Janosch Weiß – PERSPEKTIVE»online – 10. August 2024
Die Militarisierung der gesamten Gesellschaft schreitet in Deutschland voran, dabei lassen die Herrschenden keinen Bereich unberührt. Auch das Gesundheitswesen soll „kriegstüchtig“ werden – für kommende Konflikte und die atomare Bedrohung.
Spätestens seit der Zeitenwende-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz befindet sich die Bundesrepublik Deutschland auf Kriegskurs. Während die Aufrüstung im militärischen Bereich voranschreitet, bereitet der Staat auch die deutsche Gesellschaft systematisch auf den Krieg vor.
Neben dem Einstieg von Waffenlieferanten als Sponsoren beim Fußball oder der Ehrung von Nazi-Generälen zwecks „militärischer Exzellenz“ steht der Staat vor einem maroden Gesundheitssystem – das jedoch im Kriegsfall massenweise Verletzte versorgen muss und deutsche Soldaten wieder „kampffähig“ machen soll. Das Gesundheitsministerium unter Lauterbach strebt mit dem Gesundheitssicherstellungsgesetz eine kriegsgeeignetere Versorgung an.
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Grenzen zwischen Krise und Krieg werden aufgelöst
Die Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung hinsichtlich medizinischer Einrichtungen klassifiziert mehrere Ereignisse verschiedener Art als „Katastrophe“ – ob Pandemie, Chemieunglück oder Atomkrieg. Dabei fallen bewusst sowohl solche Ereignisse darunter, die durch Naturereignisse ausgelöst werden, als auch solche, die durch menschliche Waffengewalt verursacht werden. Ziel dieser Maßnahme ist es, den Teil der Gesellschaft, der sich gegen die Militarisierung Deutschlands einsetzt, zu schwächen.
Das Wort „Krieg“ wird vom Verteidigungsministerium dabei kaum verwendet – es geht ständig nur um „Katastrophen“, die irgendwie aus dem Nichts zu kommen und zu gehen scheinen. Durch die Gleichsetzung von medizinischem Einsatz im bewaffneten Konflikt und demjenigen bei Naturkatastrophen werden die Grenzen zwischen Krisen einerseits und durch den Imperialismus verursachten Kriegen andererseits verwischt. Das Bild, das vermittelt werden soll: Medizinisches Personal soll gefälligst in jedem für den deutschen Staat unangenehmen Szenario alles fürs Vaterland geben.
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Triage nach Kriegslogik
Dazu gehört auch, dass Ärzte im Kriegsfall die Triage anwenden sollen. Der Begriff der Triage war zuletzt während der Hochphase der Corona-Pandemie in aller Munde und beschreibt die Priorisierung von Patienten und deren Behandlung je nach Erfolgschance. Darauf muss dann zurückgegriffen werden, wenn die verfügbaren Ressourcen für eine ordnungsgemäße Versorgung aller nicht ausreichen – zum Beispiel, wenn alle Krankenbetten belegt sind.
Während der Corona-Pandemie kam es jedoch nicht zu einem einzigen Anwendungsfall für die Triage. Anders wird die Lage jedoch während eines Krieges mit deutscher Beteiligung aussehen: In diesem Fall wäre das Gesundheitssystem mit verletzten Soldaten, Kriegsgefangenen und auch zivilen Opfern massiv überfordert.
Während die Triage im Friedensfall die Behandlung des Patienten gebietet, der die Behandlung am dringendsten benötigt und dessen Überlebenschancen am größten sind, pervertiert die Kriegslogik diesen Grundsatz. Welches Interesse hätte Deutschland an einer schnellen Genesung von Angehörigen der gegnerischen Kriegspartei? Stattdessen räumt die Kriegslogik einerseits Soldaten Vorrang vor Zivilist ein, andererseits werden kriegerische Gegner stets nachrangig behandelt. Es soll die Aufgabe des Gesundheitswesens werden, die eigene Front mit „genesenen“ Soldaten zu versorgen.
Schon 1983 sollten für Ärzte Pflichtfortbildungen für den Triage-Fall gesetzlich eingeführt werden. Damals war der Widerstand jedoch so groß, dass die Bundesregierung von dem Vorhaben Abstand nahm. Ein Erfolg, an den die antimilitaristische Bewegung heute anknüpfen kann und soll.
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Medizinische Hilfe während eines Atomkriegs
Ein weiterer Ansatz der Bundesregierung ist der Versuch, medizinische Hilfe im Falle eines Atomkriegs sicherzustellen, indem auf massenhaft Strahlengeschädigte und Verbrannte vorbereitet wird. Der Einsatz taktischer Nuklearwaffen auf begrenztes Gebiet könnte ein Szenario sein, das die Versorgung der betroffenen Gebiete notwendig macht. Mutmaßungen über den konkreten Einsatz können jedoch stets nur vage Prognosen bleiben.
Statt schon jetzt Schadensbegrenzung zu betreiben, können die Gefahren eines umfassenden Atomkriegs nur dadurch vermieden werden, dass ein Dritter Weltkrieg verhindert wird. Da der Kapitalismus im imperialistischen Stadium Kriege zur Neuverteilung von Ressourcen und zum Erschließen neuer Handels- und Absatzmärkte periodisch hervorruft, ist die Antwort auf die Frage nach einer Verhinderung atomarer Kriege klar: Das profitorientierte, kapitalistische System selbst muss überwunden werden.
Wie die Militarisierung des Gesundheitswesens zeigt, betreffen die Kriegsvorbereitungen nicht nur Soldaten, sondern uns als Gesellschaft im Ganzen. Kein Lebensbereich bleibt von dem militärischen Einfluss des deutschen Staates verschont. Nur durch einen Zusammenschluss unserer Klasse – auf der Straße, am Arbeitsplatz, im Stadtteil, in der Schule oder anderswo – gegen ihre Kriege können wir eine Zukunft in Angst und Schrecken verhindern.
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Erstveröffentlichung am 10. August 2024 auf »PERSPEKTIVE>>«. Wir danken den Genossinnen und Genossen von »Perspektive« für ihre gute Arbeit und der Genehmigung der Weiterveröffentlichung. Bilder und Bilduntertexte wurden ganz oder zum Teil von der Redaktion »RoterMorgen« hinzugefügt.
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