gedanken kommt, zu fordern, was ihm zusteht5.
Marx schrieb über die Commune von Paris, sie habe gezeigt, dass nur noch das Proletariat einer historischen Initiative fähig sei. Das bedeutet für die heutige Frauenfrage, nicht bürgerliche und kleinbürgerliche Feministinnen sind einer historischen Initiative zur Befreiung der Frau fähig, wohl aber die Arbeiterinnen und Bäuerinnen, die produktiven Frauen. Sie haben von der Geschichte die großen Rechte erhalten, die Ideale von Fourier, Lenin und Kollontai zusammen mit ihren männlichen Klassengenossen in die Weltgeschichte einzubilden. Privateigentum spaltet, seine Aufhebung vereint.
PROLETARIER UND PROLETARIERINNEN ALLER LÄNDER,
VEREINIGT EUCH!
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1 Karl Marx, Das Kapital, Werke Band 23, Dietz Verlag, Berlin, 1960,769
2 Charles Fourier, Théorie des quatre mouvements et des destinés générales, Paris, 1846,132
3 Lenin, Zum vierten Jahrestag der Oktoberrevolution, in: Ausgewählte Werke, Progress Verlag, Moskau, 1975,710
4 Die Situation der Frau in der gesellschaftlichen Entwicklung, Verlag Neue Kritik, Fulda, 1975
5 Vergleiche Charles Fourier, Le Nouveau monde amoureux, Paris, 1967,33
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Die Ohnmacht der Utopie
Während de Sade nur Voyeur des Sittenverfalls in der französischen Revolution mit weit aufgerissenen Augen bleibt, alles aufschreibt und diesen in seiner Phantasie weiter steigert, versucht sich Fourier als Konstrukteur einer neuen, auf einer höheren Stufe als der bürgerlichen Zivilisation stehenden Gesellschaft. Das Phantastische, in das Fourier bei der geistigen Konstruktion seiner Gesellschaftspläne fällt, deutet das Zerbrechliche einer Theorie an, die nicht unmittelbar in gesellschaftliche Praxis umschlagen kann, der die Gegenwart nicht entgegenkommt, um sich realisieren zu können, und daher verfallen ist, sich ins Utopische zu überhöhen.
Utopie ist stets Ausdruck einer theoretischen Einseitigkeit, ist immer Ausdruck, dass Theorie und Praxis von vornherein außer Balance sind. Die Utopie spiegelt die Wirklichkeit nicht richtig wider, sondern ist von ihr entbunden und wird so reine Kopfsache. Die Vibrationen der Theorie-Praxis-Reziprozität werden zu immanent-onanistischen in der Theorie. Kann der Verbindungsfaden zur gesellschaftlich-praktischer Tätigkeit noch nicht vorliegen, ergibt sich eine Verblendung, der immanent ist, den theoretischen Entwurf auf Buchseiten zu begraben. Utopie gibt nichts Manifestes preis und entgleitet rasch den Köpfen nachfolgender Generationen. “Dem unreifen Stand der kapitalistischen Produktion, der unreifen Klassenlage, entsprachen unreife Theorien. Die Lösung der gesellschaftlichen Aufgaben, die in den unentwickelten ökonomischen Verhältnissen noch verborgen lag, sollte aus dem Kopf erzeugt werden. Die Gesellschaft bot nur Mißstände, diese zu beseitigen war Aufgabe der denkenden Vernunft“(1). So sehr sich Fourier auch bemüht, inhaltlich Entgegensetzungen zu Grundsteinen der verhassten bürgerlichen Gesellschaft mit seiner denkenden Vernunft zu konstruieren (Orgie versus Ehe, sich abwechselnde Tätigkeiten, statt lebenslang Anhängsel einer Maschine zu bleiben …), alles bleibt in praktischer Hinsicht fruchtlos, denn es genügt nach Marx nicht, dass sich der Gedanke zur Wirklichkeit drängt, die Wirklichkeit muss sich auch zum Gedanken drängen. Letzteres konnte bei der unreifen Klassenlage noch nicht vorliegen, und so musste Fourier an der praktischen Weltgeschichte vorbeigehen wie ebenfalls Owen und Saint-Simon, deren Lehren Fourier als Sektenunrat denunzierte. Tatsache ist, dass alle drei großen sozialistischen Utopisten in der gesellschaftlichen Praxis Schiffbruch erlitten, weil sie bedingt durch die unreife Klassenlage, der der Bourgeoisie gegenüber einzig essentiell antagonistischen Klasse den rationellen Kern in der mystischen Hülle noch nicht freilegen konnten.
(1) = Friedrich Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, in: Karl Marx, Friedrich Engels, Ausgewählte Werke, Progress, Moskau, 1975,421