Betrug der Volksmassen durch süße Parolen!

Heinz Ahlreip – 14. August 2024
Heinz Ahlreip

Einst revolutionäre Parolen wie „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ haben ihren ursprünglichen Gehalt verloren und dienen heute als Deckmantel kapitalistischer Ausbeutung. In einem historischen Kontext betrachtet, zeigt sich, wie diese Parolen von ihrem revolutionären Ursprung zu reaktionären Werkzeugen der bürgerlichen Ideologie verkommen sind.

Die Parolen „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ bzw. „Freiheit, Gleichheit und Entscheidung durch die Mehrheit“ müssen dialektisch betrachtet werden. Ursprünglich als ideelle, die Volksmassen in Bewegung setzende, basisdemokratische Entwicklungsformen linker Theorie gegen den Feudalismus, werden sie im Verlauf eines qualitativ anders ausgestalteten Klassenkampfgeschehens zu Hetzparolen ausbeutungsorientierter kapitalistischer Reaktionäre: Einst revolutionäre Parolen werden zu reaktionären. Dialektik lehrt, dass das Höchste – und was lag in der Phase des klassischen Konkurrenzkapitalismus politisch höher als die Parole von 1789? – historisch hinfällig wird. Das gesamte 19. Jahrhundert stand im Zeichen von 1789. Wenn wir heute die Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ im Geist von 1789 anbringen, was kann es anderes sein als das Zitieren von Bruchstücken aus dem ideologischen Gepäck einer veralteten Epoche der Warenwirtschaft?

Die politische und militärische Reaktion der nationalen und internationalen bürgerlichen Konterrevolution nach der Oktoberrevolution war ein permanenter Versuch, dem roten Jahr 1917 den mittlerweile reaktionären trikoloren Gehalt von 1789 zu diktieren. Dies konnte auf den ersten Blick ohne bolschewistische Aufklärung in einem kleinbäuerlich geprägten Land durchaus publikumswirksam erscheinen. Es ist bequem, sich durch das gedankenlose Hineinwerfen der Freiheitsparole in die politische Debatte intellektuell aufzuwerten, ohne zu bemerken, dass sich die innere politische Substanz durch den Übergang um 1900 vom klassischen Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium gewandelt hatte. Aus der Befreiung von feudalen Privilegien ist ein Deckmantel kapitalistischer Ausbeutung geworden. Bürgerliche Ideologie, als Abstraktion von der Arbeitswelt, muss sich notwendigerweise im hohlen Namen einer „reinen Demokratie“ vor der proletarischen Auslegung des Freiheitsbegriffs verschließen: Freiheit beinhaltet heute die Befreiung von den kapitalistischen Arbeitsbedingungen.

Es liegt eine qualitative Entwicklung und ein qualitativer Unterschied vor: Aus dem Freiheitsschlag gegen das ökonomisch bedingte feudale Privilegiensystem ist ein Befreiungsprozess gegen die kapitalistische Erzausbeutung geworden. Die Bourgeoisie steckt in der Zwickmühle; sie kann den Schritt vom Kampf gegen feudale Privilegien zum Kampf um die Vergesellschaftung des Privateigentums an den Produktionsmitteln gar nicht vollziehen. Freiheit beinhaltet heute die Befreiung der Arbeit vom Joch des Kapitals. Freiheit im bürgerlichen Sinne bedeutet die Freiheit der Warenbesitzer: Ein Geldbesitzer und ein Arbeitskraftbesitzer treffen sich als angeblich freie und gleiche Rechtspersonen zur Abschließung eines Arbeitsvertrages. Nach bürgerlicher Rechtsideologie kann keine Ausbeutung unter Freien und Gleichen stattfinden. In der Frage der Versammlungsfreiheit zum Beispiel korrigierte 1917 die 1789 festgelegte Reihenfolge: „Zuerst werden wir die besten Gebäude beschlagnahmen, und dann werden wir über Freiheit sprechen.“1

Und so auch in der Frage der Gleichheit: Von der Abschaffung feudaler Privilegien zur Abschaffung der Klassen. Es ist gerade die klassenverhaftete Bourgeoisie, die diesen Schritt theoretisch nicht nachvollziehen und praktisch nicht vollziehen kann, sodass ihre einst progressive Gleichheitsparole heute zu einem spießbürgerlichen und stumpfsinnigen Wortgeklingel entartet. Das Ende der Lohnarbeit und das der Klassen sind ineinander verwoben, ebenso wie die Aufhebung des Klassengegensatzes zwischen Arbeitern und Bauern, Stadt und Land. Eine Gesellschaft, in der der Klassenunterschied zwischen Arbeitern und Bauern weiterbesteht – und im Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus ist das der Fall – ist weder eine kommunistische noch eine sozialistische Gesellschaft. „Die Bauern sind eine Klasse der patriarchalischen Epoche, eine durch Jahrzehnte und Jahrhunderte der Sklaverei erzogene Klasse, und während all dieser Jahrzehnte existierte der Bauer als Kleinbesitzer, zunächst anderen Klassen unterworfen, dann formal frei und gleichberechtigt, aber als Eigentümer und ‚Besitzer von Nahrungsmitteln.“2 Marxistisch-leninistische Aufklärung muss diese Erkenntnis bis zur Notwendigkeit der Aufhebung der Differenz zwischen Arbeitern und Bauern vorantreiben.

Der große Verdienst des Marxismus-Leninismus besteht darin, dass er die drei klassenbeschränkten politischen Parolen der klassischen bürgerlichen Revolution – die in dieser klaren Trinität in der englischen Revolution im 17. Jahrhundert nicht auftraten, wohl aber gab es in ihr Levellers unter John Lilburne („Junkerland in Bauernhand“) – mit der ökonomischen Frage des Privateigentums an den Produktionsmitteln verband und verbindet. Einst progressive bürgerliche Parolen müssen somit eine völlig neue Substanz erhalten. Historisch wurde der Schalter 1871 durch die Pariser Commune umgelegt. Man denke nur an einen ihrer Kerngedanken: die Verrichtung der öffentlichen Angelegenheiten für den monatlichen Durchschnittsverdienst eines Arbeiters.

Ein Bundestagsabgeordneter erhält heute für seine volksfeindliche Tätigkeit monatlich 10.591,76 € (Stand: 1. Juli 2023), offensichtlich zu wenig, denn liberale Abgeordnete fordern eine Kürzung des sogenannten Bürgergeldes – besser: Lohnsklavengeldes – monatlich 563 € (Stand: 1. August 2024). Obwohl Voltaire nur ein gemäßigter, dem englischen Liberalismus zugetaner Aufklärer war, reichte seine Einsicht doch so weit, dass er erkannte: Politik ist die Kunst, das Geld aus den Taschen einer Gesellschaftsklasse (hier die Ärmsten der Armen) gemäß dem Wolfsgesetz der kapitalistischen Gesellschaft in die einer anderen (hier fetten parlamentarischen Geldsäcke) zu transformieren. Wer im Namen republikanischer Gleichheit behauptet, 10.591,76 = 563, gehört ganz offensichtlich nicht ins Parlament, sondern in eine Irrenanstalt und muss dort vor allem sonderpädagogisch betreut werden. Da hilft ihm auch sein bürgerlicher Professorentitel nicht. Das ist eben das Lob der Dialektik: „In der Mathematik + und -, in der Gesellschaftswissenschaft Klassenkampf.“3

Wir dürfen niemals die Worte Lenins vergessen: „Wir werden sie in blaue Arbeitskittel und in Bastschuhe stecken, wir werden ihnen Brot, Feuer und Wasser entziehen.“ Kein Brot, kein Feuer, kein Wasser – das ist die gerechte historische Strafe für eine Klasse, die heute ihre eigenen Frühlingsblumen mit imperialistischen Soldatenstiefeln zertritt.

  1. Lenin: „Erster gesamtrussischer Kongress für außerschulische Bildung“, Werke, Band 29, Dietz Verlag, Berlin, 1960, Seite 342
  2. a. O., Seite 347
  3. Lenin: „Zur Frage der Dialektik“, Werke, Band 38, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite 338

 

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