Diethard Möller – 17. Mai 2020
Hamburg : „Coronaproteste“ und Gegendemo
Gestern fanden in Hamburg wieder verschiedene Proteste gegen die Coronamaßnahmen statt. Im Vorhinein war der Protest nicht groß angekündigt worden, den letzten Samstag hatten jedoch auch schon Versammlungen stattgefunden, wo sich größtenteils Verschwörungstheoretiker und Impfgegner sowie bekannte Rechte aus dem Raum Hamburg aufhielten, jedoch auch viele Bürger, die gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung demonstrieren wollten. Diesen Samstag war von mehreren Kundgebungen an verschiedenen Orten in der Hamburger Innenstadt die Rede, wo auch Nazis und Querfrontler erwartet wurden.
Das Hamburger Bündnis gegen Rechts kündigte Gegen-/Alternativprotest an und es wurden verschiedene Kundgebungen angemeldet. Um 14:00 sammelten sich die Gegendemonstranten rund um den Rathausmarkt. Gegen 15:00 trafen dann verschiedene Gruppen ein, in der Menge befanden sich unter anderem bekannte Nazis wie beispielsweise der Hamburger NPD-Vorsitzende Lennart Schwarzbach. Die Stimmung war aufgeheizt, einzelne Antifaschisten griffen Nazis in der Menge an, was auch zu massivem Polizeieinsatz führte. Schnell wurde unübersichtlich, wer zu den antifaschistischen Protesten gehörte, wer einfach nur schaulustig war, wer zu den ursprünglichen Kundgebungen gekommen war und wer wirklich eine klar rechte Gesinnung hatte. Der eigentlich geplante Protest konnte somit auch nicht stattfinden, die Menschen sammelten sich unübersichtlich auf dem Rathausmarkt.
Fortschrittliche Gruppen fingen auch an, in der Menge Flugblätter zu verteilen und vereinzelte Gespräche zu führen. Wie erwartet waren viele Verschwörungstheorien zu hören und die Menschen sprachen vor allem von der angeblich drohenden Impfpflicht und der Einschränkung der Meinungsfreiheit. Die wenigsten Demonstranten distanzierten sich von den Nazis in ihren Reihen. Auch eine klare antikapitalistische Haltung oder fundierte Analysen der Maßnahmen fehlte.
Die Demonstration von Querfrontlern, Verschwörungstheoretikern und besorgten Bürgern konnte letztendlich nicht stattfinden und der antifaschistische Widerstand war erfolgreich – gleichzeitig sind auch viele Menschen auf der Kundgebung gewesen, die nicht direkt rechts eingestellt waren. An dieser Stelle gilt es weiter Aufklärungsarbeit zu leisten und die Kritik an den Maßnahmen nicht den Rechten, Verschwörungstheoretikern und Querfrontlern zu überlassen.
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Stuttgart: Für das Grundgesetz?? Wieder Tausende in Stuttgart auf Corona-Protest
An die viertausend Demonstrierende folgten am Samstag nachmittags (16. Mai 2020) in Stuttgart dem Aufruf der so genannten „Querdenken-711-Stuttgart“ Gruppierung um den Unternehmer Michael Ballweg. So heuchlerisch wie staatstragend bejubeln die Veranstalter das Grundgesetz, um gegen die offiziellen Corona-Maßnahmen zu protestieren. Wer von der Karls-Brücke her auf das Kundgebungsgelände auf dem Cannstatter Wasen („Wasen“) kam, sah in der so genannten „Hall of Fame“, wo sonst Graffiti-Sprayer die Betonwände verzieren dürfen, das riesige über Nacht angebrachte Graffito: „Keine Demo mit Nazis“!
Ballweg mit seiner Grundgesetz- und Gewaltlosigkeitsdemagogie, seinen auf sanft getunten Reden konnte nicht darüber hinwegtäuschen: Erneut prägten Aluhüte, Bill-Gates-Verschwörungsmythen, vor allem aber offen rechte Teilnehmer/innen das Bild. Selbst erklärte Kaisertreue mit Kaiserflagge kamen und straften auf ihre Art die Grundgesetzbeschwörung Ballwegs Lügen. Schon letzte Woche machten wir deutlich, dass Ballweg selbst Pressefreiheit und Zensurverbot angreift, ein zentrales demokratisches Recht, das das Grundgesetz zusichert (Artikel 5).
AfDler, Nazis und Anhänger von Widerstand 2020, die sich durch Staniolkugeln am Halsband oder am Hemd zuerkennen gaben, waren allgegenwärtig, wenngleich wir keine Ordner in offenem Nazi-Outfit wie am Samstag der Vorwoche sahen (vorbehaltlich anderer Zeugenaussagen. Wir konnten nicht alles sehen!).
Die Stadt Stuttgart hatte nach der Demo am Samstag der Vorwoche die Auflagen verschärft und die Teilnahme auf 5000 beschränkt und die Mindestabstände auf 2,20 Meter vergrößert. In U- und S-Bahnen wurde die Einhaltung der Maskenpflicht kontrolliert – im Gegensatz zur Vorwoche. Laut Presseberichten sollen sogar Bußgelder verhängt worden sein.
Das Internetportal „Schäferwelt“ schätzte aufgrund von Bildauszählungen die Zahl der Teilnehmenden auf knapp 4000. Die Polizei sperrte zu Kundgebungsbeginn den Zugang von der Mercedesstraße auf den „Wasen“. Über Polizeilautsprecher begründete sie die Maßnahme damit, die Maximalteilnahme von 5000 Leuten sei erreicht. Damit versperrte sie ca. 200 Ankömmlingen den Weg. Eine zugewiesene Ersatzfläche in der Daimlerstraße wurde kaum genutzt. Zahlreiche Menschen standen an der Sperre ohne Masken und Abstand, was die Polizei hinnahm. Am Zugang vom Neckardamm her gab es sowieso keine Absperrung, genauso wenig wie von den Wasen-Parkplätzen her.
Am Rande des Aufmarsches wurden angeblich drei Teilnehmer auf dem Weg zum „Wasen“ angegriffen, was zu einer martialischen Polizeisperre mit Blaulicht und Tatütata sowie mit dramatischem Sanitätereinsatz auf der Mercedesstraße führte. Täter konnten nicht gefasst werden.
Arbeit Zukunft verteilte hunderte Flugblätter (freiheitsdemo und freiheitsdemo-seite2). Wir führten viele Gespräche, in denen sich die Menschen offen zeigten für unsere Argumente, obwohl selbst Gewerkschafter/innen, die teilnahmen, nicht einsehen wollten, dass sie am falschen Ort standen. Auch DIDF, das antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart (AABS) und etliche Verteiler von der Partei Die Linke waren mit Flyern vor Ort.
Ein Bezirksbeirat der Linken aus dem Stadtbezirk Bad Cannstatt hatte vor einem Einkaufszentrum zu einer Gegendemo aufgerufen, die aber kaum Teilnehmer/innen hatte. Der Aufruf war praktisch unbekannt.
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Gera: Aktion aufgelöst
In Gera haben AfD und offene Nazis zu einer „Freiheitsdemo“ aufgerufen. Da sie vor einer Woche freie Bahn für ihre Hetze und ihren rücksichtslosen Egoismus hatten, wollten sie das auch dieses Mal so durchziehen. Ohne den vorgeschriebenen Mundschutz, ohne jeden Abstand wollten sie ihren „Spaziergang“ beginnen. Trotz mehrfacher Aufforderung durch die Polizei, die Auflagen einzuhalten, weigerten sie sich und grölten herum. Daraufhin wurde die Aktion gegen den Widerstand einiger Rechter aufgelöst.
Antifaschisten hatten sich die ganze Zeit im Büro der Linkspartei verschanzt, um dieses gegen Übergriffe der Nazis zu verteidigen. Sie verhinderten dies erfolgreich.
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Erstveröffentlichung am 16. Mai 2020 auf Arbeit-Zukunft. Veröffentlichung mit freundlicher genehmigung des Herausgebers.
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Für den Inhalt dieses Artikels ist der Autor bzw. die Autorin verantwortlich.
Dabei muss es sich nicht grundsätzlich um die Meinung der Redaktion handeln.
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Es ist zu beobachten dass alle sozialen Bewegungen von den Montagsdemonstrationen von 2004 über PEGIDA bis hin zum „Widerstand 2020“ oder „Wir 2020“ eine Ursache in der jeweils aktuellen Politik zu begründen haben. Jeweils bei allen Bewegungen versuchten reaktionäre bis offen faschistische Kräfte diese Bdwegungen zu unterwandern oder wie bei PEGIDA zu entern und in eine für das herrschende Kapital weniger gefährliche Richtung zu kippen. Auffallend im Jahr 2020 ist dass Parteien wie NPD und AfD 8 Wochen keinen pieps von sich gaben und ausgerechnet jetzt wo die Stimmung in der Bevölkerung zu kippen droht wieder aktiv werden. Wer kennt schon den Vorschlag der VW Arbeiter. „Unsere Gesundheit ist wichtiger als Stückzahlen!“ Wer kennt schon die Aktionen der Kollegen von Airbus in Hamburg oder die Proteste der Hotelliers von Usedom bis zur Müritz? Alle diese kleineren bis etwas größeren und auch berechtigten Proteste sollen nun von den reaktinärsten und demagogischen Heinis dieser Parteien kaschiert werden? So nicht, es ist nötig mit Kampfmaßnahmen wie unabhängige Streiks in den Monopolbetrieben den Kapitalismus in das Visir zu nehmen und an seinem Lebensnerv zu treffen. Das schafft Klarheit wer ander Seite der Kollegen und wer an der Seite der Herrschenden steht.
Proteste in Deutschlands Absurdistan
Die ANTIFA der Administration der Bourgeoisie, oder „Merkels Querfront steht.“
»Es scheint so zu laufen: Jede Herrschaftskritik wird als verschwörungstheoretisch und irgendwie antisemitisch bezeichnet. Verschwörungstheorie und Antisemitismus sind rechts. Deshalb ist eine regierungskritische Bewegung wie Querdenken = Nazi und deswegen sind die jungen Antifa-Aktivisten, zugespitzt gesagt, heute selbst nicht herrschaftskritisch sondern regierungstreu.«
Antifaschisten ohne Faschisten
»Am Opernplatz hatten sich bereits die „Omas gegen Rechts“ versammelt. Sie wollten zeigen, dass Hannover bunt ist und immun gegen rechte Hetze, sagte Organisatorin Uta Saenger. Die Frage ist nur, wo die ehrwürdigen Aktivistinnen „rechte Hetze“ wahrgenommen hatten. Die gab es nämlich nirgendwo auf den Protestveranstaltungen dieses Tages in Hannover.
Anschließend marschierte ein kleiner Zug von Gegendemonstranten auf. Vorneweg liefen Aktivisten der Satirepartei „Die Partei“ mit einem Plakat, auf dem stand: „Impfpflicht für ImpfgegnerInnen“. Da stellt sich die Frage, ob das überhaupt satirisch gemeint ist. Dahinter folgten einige Dutzend Menschen mit Fahnen der Jusos, der Linksjugend und der Jungen Liberalen.
Fast parallel erschien der Schwarze Block, der vom Landtag herüber marschiert kam, fest umschlossen von einer großen Polizeieskorte. Abstand hielt in diesem Getümmel niemand. Wie Ultras in Fußballstadien riefen sie rhythmisch klatschend ihre Botschaften: „Nationalismus raus aus den Köpfen“, „Ganz Hannover hasst die AfD“ oder „Alle zusammen gegen den Faschismus“. Auch anti-kapitalistische Rufe waren zu hören. Die Jugendlichen von der ultra- kapitalistischen FDP schwenkten derweil mutig die Fahnen. Bei diesem kafkaesken Anblick hätte die Satirepartei tatsächlich in Aktion treten können — etwa mit einem Plakat: „Merkels Querfront steht.“«
»Wer die friedliche, entspannte, grundgesetz-orientierte Demo der Querdenker ein paar hundert Meter weiter nicht gesehen hatte, musste wohl denken, dort stünden stattdessen Horden gewaltbereiter Springerstiefel-Glatzen mit Baseballschlägern und Schaum vorm Mund.«
Ein Auszug, vgl.*
* Vgl. RUBIKON, 16.09.2020: Proteste in Absurdistan. Bei Grundrechtsdemos werden kritische Linke, die gegen Notstandsgesetze demonstrieren, von regierungstreuen Linken als „Nazis“ beschimpft. Von Stefan Korinth. »Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.
https://www.rubikon.news/artikel/proteste-in-absurdistan
18.09.2020, R.S. (Zusammenfassung)