Manövrieren, Lavieren und schneller Rückzug – Zum Bündnis der kurdischen Freiheitsbewegung in Rojava mit den USA

Solidaritätsbekundung mit dem Freiheitskampf des kurdischen Volkes | Leonhard Lenz, CC0
Redaktion – 29. Januar 2025

Seit dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien wird zunehmend über die politische Ausrichtung des Landes diskutiert. Dabei gibt es unterschiedliche Sichtweisen auf die kurdische Freiheitsbewegung: Ist sie eine revolutionäre Kraft, die den Imperialismus überwinden will, oder ein pro-imperialistischer Akteur? Welche Einschätzung ist korrekt, und wie sollten wir Marxisten-Leninisten dazu Stellung nehmen?

Die kurdische Freiheitsbewegung wird von der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) angeführt und ist in Syrien und Rojava in Form der PYD sowie der YPG (Volksverteidigungseinheiten) und YPJ (Frauenverteidigungseinheiten) politisch und militärisch aktiv. Sie standen an der Spitze der Rojava-Revolution, die unter den Bedingungen des Bürgerkriegs und des imperialistischen Machtkampfs in Westasien erkämpft wurde.

Von verschiedenen Seiten werden diese Organisationen einerseits als revolutionäre Kraft zur Überwindung des Imperialismus, andererseits als pro-imperialistischer Akteur charakterisiert. Um diese Frage zu klären, sollten verschiedene Punkte betrachtet werden, insbesondere die historischen Bedingungen. Auch der Charakter und die Abgrenzung des Bündnisses zwischen der kurdischen Freiheitsbewegung und dem US-Imperialismus sollten untersucht werden. Schließlich bleibt die Frage, ob solche Bündnisse mit dem Marxismus-Leninismus vereinbar sind.
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Historische Bedingungen des Bündnisses

Das Bündnis der kurdischen Freiheitsbewegung mit dem US-Imperialismus entstand unter den Bedingungen des Bürgerkriegs in Syrien. Der faschistische Islamische Staat (IS) war der Kontrolle des westlichen Imperialismus entglitten und wurde zu einer eigenständigen reaktionären Kraft, die weite Teile Syriens und des Iraks eroberte. Die Hauptkraft im Kampf gegen den IS bildete das kurdische Volk in Form der YPG/YPJ.

Das kurdische Volk und die kurdische Freiheitsbewegung nutzten die Bedingungen des Bürgerkriegs und des Völkermords durch den IS, um sich sowohl gegen den IS und das Assad-Regime als auch gegen andere islamisch-fundamentalistische Kräfte zu behaupten, die von den USA, Großbritannien, Israel und der Türkei unterstützt wurden. Der US-Imperialismus entschied sich, am Kampf gegen den erstarkten und unkontrollierbaren IS mitzuwirken.

Die Zusammenarbeit mit der kurdischen Freiheitsbewegung war kein Ergebnis eines detaillierten Plans des Imperialismus, sondern entsprang den Bedingungen der historischen Selbstverteidigung. Die Rojava-Revolution war die Antwort der Unterdrückten auf die Versklavung von Frauen und Mädchen, den Völkermord an Minderheiten sowie die jahrhundertelange Spaltung der Bevölkerung entlang ethnischer Linien unter kolonialen Bedingungen. Diese Phase der Selbstverteidigung prägte den Charakter der Rojava-Revolution wesentlich.

Am Samstag haben in vielen Deutschen Städten, wie hier in Kiel, Proteste gegen die Besatzungsangriffe der Türkei und der sogenannten „Syrischen Nationalarmee“ (SNA) auf die Demokratische Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien stattgefunden. | Bild: Yus

Der Charakter des Bündnisses

Die führenden Kräfte der Rojava-Revolution gingen ein militärisches Bündnis mit dem US-Imperialismus ein – unter der Bedingung der eigenen Unabhängigkeit und zur Verteidigung ihres Lebens und ihrer Errungenschaften. Die politische und ideologische Eigenständigkeit, hervorgegangen aus dem Geist der Revolution, wurde unermüdlich verteidigt. Die Unterstützung durch den US-Imperialismus hatte nur insoweit Legitimität, wie sie die historische Selbstverteidigung ermöglichte. Die zur Verfügung gestellten Waffen erwiesen sich zweifellos als nützlich.

Das zeitweilige Überlassen von Öl-Feldern an den US-Imperialismus auf dem Gebiet der Selbstverwaltung war ein Teil des Bündnisses. Diese Tatsache verdeutlicht die Bereicherung des Imperialismus an den Ressourcen Rojavas, weniger jedoch die Prinzipien der Rojava-Revolution, die um ihr Überleben kämpfte.
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Die Grenzen des Bündnisses

Schon zuvor hatte der US-Imperialismus Interesse daran gezeigt, Rojava zu einem gefügigen Kollaborateur des Imperialismus zu machen. Die revolutionäre Energie für einen entschiedenen und umfassenden Kampf gegen das Patriarchat, das koloniale Joch, die imperialistische Ausbeutung und Unterdrückung sowie die Teilung der Bevölkerungen Westasiens entlang nationaler und religiöser Linien sollte dabei ausgelöscht werden. Die maximalen Zugeständnisse, die der US-Imperialismus der Bevölkerung in Rojava in Aussicht stellte, orientierten sich an einem Modell der Kollaboration, dessen Vorbild Irak-Südkurdistan ist.

Dem entgegen streben die Rojava-Revolution und die sie vertretenden politischen Strukturen seit jeher nach der Beständigkeit der Prinzipien ihrer Revolution. Dafür waren sie bereit, Zugeständnisse zu machen. Sie waren beispielsweise bereit, Kompromisse mit dem Assad-Regime einzugehen, um ihre Erfahrungen mit der Rojava-Revolution auf ganz Syrien ausweiten zu können. Auch heute zeigen sich die politischen Strukturen der Rojava-Revolution offen für Gespräche mit der nun regierenden HTS, um ihre Erkenntnisse bei der Neugestaltung Syriens einzubringen.

Um ihre Errungenschaften zu festigen, sucht die Rojava-Revolution nach unterschiedlichen Wegen. Dafür war und ist sie stets kompromissbereit. So bedeutet auch das Wehen der grün-weiß-roten Flaggen über Rojava nicht die Anerkennung der politischen und ideologischen Linie der HTS. Es symbolisiert vielmehr die Fortführung der eigenen Idee, die gewonnenen Erfahrungen auf Gesamt-Syrien ausweiten zu wollen – Prinzipien, von denen die PKK überzeugt ist, dass sie in ganz Westasien und der Welt Gültigkeit haben sollten.

Neben dem allgemeinen Interesse des US-Imperialismus, keinerlei Kräfte zu unterstützen, die durch ihre Prinzipien gefährlich für den Imperialismus werden könnten, verfolgen die USA in der jetzigen Übergangsphase spezielle Interessen: Die Verteidigung ihres strategischen Partners Israel hat oberste Priorität. Das bedeutet neben der Vernichtung der direkten Feinde Israels – der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hisbollah – auch das Zurückdrängen der Ansprüche der Türkei, die zwischen den imperialistischen Konkurrenten schwankt.

Der türkische Staat, der eine bedeutende Rolle beim Sieg der islamisch-fundamentalistischen Kräfte spielte, soll nur begrenzte Zugeständnisse erhalten, während die Position Israels in Westasien gefestigt werden soll. Mit einer politischen Mitgestaltung im neuen Syrien beabsichtigen die westlichen Imperialisten, langfristig Einfluss auf den neuen Staat in Syrien zu nehmen. Dabei könnten die Angriffe der Türkei auf Rojava derzeit als hinderlich für die Festigung der israelischen Position in Westasien gesehen werden. Zur Bekämpfung der revolutionären Energie der Rojava-Revolution könnten sie integrativere Methoden bevorzugen, um die Bevölkerung Rojavas in ein Israel-duldendes neues Syrien einzubinden.
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Ein Schachzug im Geiste Lenins und Stalins

Lenin nutzte den deutschen Generalstab für seine Zwecke, der damals zweifellos eine der kriminellsten Vereinigungen der Welt war, wenn nicht die verbrecherischste. Schon im März 1917 ließ er sich im plombierten Waggon durch Deutschland nach Russland transportieren. Damit wurde der Revolutionsexport ermöglicht, der Lenin ins bürgerlich-demokratisch gewordene Russland brachte, das durch die Februarrevolution eine neue politische Ordnung erhalten hatte. Lenin vertrat konsequent die Auffassung, dass Kommunisten die Spaltungen und Gegensätze unter den Imperialisten gezielt ausnutzen müssen, um die proletarische Weltbewegung voranzutreiben. Dies bedeutete einerseits das Ausnutzen von Konflikten und andererseits die bewusste Zusammenarbeit mit Klassenfeinden des Proletariats, wenn es die Umstände erforderten. In seiner Rede über den Frieden am 26. Oktober (8. November) 1917 bezeichnete Lenin den imperialistischen Krieg als „das größte Verbrechen an der Menschheit“1 Dennoch arbeitete er zeitweise mit deutschen Monarchisten zusammen. Ebenso schloss Stalin einen Nichtangriffspakt mit Hitler und lieferte Rohstoffe an das Deutsche Reich. Die junge Sowjetunion erhielt so mehr Zeit zur Aufrüstung und zur Vorbereitung des endgültigen Schlages zur Vernichtung des Faschismus in Europa.  

Ein besonderes Beispiel für Lenins Taktik findet sich in seinem Brief an die amerikanischen Arbeiter2, den er am 20. August 1918 schrieb und der am 22. August 1918 in der Prawda veröffentlicht wurde. Lenin unterscheidet darin zwei Arten von Übereinkommen mit der Bourgeoisie: solche, die von Pseudosozialisten getroffen werden, um gegen die Arbeiter zu agieren, und solche, die zum Schutz der Arbeiter dienen, die ihre Bourgeoisie bereits besiegt haben – also ein Bündnis mit der Bourgeoisie einer Farbe gegen die einer anderen Farbe. „Es gibt fagots et fagots“, wie der Franzose sagt.

Lenin führt ein prägnantes Beispiel an: Als der deutsche Imperialismus 1918 seine Truppen gegen das wehrlose Russland entsandte, das seine Armee bereits demobilisiert hatte, zögerte er nicht, mit einem französischen Monarchisten, dem Sprengstoffexperten Offizier de Lubersac, zusammenzuarbeiten. Obwohl sich beide eigentlich „an die Gurgel“ wollten, ergab sich eine vorübergehende Übereinstimmung ihrer Interessen. Die Bolschewiki machten damit von einer in jedem Krieg absolut notwendigen und gesetzmäßigen Methode Gebrauch: Manövrieren, Lavieren und ein schneller Rückzug. Er betonte, dass er ohne Zögern auch ein Übereinkommen mit deutschen imperialistischen Räubern schließen würde, falls dies notwendig wäre, um einen Angriff englischer oder französischer Truppen auf Russland abzuwehren.

  1. Vergleiche Lenin; Schlusswort zur Rede über den Frieden“, in: Werke in zwei Bänden, Band II, Berlin, 1955, Seite 257.
  2. Vergleiche Lenin: Brief an die amerikanischen Arbeiter, in: Lenin, Kampf um den demokratischen Frieden, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite 206.

Die Fakten über die derzeitige Lade in den befreiten Gebieten in Nord-Ost Syrien wurden der Analyse von
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