Michael Koberstein – PERSPEKTIVE»online – 11. August 2024
Das Arbeitsministerium will Bürgergeld-Empfängern bald monatlich vom Jobcenter einbestellen lassen. Es ist die jüngste von zahlreichen Maßnahmen, die die „Fortschrittskoalition“ in ihrem Klassenkampf von oben gegen uns Arbeiter ins Feld führt.
Bürgergeld-Empfänger könnten bald monatlich vom Jobcenter gewissermaßen vorgeladen werden. Es ist Teil der im Sommer ausgearbeiteten „Wachstumsinitiative“ der Regierung. Das teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in einer Pressekonferenz mit. Eine sogenannte „Formulierungshilfe” des Bundesarbeitsministeriums liegt der Regierung vor.
In der Begründung wird es als eine positive Hilfestellung geframed. Es sei für Bezieher:innen, denen drohe, in die Langzeitarbeitslosigkeit zu rutschen, z.B. arbeitslose Jugendliche. Tatsächlich ist es für niemanden aus der Arbeiter:innenklasse hilfreich, sondern eine Maßnahme für das Kapital:
Einerseits sollen so derzeit arbeitslose Arbeiter:innen in Jobs gezwängt werden, die oft unzumutbar sind. Andererseits wird über die Streichungen von Leistungen bei denjenigen Arbeiter:innen gespart, die das nicht mit sich machen lassen. Eine Win-win-Situation für die Kapitalist:innen, durchgesetzt vom deutschen Staat. Für uns ein Grund, dagegen zu kämpfen!
Neuer Name, aber alles beim Alten
Das Bürgergeld ersetzte Januar 2023 Hart IV und sollte – so das Versprechen der SPD – weniger auf Zwang und mehr auf Förderung setzen. Die läppische Erhöhung war aber schnell von der Inflation aufgefressen und mit der „Wachstumsinitiative” folgten härtere Sanktionen. Dazu gehören zum Beispiel, dass Bürgergeldempfänger:innen nun Jobs mit bis zu drei Stunden Arbeitsweg annehmen sollen. Zudem kommen höhere Kürzungen, wenn man einen unpassenden Job nicht annehmen möchte.
Das Ende der sozialen Transformation
Auch die SPD zieht währenddessen weiter nach rechts und besinnt sich wieder auf die Rhetorik, die Gerhard Schröder seinerzeit zur Rechtfertigung der Agenda 2010 nutzte, die damals schon ein Angriff auf den Sozialstaat war. Klingbeil sprach im Sommerinterview in chauvinistisch-kapitalistischen Tönen von oben herab davon, dass es in Deutschland kein „Recht auf Faulheit” gäbe. Damit greift die SPD auf das alte Klischee der „Totalverweiger:innen“ zurück, die sich ungerechterweise Sozialleistungen erhaschen würden und so die Staatskasse leer räumten. Ein Mythos, der sich aber hartnäckig in der Gesellschaft hält durch die Klingbeils, Lindners, Wagenknechts und Co.
Die neue Vorladungsmaßnahme ist also nur ein weiterer Schritt in einem umfassenden Drangsalierungspaket. Es ist Teil des Klassenkampfs von oben inmitten einer krisenhaften Lage für das deutsche Kapital. Davon zeugen die Rezessionen, Massenentlassungen und düsteren Wachstumsprognosen.
„Das will ich sehen!“
Ironisch ist, dass durch die bereits getroffenen Einsparungen beim Personal im Arbeitsamt gar nicht die Kapazitäten da seien, um diesen Verwaltungsaufwand stemmen zu können. Ein Bekannter, der als Arbeitsloser die Bedingungen auf dem Amt bestens kennt, meint zu der neuen Maßnahme recht unbeeindruckt: „Das will ich sehen, dass die dort monatlich Gespräche führen wollen! Die haben ja jetzt schon zu wenig Personal!“ und kämen nicht hinterher.
Derselbe Kapitalismus, der bei Sozialleistungen und Personal einspart, hat zugleich auch den Anstieg der Arbeitslosenquote überhaupt zu verschulden. Je krisenhafter die finanzielle Lage der deutschen Monopole, desto mehr Menschen verlieren ihre Arbeit. Schuld ist also das Wirtschaftssystem, der Kapitalismus, selbst.
„Arbeitsanreize” schaffen
Währenddessen wurde von Wirtschaftsminister Habeck eine Prämie von 1000€ für Bürgergeld-Empfänger:innen die ein Jahr lang einen ausreichenden Job halten können, ins Spiel gebracht. Es ist unwahrscheinlich, dass das durchkommt, da dieser Vorschlag kaum Unterstützung in der Ampel-Koalition hat. Dabei wäre es auch nur eine minimale Veränderung eines total unübersichtlichen bürokratischen Systems von Sozialleistungen. So erhalten beispielsweise alleinerziehende Mütter durch Sozialleistungen wie Wohn- und Kindergeld zu viel, um Bürgergeld zu beziehen, aber nicht genug, um wirklich über die Runden zu kommen. Bezahlt würde die Prämie auch vor allem durch Steuergelder der Arbeiter:innenklasse.
Der einzige Zweck hierbei besteht darin, dass Arbeitslos-Sein so unerträglich wie möglich zu machen. Dabei ist es einerseits natürlich eine materielle Last. So fürchten sich Arbeiter:innen so sehr davor, beispielsweise in die Obdachlosigkeit abzurutschen, dass sie jeden Drecksjob anzunehmen bereit sind. Andererseits wird gerade durch die Hetze aus der derzeitigen Politik und Medien gesellschaftlich extrem stigmatisiert, als arbeitslose Arbeiter:in Geld vom Staat zu bekommen – und das, während der Staat den Unternehmen gleichzeitig Milliarden-Subventionen aus derselben Kasse ausschenkt!
Erst Geflüchtete, dann Arbeitslose
Viele der Maßnahmen zum Bürgergeld wurden schon in der ein oder anderen Form an Geflüchteten durchgeführt. Leistungskürzungen sind dort durch die umfassenden Asylreformen der letzten Monate schon länger etabliert. Die finanziellen Möglichkeiten von Geflüchteten wurden zuletzt durch die Bezahlkarte extrem eingeschränkt. Auch für Bürgergeld-Empfänger wurde so etwas von Teilen der CDU schon gefordert. Hier zeichnet sich ein typisches Muster ab, wo Angriffe auf die Klasse erst nur teilweise auf die untersten Schichten angewandt werden und dann Stück für Stück auf größere Teile übertragen werden.
Den Klassenkampf kurzerhand umdrehen: von unten statt von oben!
Gegen Agenda 2010 gab es große regelmäßige Proteste. Der heiße Herbst 2022 blieb zwar aus, doch auch hier gab es in Teilen Deutschlands Anzeichen von Widerstand. Diese Angriffe aufzudecken und der Spaltung der Klasse entgegenzuwirken, muss die Aufgabe jeder Bewegung sein, die tatsächlich etwas verändern möchte. Zu verdeutlichen, dass diese Angriffe zusammenhängen und es demnach ein gemeinsames Interesse aller Arbeiter:innen ist, dagegen vorzugehen, ist das Gebot der Stunde.
Erstveröffentlichung am 9. Oktober 2025 auf »PERSPEKTIVE>>«. Wir danken den Genossinnen und Genossen von »Perspektive« für ihre gute Arbeit und der Genehmigung der Weiterveröffentlichung. Bilder und Bilduntertexte wurden ganz oder zum Teil von der Redaktion »RoterMorgen« hinzugefügt.
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