Die bittere Frucht der Halbherzigkeit
Bolivien galt lange als das ärmste Land Lateinamerikas. Über 50 Prozent der Bevölkerung, also die Mehrheit sind Indios und zugleich der ärmste Teil der Bevölkerung. Die ganzen Jahrhunderte vor Evo Morales herrschten die weißen Großgrundbesitzer und Militärs,die Nachfahren der spanischen Eroberer.
Mit Evo Morales wurde zum ersten Mal ein Indio ein Präsident. Er führte eine sozialere Politik als seine Vorgänger durch, verstaatlichte Rohstoffunternehmen, aber nur teilweise. So konnte er den Lebensstandard seines Volkes leicht anheben und darin, z. B. Paraguay, überholen.
Wasser auf die Mühlen der Konterrevolution leitete er mit seiner Wiederkandidatur , die ja nach der Verfassung nicht vorgesehen war und auch nicht notwendig gewesen wäre. Da nützte auch die Bereitschaft seiner Partei MAS, des Wahlsiegers zu Neuwahlen nichts mehr.
Ein handfester Grund für die Machtergreifung der alten „Eliten“ ist der Rohstoff Lithium, der Rohstoff des Smartphone- und Elektroauto-Zeitalters des 21. Jahrhunderts, um den die amerikanischen, deutschen und chinesischen Imperialisten gierig und erbittert kämpfen. Nicht umsonst anerkannte die Bundesregierung Deutschlands so schnell die neue Regierung. Symbolisch verbrannte die Konterrevolution nach dem Sturz der Regierung Evo Morales die Wiphala, die indigene Flagge, entfernte sie von den Amtsgebäuden Boliviens und präsentierte sich der nationalen und internationalen Öffentlichkeit mit der Bibel in der Hand.
Ein weiterer Grund ist der rassistische Haß der alten weißen Oberschicht. Für sie ist es auch nach mehr als einem Jahrzehnt des Wandels weiterhin inakzeptabel, daß Evo Morales der indigenen Mehrheit nicht nur kulturelle Würde gab, sondern sie ewas an der politischen Entscheidungsmacht in den staatlichen Institutionen beteiligte. Kein Wunder also, daß die ewigen Ultrarechten aus der Riege der Großgrundbesitzer der östlichen Departments Santa Cruz, Beni und Pando um Luis Fernando Camacho das Zepter der Konterrevolution führen. In den US-amerikanischen Falken der Trump Administration – im Kalten Krieg sozialisierteImperialisten, die in Evo einen „Chavez-Castro Kommunisten“ sehen – fanden sie Gleichdenkende für eine ideologisch getriebene Konterrevolution, die nun mit aller Härte des kulturellen Revanchismus durchgeführt wird.
Der Widerstand hat jedoch begonnen. Bergarbeiter der COB, die Bauern des Chapare, die Aymaras von El Alto: Boliviens soziale Bewegung kann auf eine der kämpferischstenTraditionen des Kontinents zählen.
Warum mußte Evo Morales so schnell nach Mexiko fliehen, obwohl er zumindest die Hälfteder Bevölkerung hinter sich hat? Er hat denselben Fehler gemacht wie die deutsche Sozialdemokratie im November 1918. Er hat versäumt, die alte Oligarchie zurechtzustutzenund zu entmachten.
Lassen wir dazu Felipe Quispe Huanca, den früheren Generalsekretär der Vereinigung der Bolivianischen Landarbeiter CSUTB, der wichtigsten indigenen Campesino-Organisation, deren Aufstände zwischen 2000 und 2005 drei Regierungen stürzten und schließlich die Wahl Evo Morales ermöglichten, sprechen. Präsident Evo Morales ist aus Sicht Quispes ein „angepaßter Indio“, seine Regierung vertrete nur unzureichend indigene Interessen: „Hätten wir wirklich die Macht übernommen, hätten wir jetzt Minister und Botschafter, die Aymara oder Quechua sprechen. Der Armeechef und der Polizeichef hätten Nachnamen wie Mamani oder Condori, das wäre ein echter Wandel gewesen. Aber die aktuelle Regierung ist Schuldner der Nichtregierungsorganisationen (NRO) und anderer Länder, und alle diese Leute präsentieren jetzt ihre Rechnungen, die beglichen werden wollen. Der Energieminister Carlos Villegas arbeitete vorher für NRO, die Ministerien für Minenwirtschaft und Arbeit sind von einstigen Vertretern der traditionellen Parteien besetzt, und die wenigen Indios, die in der Regierung waren, wie der ehemalige Bildungsminister Felix Patzi oder der Wasserminister Abel Mamani, wurden ausgewechselt. Der einzige Indioim Regierungspalast ist der Außenminister David Choquehuanca.
Ich denke, daß Evo viel eher ein Püppchen der traditionellen Linken ist, und die ist in Bolivien oligarchisch. Ich sehe nicht, daß sie sich auf dem Weg hin zu einem radikalen Wandel des Landes befindet. Das sind eben die Söhne der Landbesitzer und Unternehmer, einige sagen sie seien ‚rechts‘, andere sagen sie seien ‚links‘, und manchmal streiten sie sich untereinander, doch in der Praxis existiert diese Unterscheidung in Bolivien nicht.“
Was hier Felipe Quispe Huanca fordert ist nicht einmal Sozialismus, sondern die konsequente Durchsetzung der Demokratie, die Beteiligung der Ureinwohner, der Indios, die die Mehrheit stellen, an der Macht. Aber auch und besonders in Lateinamerika gilt: Die politische Macht beruht auf den Gewehrläufen.
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