Ursprünglich war die globale Digitalwährung Libra eine Idee von Mark Zuckerberg (Facebook). Inzwischen hat jedoch die von den USA angeführte G7-Gruppe dazu eine Verlautbarung herausgegeben.
Bei Lichte besehen, von der Diplomatensprache in normale Sprache übersetzt, steht in der G7-Verlautbarung:
• Daß Libra grünes Licht bekommen soll, wenn die Betreiber dafür sorgen können, daß Vorschriften zur Identifizierung der Sender und Empfänger von Finanztransaktionen eingehalten werden. Das ist eine Anforderung, die gut in die Pläne von Facebook paßt.
• Daß die G7 die größere G20-Gruppe, die eigentlich für Finanzregulierung zuständig sein sollte, in Sachen Libra entmachtet hat.
• Daß US-dominierte internationale Regulierergremien wie der Finanzstabilitätsrat (FSB) die Vorentscheidung treffen sollen, welche Bedingungen die Libra Association erfüllen muß, um loslegen zu dürfen.
Mitglied der G7 sind die USA, Kanada, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien. Seit der großen Finanzkrise ist die G7 stark in den Hintergrund getreten. Dafür wurde auf Initiative der USA die G20 zum Richtungsgeber für die internationale Finanzregulierung aufgebaut. Es war regelmäßig die G20, die den internationalen Standardsetzergruppen die (informellen) Arbeitsaufträge gab.
Zu den G20 gehören neben den G7 die wichtigsten Schwellenländer, darunter China, Indien und Rußland. Offenbar ist es den USA in diesem Rahmen nicht gelungen, eine Beschlußfassung herbeizuführen, die den Standardsetzern den Auftrag gibt, ein passendes regulatorisches Umfeld für Libra zu schaffen. Deshalb hat die G7 das mit einer Arbeitsgruppe zu „Stablecoins“ an sich gezogen.
Libra ist so eine „Stablecoin“, eine Kryptowährung, deren Wert gegenüber einem wichtigen Wertmaßstab – in diesem Fall einem Korb der großen Währungen – stabil gehalten werden soll. Wenn die G7 „Stablecoin“ schreibt, meint sie Libra.
Hier die wichtigsten Aussagen aus dem Bericht der G7-Arbeitsgruppe: „Stablecoins könnten zur Entwicklung globaler Zahlungsverkehrsarrangements beitragen, die schneller, billiger und inklusiver sind als die gegenwärtigen.“
Da es sich bei Facebook und der Libra-Association um private Organisationen handelt, die in ein traditionelles Zuständigkeitsgebiet von Regierungen eindringen wollen, ist das weder selbstverständlich, noch aus diplomatischen Gründen gefordert. Es geht direkt weiter mit: „Die G7 glaubt, daß kein globales Stablecoin-Projekt starten sollte, bis die rechtlichen regulatorischen und Aufsichtsherausforderungen und -risiken angemessen bearbeitet (addressed) sind, durch angemessene Ausgestaltung und durch Einhaltung von Regeln, die klar und proportional zu den Risiken sind.“
Die Formulierung „nicht starten sollte, bevor“, kann man auch übersetzen mit „starten darf, sobald…“ Im Ausdruck „Regeln die klar und proportional zu den Risiken sind“ versteckt sich ein Auftrag an die Regulierer, Libra nicht mit zu strengen Regeln zu behindern, und die Regeln so klar zu fassen, daß die Libra Association sich darauf verlassen kann, die Genehmigung zu bekommen, wenn sie umsetzt, was verlangt wird. Gleichzeitig wird vorbereitet, daß kritische Regierungen später unter Druck gesetzt werden können, die in den Standardsetzergremien vereinbarten Regeln so – und nicht strenger – anzuwenden.
Das wird dann auch noch ausdrücklicher und im Befehlston so formuliert: „Öffentliche Stellen müssen sich über Behörden, Sektoren und Gebietskörperschaften hinweg koordinieren, um verantwortungsvolle Innovation im Zahlungsverkehr zu unterstützen und gleichzeitig eine global konsistente Antwort zur Risikominimierung sicherzustellen. Behörden sollten darauf abzielen, daß ihre Regulierung diese Prinzipien und Standards beachtet und diese Regulierungen auf Stablecoins anwenden. Sie sollten einen technologieneutralen, funktionsbasierten Regulierungsansatz verfolgen. Sie sollten die Auswirkungen globaler Stablecoins untersuchen und dabei darauf achten, daß schädliche Regulierungsarbitrage vermieden wird und ein ebenes Spielfeld (level playing field) sicherstellen, das Wettbewerb ermutigt.“
Das sind alles Prinzipien, die darauf hinauslaufen, daß keine Regirung von den global vereinbarten „innovationsfördernden“ Regeln abweichen darf, auch und vor allem nicht, um seinen Zahlungsverkehr vor der Dominanz amerikanischer Großkonzerne zu schützen. Das würde als wettbewerbswidrig gelten (level playing field) und den Grundsätzen der Technologieneutralität und Funktionsbasiertheit widersprechen. Es soll nur darauf ankommen, welche Funktionen erfüllt werden, nicht wer das mit welcher Technologie tut. Die Regierungen dürfen sich demnach auch nicht mehr auf den Standpunkt stellen – wie das z.B. der französische Finanzminister getan hat – daß private Unternehmen keine Währung emittieren dürfen sollen, weil das Sache der Staaten sei. Das wäre nicht „funktionsbasiert“.
Dann wird bestimmt, welche informelle Guppe als Haupt-Standardsetzer für Stablecoins fungieren soll: es ist der Finanzstabilitätsrat (FSB). Und dieser bekommt ein sehr konstruktives (für Facebook) Mandat: „Der FSB und (andere) Standardsetzer intensivieren ihre Anstrengungen, zu beurteilen, wie ihre bestehenden Prinzipien und Standards aus Stablecoins angewendet werden sollten, und/oder neue Politikempfehlungen für Stablecoin-Arrangements in einer global konsistenten Weise zu entwickeln.“
Die 25 Länder, die bein FSB mitmachen dürfen und jeweils einen Notenbankvertreter und einen Vertreter des Finanzministeriums entsenden, überschneiden sich stark mit den G20. Allerdings hat bei der Umsetzung des Libra-freundlichen Arbeitsauftrags von den G7 der Vorsitzende des FSB eine herausragende Rolle. Denn der Rat tagt in der Regel nur zweimal im Jahr. Dazwischen treiben Sekretariat oder Arbeitsgruppen unter Ägide des Vorsitzenden die Arbeit voran. Vorsitzender ist der US-Amerikaner Randal Quarles von der US-Notenbank Federal Reserve.
Im Kommunique, mit dem die G7-Präsidentschaft den Bericht der G7-Arbeitsgruppe begrüßt, wird in diplomatischer Sprache, aber doch deutlich klargestellt, daß die G7 sich selbst um die Herstellung von Rechtssicherheit für Libra kümmern werden und die G20-Länder wieder ins Glied zu treten und das umzusetzen haben, was am Tisch der G7 beschlossen wird: „We welcome G20 cooperation (Wir freuen uns über Kooperation der G20)“
Nach Verweis auf die Arbeit der Standardsetzer FSB und Financial Action Task Force on Money Laundering and Terrorism Finance (FATF) wird dann ganz klar gesagt, daß jetzt wieder die G7 sagt, wo es lang geht. „Wir betonen die Bedeutung der globalen Koordination über Grenzen hinweg, auch mit Schwellen- und Entwicklungsländern. Die G7 werden eine Führungsrolle dabei einnehmen, die FATF-Standards in Bezug auf neue Technologien, einschließlich solcher in Bezug auf Stablecoins, schnell und effektiv umzusetzen.“
Mit anderen Worten: Wenn FSB und FATF (unter US-Führung) die Regeln formuliert haben, soll es in den G7-Ländern losgehen mit Libra. Die Länder, die nicht (mehr) mit am Tisch der Mächtigen sitzen dürfen, sollen diesem Beispiel dann gefälligst folgen.
Daß der Libra-freundliche Arbeitsauftrag von den G7 auf die US-Regierung zurückgeht, scheint klar. Das Magazin Politico erfuhr aus Kreisen der G7, daß verschiedene europäische Regierungen auf eine sehr restriktive Haltung, bis hin zu einem Verbot von Libra gedrängt hätten. Die sei jedoch am Widerstand von US-Finanzminister Steven Mnuchin gescheitert. Auch die EU-Kommission, die traditionell auf amerikanischen Druck so standfest reagiert wie ein Kartenhaus auf Wind, stellte sich Politico zufolge gegen Verbotsbestrebungen, um nicht technologiefeindlich und unkooperativ zu erscheinen.
Die G20 fügten sich brav und wiederholten in einem eigenen Kommunique die Formulierungen der G7. Außerdem kündigten sie an, sich nicht selbst mit dem Thema befassen zu wollen, bevor FSB und FATF Mitte nächsten Jahres ihre Empfehlungen abgegeben haben.
Traditionell werden die Empfehlungen dieser Gruppen von den G20 einfach abgenickt und dann von den Regulierern der Mitgliedsländer umgesetzt, meist ohne ernsthafte Beteiligung der nationalen Parlamente. Das mag in diesem Fall wegen der Interessensgegensätze nicht ganz so reibungslos gehen. Aber es in diese Richtung voranzutreiben, ist erkennbar die Strategie der US-Regierung.
Allein auf guten Willen ist sie dabei nicht angewiesen, denn sie hat auch einen bestimmenden Einfluß auf den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank. Und diese beiden Organisationen nutzen alle Druckmittel, die sie haben, um Schwellen- und Entwicklungsländer zu nötigen, die „unverbindlichen“ Finanzstandards getreulich umzusetzen, die von den „informellen“ Gremien im internationalen Schattenreich der Standardsetzer ausgekungelt werden. Tun sie es nicht, bekommen sie zum Beispiel schlechte Bewertungen für ihr Finanzsystem, was mögliche Investoren und Kreditgeber abschreckt.
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Die Briten machen mit
Der Gouverneur der Bank von England, Mark Carney, ein früherer Goldman-Sachs-Banker, sagte bereits im Juni, kurz nach Bekanntgabe der Facebook-Pläne, daß man bei der Bank von England daran denke, Technologieunternehmen (gemeint war Libra) Zugang zu Zentralbankliquidität zu geben, die bisher Banken vorbehalten ist. Wenn die Libra Association von den Zentralbanken wie eine Bank behandelt würde, könnte sie den Vorbehalt entkräften, die Einführung von Libra könnte die Zentralbanken entmachten. Zumindest die führenden G7-Zentralbanken, von denen sich die Libra Association Liquidität besorgen würde, bekämen darüber eine Informations- und Einwirkungsmöglichkeit.
Der Hauptpunkt jedoch ist die Geldwäschegefahr, die Libra nachgesagt wird, weil ja jeder ein Facebook- oder Whatsapp-Konto unter falschem Namen anlegen und damit Geldgeschäfte tätigen könnte. Hier ist vor allem die FATF mit ihren Anti-Geldwäscheregeln zuständig.
Die Libra Association hat allerdings in ihrem Weißbuch bereits angekündigt, daß sie plant, einen „offenen Identitätsstandard“ zu entwickeln und zu fördern. Die Sätze dazu im Weißbuch: „Ein zusätzliches Ziel ist die Entwicklung und Förderung eines offenen Identitätsstandards. Wir glauben, daß eine dezentralisierte und portable digitale Indentität eine Voraussetzung für finanzielle Inklusion und Wettbewerb ist.“
Daß ausgerrechnet die Datenkrake Facebook mit ihren vielen Datenmißbrauchs-Skandalen so etwas wie einen globalen digitalen Personalausweis entwickeln und durchsetzen will, hat viele Kommentatoren entsetzt. Aber die Gefahr ist groß, daß es so kommt, wie das abschreckende Beispiel China zeigt. Dort hat die auf Totalüberwachung versessene Regierung es Internet-Plattformen und Telekommunikationsunternehmen zur Pflicht gemacht, ihre Dienste nur von registrierten und identifizierten Nutzern in Anspruch nehmen zu lassen. Das betrifft auch die sehr stark verbreiteten Bezahlfunktionen WeChat und Alipay.
Man wird sich kaum der Illusion hingeben dürfen, daß die US-Regierung und die FATF so etwas nicht auch toll finden würden. Passender Weise ist der gegenwärtige FATF-Präsident ein Chinese. Wichtiger für die inhaltliche Arbeit ist allerdings der Exekutive Secretary, der Brite David Lewis. China und Großbritannien sind die beiden Länder mit der weltweit höchsten Dichte an Überwachungskameras je Einwohner.
Facebook kann also hoffen, den globalen Indentitätsstandard für das Internet, den es ohnehin etablieren will, von der FATF als Bedingung diktiert zu bekommen, damit Libra starten darf. Seit dem 18. Oktober und noch bis Ende November hat die Libra Association Zeit, ihre Vorstellungen dazu an die FATF zu übermitteln. Bis dahin läuft eine öffentliche Konsultation zu einem Richtlinienentwurf der FATF zur digitalen Identität. Die Pläne der Libra Association für einen globalen Identitätsstandard könnten also bereits in die anstehende Richtlinie der FATF einfließen.
Wenn das klappen würde, könnten sich die französische und andere Regierungen auf die Hinterbeine stellen. Es würde kaum noch eine Rolle spielen.
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Stärkung der US-Sanktionsmacht
Warum die US-Regierung sich so anstrengt, Libra gegen alle Widerstände den Weg zur Verwirklichung zu ebnen, soll hier in aller Kürze ein Zitat von Facebooks Libra-Verantwortlichem David Marcus von Ende Oktober auf der Konferenz Money 20/20 genügen. (AML steht für Maßnahmen gegen Geldwäsche): „AML ist etwas, worum wir uns kümmern müssen, und ich will sagen, daß die Wirksamkeit der Durchsetzung von Sanktionen auf Libra viel besser sein kann als auf anderen Zahlungssystemen. Digital zu digital ist besser nachverfolgbar als wenn Bargeld involviert ist und es ist sicherer, weil es auf Real-Time Systemem läuft … Die offene Buchführung – die Blockchain – mach es den Regulierern möglich, selbst zu überprüfen, was passiert und zu identifizieren, wo das Risiko sitzt, ohne auf Meldungen angewiesen zu sein.“
Mit anderen Worten: Die US-Regierung und ihre Geheimdienste sollen direkten Live-Zugang zum Libra-Zahlungsverkehrssystem und seinen Daten haben und ihr Sanktionsregime dank Libra stark ausweiten und verfeinern können. Welcher Regierung und welchem Geheimdienst würde da nicht das Wasser im Mund zusammenlaufen.
(Dieser Artikel basiert auf den Arbeiten desWirtschaftsjournalisten Norbert Häring, veröffentlicht u. a. auf www.linkezeitung.de)
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