Hubert Maulhofer – 30. Juli 2021
Interview mit Welat Direj, 28, Internationalist und Mitglied der militärischen Verteidigungsstrukturen Rojavas zu den aktuellen Angriffen des türkischen Staates in Kurdistan und dem revolutionären Widerstand.
Bei euch in Nordsyrien sind es bereits über 30 Grad und der Sommer ist da. Seit vielen Monaten erreichen uns Nachrichten, dass die Türkei den Wasserzufluss nach Rojava unterbindet. Was ist Erdogans Kalkül hinter dieser Blockade?
Das ist Teil der Kriegsführung des faschistischen, türkischen Staates. Sie versuchen, mit allen Mitteln das Projekt der Selbstverwaltung im wahrsten Sinne des Wortes auszutrocknen. Ihnen ist vollkommen bewusst, dass sich Nord Ost Syrien, zu einem Großteil wirtschaftlich auf die Landwirtschaft stützt, für welche kontinuierliche Bewässerung ein essentieller Bestandteil ist, genauso wie natürlich einfach nur Trinkwasser. Zudem läuft durch die in der Vergangenheit starke Zentralisierung – ein Relikt aus Zeiten des Baath-Regimes – die Stromerzeugung zu einem sehr großen Anteil über den Staudamm in Tabqa und Tischrin. Ihr Ziel ist also, wenn sie auf militärischer Ebene keine Erfolge erzielen können bzw. es dafür gerade keinen Raum gibt, mit Hilfe von Wasserverknappung, Spezialkrieg, Embargo etc. das Volk zur Flucht und damit in die Verteidigungslosigkeit zu zwingen.
Wie reagiert die Selbstverwaltung Nord-Ost-Syriens auf diese Angriffe?
Es gibt natürlich nicht erst seit heute verschiedene Planungen und Projekte dem zuvorzukommen bzw. diesen Angriff abzuschwächen, aber diese reichen bei weitem nicht aus. Das reicht von Wasserumleitungsprojekten über Brunnenbohrungen zu neuen Bewässerungsmethoden in der Landwirtschaft. Außerdem ist auch ein wichtiger, nicht zu unterschätzender Aspekt die Aufklärung und Bildung, welche Ziele der faschistische, türkische Staat mit diesen Angriffen verfolgt, um sie damit ins Leere laufen zu lassen. Wir müssen begreifen, dass dieser kurdenfeindliche Staat eine Agenda des kulturellen Genozids verfolgt, er also vielleicht nicht 40 Millionen Kurdinnen und Kurden physisch auslöschen kann, aber diese in alle Himmelsrichtungen zerstreuen, sie vertreiben, schwächen und assimilieren will.
Mit der Besatzung Afrins durch den türkischen Staat und seine dschihadistischen Banden im März 2018 begann eine neue Phase von Guerillawiderstand, angeführt von den Befreiungskräften Afrins (HRE). Wie läuft es aktuell an dieser Front?
Ich würde das so formulieren: Afrin ist noch immer besetzt durch den Feind und daher ist der Widerstand nicht ausreichend, da Afrin bisher nicht befreit wurde. Aber wir sehen eindeutig eine positive Entwicklung in die richtige Richtung. In den letzten Jahren wurde in Rojava im Kampf gegen den Islamischen Staat eine bestimmte Art und Weise des Kampfes erlernt. Die türkische Invasion und Besatzung Afrins 2018 mit Drohnen, Kampfhubschrauber und Kampfflugzeugen war für die militärischen Kräfte in Rojava an vielen Stellen eine neue Herausforderung, die eine vollkommen neue Art und Weise der Kriegsführung erforderte. Sich dahingehend zu adaptieren, braucht etwas Zeit, aber wir können in jedem Fall eine deutliche Entwicklung sehen.
Seit April führt der türkische Staat eine neue Großoffensive gegen die Guerillaeinheiten der PKK in Südkurdistan/Nordirak. Nach der Niederlage gegen die siegreiche Guerilla in Haftanin 2020/21 folgt nun eine weitere Großoffensive. Wie bewertest du diese Angriffe?
Das wird schwer darauf kurz zu antworten, aber ich versuche es mal. Wir können ganz klar sehen, dass der Diktator Erdogan seit Jahren innenpolitisch nicht nur immer mehr an Popularität einbüßt, sondern zugleich eine schwere Wirtschaftskrise das Land erschüttert, die sich noch intensivieren wird. Erdogan steht mit dem Rücken zur Wand, was auch die erneuten Bemühungen seitens der Türkei zeigen, die Guerilla zu einem Waffenstillstand zu überreden. Eine alte Taktik der AKP um sich wieder in Position zu bringen.
Die AKP-MHP Regierung versucht alles, um mit Hilfe von billigem Nationalismus ihre Misserfolge zu überdecken. Außerdem existieren natürlich noch geopolitische Interessen der NATO, das muss man ganz klar festhalten: Die Guerilla kämpft nicht nur gegen den türkischen Staat, sondern gegen die gesamte NATO. Der Luftraum des Nord-Iraks ist immer noch unter der Kontrolle der USA, die für diese Operationen grünes Licht gaben. Wenn verschiedene imperialistische Konstellationen gerade keine Angriffe in Rojava zulassen, dann werden die Angriffe gegen die Guerilla, das Herz der kurdischen Freiheitsbewegung, intensiviert.
Wie sieht der Widerstand der Guerilla aus? Murat Karayilan, Oberkommandierender der HPG, spricht seit einer gewissen Zeit von der „Guerilla des 21. Jahrhunderts“. Wie sehen diese neuen Taktiken konkret aus?
Der Widerstand einer Guerilla mit kleinem Waffenarsenal gegen die gesamte NATO ist bis jetzt mehr als beeindruckend. In Gare wurden die extra trainierten Spezialkräfte der Türkei in vier Tagen in die Flucht geschlagen und zu allem noch der verantwortliche Kommandant für die Operation getötet.
Obwohl die Türkei ununterbrochen Dutzende Drohnen und Kampfflugzeuge in der Luft hat, kann sie die Guerilla nicht finden, die im Sinne der angesprochenen Reorganisierung bzw. Entwicklung hin zu einer Guerilla des 21. Jahrhunderts mit effektiver Tarnung, über spezielle Regenschirme gegen Wärmebildkameras zu den neu gegründeten Sehid-Delal-Flugabwehrkräften viele neue Methoden anwenden. Die Guerilla dezentralisiert ihre Kräfte noch mehr als zuvor, und wird den türkischen Staat so weit in die Enge treiben, dass er um einen Waffenstillstand betteln wird.
In der BRD ist der Krieg gegen die Guerilla in den Bergen Nord- und Südkurdistans wenig präsent. Rojava und die restlichen Teile Kurdistans werden auch innerhalb der Solidaritätsstrukturen oft getrennt voneinander betrachtet. Was können wir tun um diese Trennung zu überwinden?
Mit dieser Trennung spielen wir nur dem Feind in die Hände, der ja genau das erreichen will. Das ist die alte, leider sehr erfolgreiche Taktik von Teile und Herrsche: „Die in Rojava sind ok, aber die PKK ist radikal“. Wenn linke, demokratische Menschen dieses Denken anwenden, ist das umso problematischer, denn nur der gemeinsame Kampf gegen Kolonialismus und für Freiheit aller kann erfolgreich sein.
Das gilt genauso für Südkurdistan, wo gerade wieder die KDP zusammen mit der Türkei einen Krieg gegen die Guerilla beginnt. Barzani und Co wollen scheinbar nicht sehen, dass sobald die Guerilla besiegt wäre, sie die nächsten auf der Liste des türkischen Staates sein würden.Wir müssen begreifen, dass es ohne den Kampf der PKK die anderen Kämpfe – zum Beispiel die in Rojava – nicht mehr geben wird, dass die Guerilla in den Bergen Kurdistans ein Garant für die Freiheit Kurdistans ist.
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Erstveröffentlichung am 27. Juni 2021 auf »Lower Class Magazine«. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers. Bilder und Bilduntertexte wurden ganz oder zum Teil von der Redaktion »RoterMorgen« hinzugefügt.
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Hilf mir bitte mal einer auf die Sprünge, was das konkret mit Gewerkschaftsarbeit zu tun hat? Danke schön 🤗
Es ist nicht nötig ironisch zu schreiben oder sonst irgendwie blöd auf zu fallen, wenn man etwas nicht versteht.
Es ist mir auch vollkommen klar das deine Frage ein Provokation ist und sich gegen den Inhalt des beworbenen Artikels handelt.
Solidarisch nachfragen reicht vollkommen aus.
Für alle Mitlesenden die sich ernsthaft für die gestellte Frage interessieren erkläre ich gerne die wichtigsten Punkte:
Vorweg: Es geht nicht alleine um den Fakt das die bewaffneten Kräfte in Rojava auch den faschistischen Staat Türkei bekämpfen, sondern darum die »Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien – Rojava« mehr unter den Werktätigen der Welt bekannt zu machen.
Es ist nämlich der wohl demokratischste Volksstaat dieser Erde, in dem jeder Bewohner das Recht auf Mitbestimmung und Mitgestaltung der Gesellschaft hat. Als ganz anders als hier, wo wir täglich den Kampf mit der anderen, der Ausbeuterklasse führen müssen. Die Erkenntnisse sind für Gewerkschafter/innen von großer Bedeutung, denn es beweist das es auch anders geht.
Viele Gewerkschaften haben dieses erkannt. So unterstützt die GEW verschiedene Bildungsprojekte in Rojava.
(https://www.gew-hamburg.de/…/solidaritaet-mit-rojava).
Die Spartengewerkschaft GPA setzt sich ebenso für das Volk von Rojava ein.
(file:///Users/imac/Downloads/12_Solidarit%C3%A4t%20mit%20den%20Menschen%20in%20Rojava.pdf).
Schon 2018 weilte eine Delegation der GEW in Rojava um vor Ort die beste Art der Unterstützung zu erkunden und ihre Solidarität zu bekunden.
(https://www.gew.de/…/neuigkeiten/schulen-fuer-rojava/).
Wir alle sollten uns über den demokratischen Aufbau er »Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien – Rojava« schlau machen, unsere Erkenntnisse verbreiten und keine Minute auslassen, in der wir unsere Solidarität mit unseren Kollegen/innen, den Werktätigen in Nord Syrien bekunden. Gewerkschaften sind nicht nur Tarivparteien! Wir haben viel mehr Aufgaben, die wichtigste davon ist die Klassensolidarität.
Aus diesem Grunde wird RoterMorgen weiter über den Kampf und den Staatsaufbau in Rojava berichten und hier auf diese Artikel hinweisen.
Mit solidarischen Grüßen
Fiete Jensen (ver.di)
Redaktion RoterMorgen
Fredo B. – Internationalismus ist der praktische Test, wie ernst es ein Mensch oder eine Organisation mit dem Klassenstandpunkt wirklich meint.
Wer Kollegen nicht unterstützt nur weil sie auf der falschen Seite einer Staatsgrenze leben, der wird wenn es ernst wird auch die auf der „richtigen“ seite im Stich lassen.
Die Erfahrung spricht da Bände.
Die NATO sollte besser zusammen mit den Kurden gegen die Islamistischen Terroristen Kämpfen !
Hallöchen liebe Freunde im Geiste, liebe Kämpfer für ein freies Kurdistan, für den Frieden in dieser Region.
In vollem Umfang teile ich das Geschilderte. Ich bin Internationalist und sehr interessiert am Leben der kurdischen Menschen.
Seit der Konterrevolution in der DDR hat der Imperialismus voll seine böse Fratze gezeigt, überzieht die Welt mit Kriegen. Besonders die USA, alle NATO-Staaten mit Israel bilden hier im Nahen Osten eine Achse des Bösen. Daher ist Widerstand notwendig, um diese Verbrecher, faschistischen Terroristen in die Schrsnken zu weisen. Euer Ksmpf liebe Kurden ist gerecht, ein Befreiungskrieg.
Allefortschrittlichen Menschen müssen mehr Druck auf unsere Regierungen machen, damit endlich das kurdische Volk einen Staat bilden kann, der Frieden für alle bringt.
In Deutschland bedeutet das, die PKK nicht mehr als Terrororganissgion einzustufen. Denn Terroristen sind jene, die diesen Krieg gegen die Kurden führen.
Bleibt bitte stark und gesund, ein Freund der Unterdrückten.