Norbert Röttgen: Die Ukraine muss NATO-Mitglied werden

Phantastereien eines religiösen Menschen

Norbert Röttgen ist ein besonders durch TV-Talkshows bekannt gewordener Rechtsanwalt und CDU-Politiker und als solcher Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des deutschen Bundestages, dessen Vorsitzende er von 2014 bis 2021 war.  Wie Oliver Scholz hat er den Kriegsdienst in der Bundeswehr erfolgreich mit seiner religiösen Schrulle verweigert. Er war Zeit seines Lebens nie sozialrevolutionär angehaucht, denn Revolutionäre beherzigen den Hinweis Lenins, in jeder reaktionären Armee das Waffenhandwerk zu erlernen, wie man sich auch in die reaktionären Parlamente wählen lassen muss. Darüber schreibt Lenin viel im ‘Linken Radikalismus‘.

Die ‘Frankfurter Allgemeine Zeitung‘, das Pflichtblatt der Frankfurter Wertpapierbörse, hat diesem Berufspolitiker nun in ihrer Rubrik ‘Mit fremden Federn‘ Platz gegeben, um sich unter dem Titel ‘Die Ukraine muss NATO-Mitglied werden‘ über die militär-strategische Gesamtlage in einem Artikel auszulassen, in dem er mit Ländernamen und gewagten Aussagen nur so um sich wirft. Nicht Russland und die Ukraine stehen streng genommen in einem Krieg gegeneinander, es sind Klassen mit spezifischen Klasseninteressen: arme Proletarier und arme Bauern, schwankende Kleineigentümer, Mittelbauern, Kulaken und Kapitalisten und Imperialisten, die von Couponschneiden leben. Röttgen hingegen arbeitet mit Abstraktionen. Es hat keinen Zweck, über den Krieg zu schreiben, ohne sich in die Lebens- dann auch in die Denkweisen dieser Klassen in ihrem Wechselverhältnis zueinander zu versetzen. In einem imperialistischen Krieg von beiden Seiten muss man sich spezifisch in die Klassenegoismen der Imperialisten versetzen können. Im Krieg ist es äußerst wichtig, sich in das Denken des Feindes zu versetzen. Intelligente Generäle der Bundeswehr studierten während des ‘Kalten Krieges‘ eifrig Lenin und als im Bertelsmann Verlag ein Buch herauskam betitelt Mao: Vom Kriege, da schrieb der rechte Brigadegeneral A. Schnez  das Vorwort. Sich in die Stärke der Logik des Feindes zu versetzen ist im Übrigen auch ein Gebot der Dialektik. Und hier zeigt sich die fundamentale Schwäche des religiösen Mannes. Wie kann er das denn auch, wenn er immer Russland Russland, Ukraine Ukraine murmelt. Weder kann Russland denken noch die Ukraine. Das ist das ABC des Krieges.

Röttgen gehört ohne Zweifel in die traurige Phalanx der Falken, wörtlich: Man müsse endlich die Handbremse lösen (FAZ vom 3.5.23,8). Die Handbremse lösen gegenüber einer atomaren Großmacht? Man vertiefe sich in diese Frage, zumal in der aktuellen Militärdoktrin Russlands der atomare Einsatz vorgesehen ist, sobald russisches Territorium bedroht ist. Das gilt für die Krim und auch für eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, die laut Jürgen Reichardt, Generalmajor a.D. zahlungsunfähig ist und keine Verlustzahlen angibt (Vergleiche Jürgen Reichhardt, Leserbrief an die FAZ vom 8.5.2023,5).   

Die Handbremse lösen, das ist das letzte, was die Sicherheit der Völker Europas gebrauchen kann. Religiöse Männer wie Röttgen, militärische Laien durch und durch, mit der Lüge auf den Lippen, die deutsche Bourgeoisie befinde sich noch nicht im Krieg, sind es, die den Sturz der Welt in einen dritten Weltkrieg herbeischreiben. Er verdreht die Würfel: Europa brauche eine Sicherheitsarchitektur, die vor Russland Schutz biete (a.a.O.). Nicht das Russland Putins ist der Aggressor, die Sicherheitsarchitektur Europas ist von den westlichen, raubgierigen Bourgeoisien unter Federführung des US-Imperialismus systematisch zerstört worden.  Wollen doch die Kirche im Dorf lassen. Aus dem einstmals fortschrittlichen Washington mit einer republikanischen Verfassung im 18. Jahrhundert kommen heute die Vibrationswellen eines Weltkrieges, seit 1900 streben die herrschenden Finanzkreise der USA die Weltherrschaft an.

Er will Russland auf der Krim unter Druck setzen. Was für ein Wunschdenken! Er weiß auch, dass Russland den Krieg weiterführen werde wie bisher. Woher denn? “Denn Putin hat keine andere Option, weil er weder aufhören will noch eskalieren kann. Letzteres würde ihm das Wohlwollen der Chinesen kosten und hätte eine robuste Reaktion der Amerikaner zur Folge“ (a.a.O). Würde – hätte.

Eine atomare Großmacht mit dieser Riesenfläche hat immer Optionen, nach Clausewitz idealerweise überraschende.  Die Arbeiterklasse hat als Lehre aus der Geschichte zu berücksichtigen, dass weder die größte Militärmaschine des 19. Jahrhunderts, die Grande Armee Napoleons, was das Jahr 1812 für die Völker Europas in negativer Dimension bedeutete, wird von bürgerlichen Historikern kaum ermessen, noch die größte Militärmaschine des zweiten Weltkrieges, Hitlers Wehrmacht mit dem Hinterland von Paris bis an die Nordspitze Westeuropas, Russland bzw. die Sowjetunion besiegen konnte. Man darf niemals einer Kriegspartei Konstanz im Handeln unterstellen, im Krieg der Moderne mit seiner hohen Waffentechnologie gibt es zu sehr rasch wechselnde Lagen, die Generäle, fast möchte ich sagen, intuitiv erfassen müssen. Und Putin ist kein ABC-Schüler des Krieges, dazu ist er zu lange im Geschäft imperialistischer Kriege. 

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Über den Autor:
Heinz Ahlreip, geb. am 28. Februar 1952 in Hildesheim. Von 1975 bis 1983 Studium in den Fächern Philosophie und Politik an der Leibniz Universität Hannover, Magisterabschluss mit der Arbeit »Die Dialektik der absoluten Freiheit in Hegels Phänomenologie des Geistes«. Forschungschwerpunkte: Französische Aufklärung, Jakobinismus, Französische Revolution, die politische Philosophie Kants und Hegels, Befreiungskriege gegen Napoleon, Marxismus-Leninismus, Oktoberrevolution, die Kontroverse Stalin – Trotzki über den Aufbau des Sozialismus in der UdSSR, die Epoche Stalins, insbesondere Stachanowbewegung und Moskauer Prozesse. Ahlreip arbeitete als Lagerarbeiter u. a. bei Continental in Hannover und bis zum Rentenbeginn als Gärtner für Museumsstätten und Friedhöfe.