Heinz Michael Vilsmeier – 26. Juli 2020
Mindestens 174 von 450 Erntearbeitern eines landwirtschaftlichen Betriebes in Mamming im Landkreis Dingolfing-Landau sind am Freitag positiv auf SARS CoV 2 getestet worden. Erntearbeiter, Mitarbeiter und Betriebsleitung, insgesamt 480 Personen, sollen unter Quarantäne gestellt worden sein. Weitere Schritte sollen folgen, sobald die Ergebnisse einer Reihentestung vorliegen.
„Die Erntearbeiten können unter strengen Hygieneauflagen fortgesetzt werden.“ verkündete das Landratsamt Dingolfing-Landau.
Landrat Werner Bumeder gibt sich gelassen: „Der Landkreis Dingolfing-Landau sei auf derartige Situationen vorbereitet und könne deshalb rasch und effektiv reagieren.“ In der Mitteilung des Landratsamtes wird Bumeder mit den Worten zitiert: „Wir haben alle notwendigen Maßnahmen in enger Abstimmung geplant und sofort umgesetzt…“
Der Betrieb in Mamming ist nicht der einzige in Niederbayern, der hunderte Erntearbeiter aus den Risikogebieten des Balkans beschäftigt. Teilweise werden ganze Familien von Erntearbeitern auf äußerst engem Raum, in übereinander gestapelten Containern und unter entsprechend problematischen hygienischen Verhältnissen beherbergt. Angesichts dieser Umstände erstaunt die Äußerung Bumeders: „Die Erntearbeiten können aber unter strengen Hygieneauflagen fortgesetzt werden.“ – Landrat Bumeder tut gerade so, als gäbe es nichts Wichtigeres, als das Abernten von Gurken. Man muss sich fragen: Warum? – Möglicherweise hat Landrat Bumeder den medialen Knall nicht gehört, den die Masseninfektion bei Tönnies ausgelöst hat. Was, wenn sich herausstellen sollte, dass der von Bumeder verbreitete Optimismus völlig fehl am Platz ist!? – Wieso sollten die Erntearbeiter in dem Betrieb in Mamming die einzigen sein, unter denen das Corona-Virus derart grassiert?
Bayern ist das Paradies!“, verkündete einst Horst Seehofer auf dem Parteitag seiner CSU im Dezember 2017. Wie dieses Paradies aussieht, daran hat sich seither, zumindest für Erntearbeiter, nichts geändert. – Das Seehofer damit demagogisch übertrieben hat, ist schon klar. Doch wenn man sich die Arbeit der osteuropäischen Galeerensklaven und -sklavinnen in den niederbayerischen „Gurkenfliegern“ anschaut, wird einem klar, dass Seehofer wohl die Großbauern in den niederbayerischen Gurkenanbaugebieten adressiert hat. Für die „Fremdarbeiter“, wie die osteuropäischen Wanderarbeiter früher und im Volksmund noch immer genannt werden, ist Seehofers Aussage sicherlich nicht gerade zutreffend.
Das Wort „Sauregurkenzeit“ hat seit dem 18ten Jahrhundert mehrere Umdeutungen erfahren. Zuletzt wurde es in der Publizistik für die nachrichtenarme Zeit in den Sommerwochen verwendet. In Niederbayern, dem größten europäischen Anbaugebiet für Gurken, steht „Sauregurkenzeit“ für die Monate von Juni bis September, in denen sog. Gurkenflieger mittels Traktoren über ausgedehnte Gurkenfelder geschoben werden. – Um Erntemaschinen im engeren Sinne handelt es sich dabei nicht. Vielmehr sind es monströse Stahlgestelle, in denen „Arbeitskräfte aus Osteuropa“ (PNP) auf dem Bauch liegend, mittels eines Traktors, der gleichzeitig einen Anhänger zieht, über die abzuerntenden Felder bewegt werden. Dabei pflücken sie Gurken im Akkord und werfen diese auf ein Förderband, über das die geernteten Früchte in einen Anhänger gelangen. Das Tempo des Pflückens wird vom Traktoristen bestimmt.
Die tägliche Arbeitszeit dauert von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, auch an Wochenenden. Solange liegen die „osteuropäischen Erntearbeiter“, egal ob es regnet oder ob Außentemperaturen bis zu 38 Grad herrschen, auf mit Schweiß getränkten Schaumstoffmatrazen, welche Saison für Saison wiederverwendet werden. Bis zu 30 Männer und Frauen schuften wie Galeerensklaven und -sklavinnen in diesen monströsen Ernteapparaten, 15 in jedem der durch eine Plane gegen die Witterung und vor allem gegen Blicke abgeschirmten Flügel. – In der Tat erinnern diese Konstruktionen an Galeerenschiffe. Der Unterschied zu diesen ist eher vernachlässigbar, er besteht darin, dass die Menschen in den Gurkenfliegern als Lohnarbeiter bezeichnet werden. Die Löhne in dieser Branche lagen in den letzten Jahren zwischen 2,5 und 5,- Euro – Frauen wurde „selbstverständlich“ weniger bezahlt – wir kennen das ja.
Damit dieses Lohnniveau bei Einführung des Mindestlohnes nicht angetastet würde, hat sich die CSU dafür stark gemacht, den Mindestlohn auf „Erntehelfer“ nicht anzuwenden. – Aber das ist ein anderes Thema, zu dem sich auch die SPD einmal äußern sollte.
Untergebracht werden die Wanderarbeiter und -Arbeiterinnen in übereinander gestapelten Containern, direkt auf den Höfen der Großbauern, zwischen Schweineställen und Scheunen, so, dass die Bewohner der Herrenhäuser sich weder durch den Anblick der Elenden, noch durch deren Essensgerüche und andere Geräusche gestört fühlen müssen. Zuletzt habe ich derartige Lebens- und Arbeitsbedingungen bei Macheteros in Andalusien gesehen, das war vor ca. dreißig Jahren. Manche Bauern stellen den Erntehelfern Traktoren und alte Anhänger zur Verfügung, mit denen die Frauen vor Ladenschluss zu Supermärkten gekarrt werden, um Lebensmittel für ihre Familien einzukaufen. Das geschieht auf den letzten Drücker gegen acht Uhr, um keine wertvollen Arbeitszeiten zu vergeuden. Die Frauen sitzen, wiederum von Planen verdeckt, auf Bierbänken in Anhängern, die nicht zur Personenbeförderung zugelassen sind. So werden sie durch den regen Straßenverkehr kutschiert, die Polizei scheint nichts mitzubekommen… Dies ist umso erstaunlicher, als diese Transportvehikel jeden Abend auf bestimmten Supermarktparkplätzen erscheinen, wo sie bei den Flaschen-, Weißblech und Kleider-Containern abgestellt werden.
Im Allgemeinen ist der Niederbayer sehr auf Diskretion bedacht. Nur manchmal, wenn er sich sehr ärgert, funktioniert die Verschwiegenheit nicht. Vor einigen Jahren stellte sich nach einer Kommunalwahl in der kleinen Stadt Geiselhöring heraus, dass ein Bauer und CSU-Bürgermeister hunderte seiner Erntearbeiter/innen, obwohl sie keinen Wohnsitz in der Stadt hatten, in die kommunale Wählerliste eintragen lassen konnte. (Wie solche Vorgänge rein praktisch durchgezogen wird, wissen nur die Beteiligten selbst. Rechtlich war der Vorgang aufgrund einer Spezialität im bayerischen Kommunalwahlrecht okay. Dieses hatte die CSU, kurz vor der Wahl, gestützt auf ihre Mehrheit im Landtag, vorausschauend geändert.)
Jedenfalls waren den Erntearbeitern Briefwahlunterlagen ausgehändigt worden. Die Auszählung der eingegangenen Stimmzettel hatte erwartungsgemäß überraschende Ergebnisse erbracht. In diesem Fall musste die Wahl nach Protesten des unterlegenen Bürgermeisterkandidaten der SPD, dem die Unregelmäßigkeit aufgefallen war, wiederholt werden. Es wurde gar von Wahlbetrug gesprochen, was dem geprellten Kandidaten den Zorn der Öffentlichkeit einbrachte. An den Stammtischen wurde er als Nestbeschmutzer verurteilt. Die Angelegenheit richtete sich gegen ihn und man sah ihn alsbald als ziemlich schlechten Verlierer an. – Bei der Nachwahl bekam er die Quittung, obwohl die Staatsanwaltschaft bis zur Wiederholung der Wahl ermittelte. Es blieb ihr aufgrund der Verdachtsmomente schlicht nichts anderes übrig. Konkrete Hinweise und Verdachtsmomente gab sie vor und während der Nachwahl, selbstredend nicht bekannt, wollte sie doch, wie es hieß, weder die Ermittlungen behindern, noch die Wahl beeinflussen. So ist es halt, das schöne und liebenswerte Niederbayern, wo nicht nur Hightech-Waffen und Luxuslimousinen hergestellt werden, sondern eben auch saure Gurken, die man quasi zwingend für Hamburger, Häppchen und Leberkässemmeln braucht. – Kein Wunder, dass Seehofer Bayern für das Paradies hält.
Angesichts der Arbeits- und Lebensbedingungen der „Arbeitskräfte aus Osteuropa“, bleibt der Niederbayer und die Niederbayerin in der Regel cool. – Warum die sauren Gurken so billig sind, obwohl sie nicht in Bangladesch kommen, interessiert weder ihn noch sie.
Über den Autor: Der Dipl. Politologe, Religionspädagoge und Systemanalytiker Heinz Michael Vilsmeier ist als Blogger und freier Publizist, u. a. für den WDR und Koncern TV- og Filmproduction (Copenhagen) tätig. Schwerpunkte seiner publizistischen Tätigkeit sind Recherchen im Bereich der organisierten Kriminalität und die Durchführung von Interviews mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Als politischer Aktivist engagiert HMV sich bei dem Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus, No Nukes Germany und dem Aktionsbündnis gegen die NATO Sicherheitskonferenz.
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An der Ausbeutung von Menschen aus anderen Ländern wird sich nur dann was ändern, wenn diese Länder wirtschaftlich weiter entwickelt werden. Dann können die Menschen nämlich bei ihren Familien bleiben und im Heimatland arbeiten. Solange es in Rumänien, Bulgarien, im Kosovo und anderen südosteuropäischen Ländern keinen wirtschaftlichen Aufschwung gibt, wird dieses Ausbeutersystem immer weiter gehen.
Moderner Sklavenhandel 😔 Es ist traurig wie skrupellos Menschen sein können. Hauptsache der Profit stimmt, wie es den Arbeitern/Arbeiterinnen geht es denen egal
Wenn es stimmt – Können die auch nicht wirklich was!
Ich bin in einem Tiefbau Unternehmen. Wenn sich jemand ohne es zu wissen ansteckt, soll dann meime Firma zumachen?
Habt ihr dann ein Problem mit Wasser!
Sprudelt es aus der Strasse?
Habt ihr keinen Strom!
Bleibt der Fernseher Schwarz!
Ist Gas kaputt!
Fliegt eure Bude in die Luft!
Aber ich bin in Quarantäne und darf dir nicht helfen.
Genau dort gehörst Du dann hin, damit nicht noch mehr Kollegen krank werden.
Andere Kollegen werden dann Deine Arbeit machen. Aber:
> arbeiten die für 5 € pro Stunde?
> schlafen sie zu sechs in einem Container?
> arbeiten sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang?
> sind sie von ihren Familien getrennt?
Darum geht es in dem obigen Artikel! Um die moderne Sklaverei und die Profite der Unternehmer.
Mit deinem Beitrag Malte, spielst Du zugereiste Kollegen gegen einheimische Kollegen aus. Das grenzt an Rassismus.
Gruß Fiete (Tischler seit 1972)