Acht Millionen Deutsche verdienen nicht genug um zu Leben!

Redaktion – 23. November 2020

Das Statistische Bundesamt (Destatis) veröffentlichte am 21. Oktober Zahlen, die besagen, dass 2018 jeder fünfte Werktätige weniger als 11,05 EUR pro Stunde verdiente; im Gastgewerbe waren es sogar 67 Prozent aller Werktätigen. Zehntausende verdienten laut Destatis nicht einmal den Mindestlohn von damals 8,84 € (heute 9,35 €).
Im Vergleich zum Vorjahr ist der Anteil der Werktätigen im Niedriglohnsektor von 22,8 Prozent zwar auf 21 Prozent gesunken, aber dank der wachsenden Zahl von Werktätigen ist deren absolute Zahl leicht gestiegen.
In Deutschland ist der Mindestlohn im Vergleich zu anderen vergleichbaren Industriestaaten der niedrigste! Quelle: »statista«, Quelle: YouTube

Per Definition gilt ein Bruttolohn dann als niedrig, wenn er die Existenz des Werktätigen nicht ausreichend sichern kann. Die Betroffenen Kollegen/innen sind dann auf ihre Familie oder mehrere Jobs angewiesen – oder auf sog. Transferleistungen des Staates (z. B. Hartz IV-Aufstockungen). Diese Transferleistungen sind nichts anderes als verdeckte Subventionen für die Unternehmen, die so um ihrer Pflicht zur Zahlung existenzsichernder Löhne herumkommen.

Niedriglöhne werden besonders im Dienstleistungssektor gezahlt, also in jenem Teil der Wirtschaft, wo im Zuge der schleichenden Digitalisierung Deutschlands neue Arbeitsplätze entstehen müssen. Der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft und die gegenwärtige Krise werden den Anteil im beschämenden Niedriglohnsektor vermutlich künftig weiter steigen lassen.

Die Zahlen erklären auch, warum gesellschaftlich geschaffener Reichtum sich zunehmend in wenige Hände konzentriert. Wir, die arbeitenden Menschen, vermehren tagtäglich durch unsere Arbeit das Vermögen der Reichen, während der Staat nicht einmal in der Lage ist, die Existenz seiner Bürger zu sichern. Wir nennen so etwas Verelendung, sie zeigt sich auch an den vielen Armen und der steigenden Beschaffungskriminalität in dem immer wieder als reichste Nation Europas gepriesenen Staat.

Grundsätzlich ist auch der Mindestlohn eine Schweinerei, weil er bei Weitem nicht ausreicht, um unser Lebensunterhalt zu bestreiten.

Ein 28-jähriger Kollege arbeitete seit November 2019 bei einem privaten Entsorgungsunternehmen in der Region Kaiserslautern als Leiharbeiter. Für die körperlich anstrengende Arbeit wie dem Leeren von Senkkästen oder die Entsorgung von Papiermüll und Gelben Säcken erhielt er von seiner Zeitarbeitsfirma einen Lohn knapp über dem Mindestlohn – fast 4 Euro pro Stunde weniger als die festangestellten Kollegen. Jetzt hat er am Arbeitsgericht Kaiserslautern eine Klage auf gleiche Bezahlung eingereicht.

Um im Kapitalismus einigermaßen über die Runden zu kommen, bedarf es viel mehr, als der Staat uns bietet.
Deshalb fordern wir:

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!

Für die Abschaffung aller prekären Arbeitsplätze

Für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich

Weg mit Hartz IV!

Für starke und kampfbereite Gewerkschaften der Arbeiterklasse!

 

.
Quellen:
> Destatis

> Arbeit Zukunft
> Jörg Föh
.

Lest dazu auch:

»Die Menschen in Deutschland sind so vermögend wie nie zuvor« – Aufklärung versus Gehirnwäsche

.

1 Kommentar

  1. Fakten zur Armut im modifizierten Kapitalfaschismus Deutschlands.

    Eine Bereitstellung von Reinhold Schramm

    »Armutszeugnis. Wie das Fernsehen die Unterschichten vorführt. Ein Projekt der Otto Brenner Stiftung, Frankfurt am Main 2020. OBS-Arbeitspapier 40.«

    Ein Auszug, vgl. OBS-Arbeitspapier *

    Zahlen und Fakten

    »Bei einer differenzierten Betrachtung kommt man nicht ohne Zahlen und Ziffern aus, die den sozialen Zustand und die Dynamik der Armut komprimiert verdeutlichen sollen. In der Publizistik werden sie oft wie ein Alarmsignal eingeführt. Sie sollen „für sich“ sprechen, was sie meist aber nicht tun, sondern sie bedürfen der Interpretation.

    Interessant ist beispielsweise, dass der Armutsbericht des Paritätischen für das Jahr 2019 einen Rückgang der bundesweiten Armutsquote konstatiert, zugleich aber eine wachsende Kluft zwischen den Regionen feststellt (vgl. Starzmann 2019). Außerdem weist der Bericht auf eine „besondere Dynamik bei der Entwicklung von Altersarmut“ hin. Im Schuldneratlas der Wirtschaftsauskunftei Creditreform wird die Zahl der Überschuldeten über 60-Jährigen auf 1,02 Millionen beziffert (Creditreform 2019).

    Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock hat die Daten zur Rentenversicherung von 27 Millionen Arbeitnehmern im Alter zwischen 30 und 59 Jahren ausgewertet. Danach ist klar: Armut, Arbeitslosigkeit und schlechte Bildung sind zugleich das größte Gesundheitsrisiko. Für 40-jährige Männer unterscheidet sich die Lebenserwartung in Abhängigkeit vom Einkommen um bis zu fünf Jahre.

    Wenig überraschend ist, dass es – quer durch alle Studien – nach wie vor besonders Arbeitslose, Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen sind, deren Armutsquote am höchsten ist. Fast 3,9 Millionen Menschen bezogen 2019 Transferleistungen nach Arbeitslosengeld (ALG) II, etwa 20 Prozent der Kinder in Deutschland leben in Hartz-IV-Familien. Das sind 1,9 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. In Berlin sind es 35,7 Prozent (Hartmann 2012, S. 47). Hartz IV beziehen 35 Prozent aller Alleinerziehenden.

    Solche Sachverhalte rücken dann auch andere Zahlen ins Blickfeld, die normalerweise zu wenig im Armutskontext erörtert werden. Die jüngste PISA-Studie hat gezeigt: Jeder fünfte 15-Jährige erreicht beim Leseverstehen nur Grundschulniveau. Die exakte Übereinstimmung der genannten 20-Prozent-Marke bei PISA und in der Armutsforschung mag Zufall sein, aber ohne jeden inneren Bezug sind beide Größen nicht: Das Lesen ist gerade in armen Familien keine alltägliche kulturelle Praxis.

    Für die Armutsstatistik zu beachten ist zudem eine andere der Bildungspolitik entstammende Zahl: Seit 2015 wieder angestiegen ist die Zahl der Schulabbrecher. Sie liegt bei immerhin 6,8 Prozent (Kramer 2019). Die Schule ohne Abschluss zu verlassen kommt de facto einem Ausschluss von jedweder Berufsausbildung gleich. So werden „die Abgehängten von morgen“ (ebd.) produziert. Im Jahr 2018 konnten knapp 1,5 Millionen junge Menschen bis zum Alter von 30 Jahren keine Berufsausbildung vorweisen.

    Auch die Inanspruchnahme von Hilfsangeboten gibt Aufschluss über die gesellschaftliche Realität der Armut. Laut dem 5. Armutsbericht der Bundesregierung 2017 versorgten die „Tafeln“ 2016 1,5 Millionen Menschen mit Lebensmitteln. Die erste Tafel wurde 1993 gegründet. 2018 gab es 941 entsprechende Vereine mit fast 2.000 Ausgabestellen, für die 2.300 Fahrzeuge und rund 60.000 ehrenamtliche Helfer im Dienst waren.

    Um die gesellschaftliche Dynamik der Armut zu erfassen, muss der Blick geweitet werden auf die sogenannten „Working Poor“. „Wir haben uns daran gewöhnt“, schreibt die Welt-Reporterin Anette Dowideit, „dass Dinge für wenig Geld zu haben sein müssen“ (Dowideit 2019, S. 112). Aber „für den billigen Konsum zahlen andere die Rechnung“ (ebd., S. 115). Fast 3,4 Millionen Vollzeitbeschäftigte verdienen weniger als 2.000 Euro brutto im Monat. In Ostdeutschland sind das mehr als ein Viertel aller Vollzeitbeschäftigten, und 3,4 Millionen Menschen arbeiten regelmäßig in zwei Jobs.

    Selbst die FAZ konstatiert: „Deutschland hat einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa“ (Theurer 2019). Als Niedriglohn gilt ein Lohn, der geringer ist als zwei Drittel des mittleren Lohns im Land. 7,9 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland zu solchen Niedriglöhnen. Das ist inzwischen etwa jeder fünfte abhängig Beschäftigte. Seit 1995 ist das Heer der Niedriglöhner um 2,9 Millionen Beschäftigte gewachsen (ebd.). Einen Einstieg oder Übergang in tariflich geregelte Arbeitsverhältnisse – so war der Sektor ursprünglich angepriesen worden – bietet die Arbeit im Niedriglohnsektor in der Regel nicht. Die Working Poor leben in einer Art „prekären Wohlstands“, in einer Zone zwischen den Entkoppelten und den Integrierten. Wichtig für die eigene soziale Verortung ist hier nicht nur das Einkommen, das Konsum- und Bildungsverhalten sowie die Wohnlage spielen ebenfalls eine große Rolle.

    Diese Indikatoren sind entscheidend für die immer schärfere Absonderung, die entlang der vertikalen sozialen Stufenleiter stattfindet. Kathrin Hartmann beklagt: „Man trifft sich kaum im Konsumalltag […] lebt nicht mal mehr im selben Stadtviertel […], schon gar nicht trifft man sich in Fitnessstudios, im Theater, bei Konzerten, im Kino oder in Bars und Restaurants“ (Hartmann 2012, S.16 f.). Man könnte auch sagen, wir leben in einem Land der sozialen Segregation.

    Dies hat politische Auswirkungen, die am leichtesten an der Wahlbeteiligung ablesbar sind. Bis zu 40 Prozentpunkte beträgt die Differenz bei der Wahlbeteiligung zwischen den Nobelvierteln und den sozialen Brennpunkten in deutschen Großstädten (vgl. Butterwegge 2018, S. 71).« Ein Auszug, vgl.*

    * Quelle: Armutszeugnis. Wie das Fernsehen die Unterschichten vorführt. Ein Projekt der Otto Brenner Stiftung, Frankfurt am Main 2020. OBS-Arbeitspapier 40. Vgl. Armut – Mitten in der Wohlstandsgesellschaft. 2.2. Zahlen und Fakten, S. 13-15. »Armutszeugnis. Wie das Fernsehen die Unterschichten vorführt. Erschienen am 07. April 2020. OBS-Arbeitspapier 40. Autor: Bernd Gäbler.« Die Publikationen der Otto Brenner Stiftung stehen kostenfrei zum Download bereit. Herausgeber: Otto Brenner Stiftung Jupp Legrand Wilhelm-Leuschner-Straße 79 D-60329 Frankfurt am Main. AP40_Armutszeugnis.pdf (otto-brenner-stiftung.de) – https://www.ottobrennerstiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/02_Wissenschaftsportal/03_Publikationen/AP40_Armutszeugnis.pdf

    »Hinweis zu den Nutzungsbedingungen: Dieses Arbeitspapier darf nur für nichtkommerzielle Zwecke im Bereich der wissenschaftlichen Forschung und Beratung und ausschließlich in der von der Otto Brenner Stiftung veröffentlichten Fassung – vollständig und unverändert – von Dritten weitergegeben sowie öffentlich zugänglich gemacht werden.«

    25.01.2021, Reinhold Schramm (Bereitstellung)

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*