Aufruf zur Beteiligung an der Großdemonstration der Kampagne Halim Dener am Samstag, 06. Juli 2024

Redaktion – 4. Mai 2022

Vor 30 Jahren wurde Halim Dener von einem deutschen Polizisten in Hannover hinterrücks in den Rücken geschossen. Die gesellschaftlichen und politischen Fragen von Krieg, Flucht, staatlicher Repression und Polizeigewalt, die zum Tod des 16-jährigen Kurden geführt haben, sind nach wie vor ungelöst.
Auch darum gedenken wir Halim und fordern eine Aufhebung des PKK-Verbots sowie einen würdevollen Umgang mit dem Gedenken an ihn.

Halim Dener (* 23. Dezember 1977 im Landkreis Genç, Bingöl, Türkei[1]; † 29. Juni 1994 in Hannover am Steintor)

Aufruf zur Beteiligung an der Großdemonstration
der Kampagne Halim Dener

am Samstag, 06. Juli 2024

gefoltert. geflüchtet. verboten. erschossen.

Wir schreiben das Jahr 2024 – In vielen Regionen der Welt herrscht Krieg – Gaza, Ukraine, Jemen, Kurdistan – die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Regionale und globale Mächte heizen diese Kriege an, ihre Interessen werden genau dort verhandelt, sie liefern die Waffen. Verbrechen und Gewalt gegen Zivilist*innen sind dabei blutiger Alltag, sie kennen viele Gesichter: Folter, Vergewaltigung, Vertreibungen…1000 Gründe zur Flucht.

Wer flieht, trifft auf Zäune, Gräben, Mauern, Gewehrläufe. Wer flieht, ertrinkt, erfriert, verdurstet. Durchgesetzt von den Vereinigten Staaten Amerikas und Europas, die sich mit ihren militärisch hochgerüsteten Grenzregimen zu Festungen gegen den Rest der Welt machen. Den auf Kosten des Rests der Welt erbeutete Reichtum will man nicht teilen – egal ob
lokal oder global: Man tritt runter auf die Schwächsten, Armen, Ausgebeuteten.

Wer es dennoch schafft, und die politischen Verhältnisse in Deutschland und weltweit nicht widerstandslos hinnehmen will, macht sich viele Feinde. Man will in diesem Land keine ‚mitgebrachten Konflikte‘, man soll nicht ‚auch noch Ansprüche stellen‘ und für eine andere Welt kämpfen schon gar nicht. Das sei Terrorismus, und so wird es auch verfolgt. Und wenn es schlecht läuft, fällt das Todesurteil direkt auf der Straße. Ohne Gericht, ohne Verhandlung. Todesursache: Deutsche Polizist*innen. Deren Schießwut ist nicht unglücklichen Umständen oder Überforderung geschuldet, sondern wird seit Jahren trainiert, und die gesetzlichen Hürden dafür immer weiter abgebaut. Dazu kommen die Taten der berüchtigten ‚verwirrten Einzeltäter‘, über die deutsche Behörden lieber nicht zu viel wissen wollen. Die Liste der Namen derjenigen, die in Deutschland durch rassistische Polizeigewalt und rechte Anschläge getötet wurden, füllt Seiten.

Einer von ihnen starb vor 30 Jahren in Hannover. Sein Name ist unvergessen. Er steht für all jene Zumutungen, von denen hier die Rede ist. Denn sie sind seine Geschichte: HALIM DENER

gefoltert
Anfang der 1990er Jahre kam es zum Aufstand der kurdischen Bevölkerung. Ein Aufstand, der vom türkischen Staat mit Krieg gegen die Zivilbevölkerung beantwortet wurde. 3500 zerstörte und niedergebrannte Dörfer, zerstörte zivile Infrastruktur, mehr als 3 Millionen Zivilist*innen auf der Flucht. Die Waffen für diesen Krieg lieferte Deutschland. Eine Praxis, die erst unterbrochen wurde, als Bilder von deutschen Panzern, mit denen kurdische Aktivist*innen durch die Straßen geschliffen wurden, an die Weltöffentlichkeit gelangten. Einer von den vielen, deren Heimatdorf niedergebrannt, die in diesem Krieg festgenommen und gefoltert wurden, war der kurdische Jugendliche Halim Dener.

geflüchtet
Und so gehörte Halim Dener zu den mehr als 300.000 Menschen, die seit Ende der 1980er aus Kurdistan nach Deutschland fliehen mussten. Doch das Land, in das er 1994 floh, war dasselbe Land, das schon Anfang der 1980er Jahre – nach dem Militärputsch – türkische Linke an die Türkei auslieferte. Es war dasselbe Land, in dem es 1992 zu den Pogromen und Anschlägen in Hoyerswerda, Rostock Lichtenhagen und Mölln kam, und dessen Antwort auf diese Eskalation der Gewalt die Einschränkung des Rechtes auf Asyl war.

verboten
Halim Dener floh in ein Land, in dem die Proteste der kurdischen Bevölkerung gegen die Unterdrückung in ihrer Heimat mit einer
beispiellosen Hetzkampagne und dem Verbot der PKK und all ihr nahestehenden Organisationen beantwortet wurden. Kurd*innen = PKK = Terrorist*innen war die Gleichung für eine innerstaatliche Feindeserklärung, die damals wie heute gegenüber den Kurd*innen, ihren Vereinen, Strukturen und Aktivist*innen gilt, und die ein Klima von Hass und Angst geschaffen hat.

erschossen

Halim-Dener-Gedenktafel am Ort der
Ermordung, Hannover, Steintor

Diesen Anfeindungen und Repressionen zum Trotz setzte sich Halim auch in der BRD für die kurdische Bewegung ein. Er plakatierte schon wenige Wochen nach seiner Flucht in Hannover Poster mit dem Emblem der ERNK, des (damaligen) politischen Arms der PKK. Dabei wurde Halim am 30. Juni 1994 von SEK-Polizisten in Zivil überrascht und bei der Festnahme in den Rücken geschossen. An eben dieser Schussverletzung starb Halim nur wenig später. Sinnbildlich für die Situation der in Deutschland lebenden Kurd*innen wurde der Schütze nach einem drei Jahre andauernden Prozess freigesprochen.

Berthold Brecht hat einmal geschrieben: „Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.“

Der Tod Halim Deners zeigt: Auch das Erschießen durch einen deutschen Polizisten gehört dazu.

Wir demonstrieren und protestieren angesichts und gegen die Kriege dieser Welt. Wir beobachten, wie fortschrittliche Bewegungen weltweit unterdrückt und bekämpft werden, und wir stellen uns in internationaler Solidarität an ihre Seite. Wir sind nicht bereit, die Abschottungspolitik der Regierenden an den Außengrenzen hinzunehmen. Wir lehnen uns auf gegen die Repression und die Aushöhlung der Grundrechte. Wir sind traurig, zornig, wütend angesichts von rassistischer Polizeigewalt und rechtem Terror. Wir nehmen die Verbotspolitik nicht mehr hin.

Lasst uns überall dort, wo wir dies tun, Halim Dener und seine Geschichte lebendig werden lassen: In unseren Aufrufen, Flugblättern und Reden. In unseren Liedern und Transparenten. In unseren Kämpfen und politischen Arbeiten.

Lasst uns zusammenkommen am 06.07.2024 in Hannover – zur großen Demonstration zum 30. Todestag von Halim Dener. Lasst uns unsere KÄMPFE VERBINDEN und zeigen, dass die antirassistischen und internationalistischen Antworten auf die Krisen dieser Welt lebendig sind.

Kampagne HALIM DENER – KÄMPFE VERBINDEN im Februar 2024

Zur Demonstration am 6.07.24 rufen unter Anderem auf:
Föderation der Gemeinschaften aus Kurdistan in Norddeutschland – FED-DEM, Rote Hilfe e.V., Gruppe RoterMorgen Hannover, Interventionistische Linke, Gemeinsam Kämpfen Hannover, Internationalistische Jugendkommune, Flüchtlingsrat Niedersachsen, Linksjugend [’solid], Linksjugend [’solid] Niedersachsen, Fridays for Future Hannover, Migrattack, FemMigra, Ventana al Sur, Feministischer Rat Hannover, Defend Kurdistan, Rheinmetall entwaffnen, Ende Gelände Hannover, Solikreis Bilel, Freund*innen der kurdischen Freiheitsbewegung Braunschweig, „die anticapitalistas“, das rote songduo aus der wesermarsch, Women Defend Rojava Deutschland, Grüne Jugend Niedersachsen, Autonomes Feministisches Kollektiv Hannover, VVN/BdA Hannover, Die Falken Hannover.

Halim-Dener-Graffiti (ca. 4,00 x 2,00 m) am AJZ in Bielefeld

Anhang:

Rede des Genossen Heinz Ahlreip zum 28. Jahrestag (2022)
der Ermordung Halim Deners in Hannover

Heinz Ahlreip
Kampagne Halim Dener
Halim Dener
Broschur, 200×200 mm
226 Seiten, 10,00 Euro
ISBN 3-9809970-0-6
Neuerscheinung Juli 2020
Verlag Gegen den Strom. | BESTELLUNG

War Halim Dener den Todesschwadronen in der Türkei entkommen, rechnete er nicht mit dem Hass deutscher Beamter, denen er nicht entkam. Halim Dener starb in der Nacht auf den 1. Juli 1994, in den Rücken geschossen von einem SEK Beamten in Zivil.

Erschossen. Er wollte mit Plakaten gegen das Verbot der PKK protestieren. Durch das Verbot wurde eine allenfalls Ordnungswidrigkeit zu einem quasi “terroristischen“ Delikt.

Verboten. Er war aus der Türkei geflüchtet als unbegleiteter Minderjähriger.

Geflüchtet. Dort war er wie so viele von der Polizei verhaftet und gefoltert worden.

Gefoltert. Gefoltert – geflüchtet – verboten – erschossen.

Unter dieser Losung bildete eine Demonstration 2014 in Gedenken an Halim Dener und alle anderen durch Polizeigewalt Umgekommenen den Auftakt für die Kampagne für ein würdiges Gedenken an Halim Dener.

Von Anfang an hatte die Kampagne offensiv auf gut kalkulierten zivilen Ungehorsam gesetzt und versucht, die Stadt in eine politische Auseinandersetzung um ein Gedenken an Halim Dener zu zwingen – einem Ort des Gedenkens an Halim Dener einen prominenten Platz zu geben.

In Gedenken an den 1994 erschossenen Kurden Halim Dener zog ein Protestzug durch die Innenstadt von Hannover. | >Archivbild<

Im Folgenden ließ die Staatsschutzabteilung nichts unversucht, um zu einer Kriminalisierung der Kampagne Halim Dener zu kommen. Das bedeutete: es gab Verfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, es gab Verfahren wegen des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz, es gab den Versuch der Anklage wegen Unterstützung der PKK mit einer tatsächlich komischen und erheiternden Justizposse. Es gab die Observation des UJZ Korn ohne richterlichen Beschluss, es gab eine Razzia und sogar Luftballons wurden verfolgt – als angebliche Symbole terroristischer Vereinigungen.

Beeindrucken ließ sich niemand davon, im Gegenteil: Die Solidarität wuchs stetig. Ein Wandbild entstand, öffentliche Diskussionsveranstaltungen wurden gemacht, T-Shirts wurden gefertigt, eine Initiative für einen Halim-Dener-Platz entstand, jedes Jahr gab es nun Kundgebungen, Demonstrationen und Aktionen, ein Gedenkstein wurde verlegt, eine Plakette angebracht, ein Buch wurde herausgegeben.

Der Zusammenhalt der deutschen Linken und der kurdischen Bewegung konnte nicht mehr zerstört werden. Mittlerweile kannten wir uns gut.

Gerade auch der Verlauf der Repression in Hannover aber zeigt, dass die Jurisdiktion wie die Exekutive kein Vorwurf zu absurd erscheint, wenn es nur gegen diesen Zusammenhalt geht. Er zeigt aber auch, wie Solidarität organisiert werden kann – auf verschiedenen Ebenen – und wie sie erfolgreich sein kann.

Dich wir müssen weiterhin davon ausgehen, dass die Verfolgungsbehörden, geht es gegen Linke – ob Migranten oder deutsche – ihrer alten Richtung treu bleiben werden: legal – illegal – scheißegal, und alles versuchen werden, was ihnen gerade so einfällt, um die “linksradikalen Umtriebe“ zu stören.

Das vor allem, wenn es um beide zusammen geht, denn “eine Zusammenarbeit von linken Migranten und Deutschen ist der Alptraum der Sicherheitsbehörden“ – so sinngemäß – formulierte ein hoher Polizist das mal.

Nun lasst uns denn gemeinsam zum Alptraum dieser Behörden werden.

Für einen Ort des individuellen Gedenkens an Halim Dener.
Für eine umfassende Aufklärung aller Fälle von Polizeigewalt.
Für die Aufhebung des Verbots der PKK.
Für die Freiheit von Abdullah Öcalan und alle anderen politischen Gefangenen.
Für den Kampf gegen Waffenlieferungen und für den Kampf gegen die Rüstungsindustrie: Rheinmetall entwaffnen!
Für Bleiberecht für Alle.
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HOCH DIE INTERNATIONALE SOLIDARITÄT!

 

 


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