Volkskorrespondent Rui Filipe Gutschmidt – 20. November 2020
Man denkt, dass man vorbereitet ist. Man schützt sich und seine Mitbewohner, indem man sich an Hygieneregeln und die Vorschriften der Regierung hält und hofft, dass es genug ist… Und doch geschieht es immer wieder. Tausende infizieren sich täglich, und noch bevor sie sich dessen bewusst werden, haben sie das Virus mit nach Hause zur Arbeit und ins Stammcafé gebracht, es den Familienangehörigen und Freunden zum Geschenk gemacht und somit verbreitet sich das neue Coronavirus immer weiter.
Jetzt kam das Virus in meine Wohnung. Es traf einen meiner Mitbewohner und dadurch uns alle. Eine WG, geschaffen aus NOT-wendigkeit oder besser ausgedrückt, als Gegenmaßnahme einer anderen Seuche: Der Armut! Aber auch aus Solidarität! Die jungen Brasilianer, die hier mit mir zusammenleben, kamen zum Arbeiten. Sie kamen über den Atlantik, weil sie in ihrer Heimat keine Möglichkeit sahen, sich eine Zukunft aufzubauen. In Brasilien sorgt ein Faschist als Präsident für eine immer größere Spaltung zwischen Arm und Reich, Links und Rechts und marginalisiert Minderheiten. Die Korruption, die in Brasilien allgegenwärtig ist, hat Jaír Bolsonaro natürlich nicht wie versprochen beseitigt, sondern eher noch verstärkt. Er versucht die Justiz politisch zu benutzen und sorgt so für eine instabile Lage im Land. Meine Mitbewohner kamen aus diesem Chaos nach Portugal, um frei davon eine Zukunft zu errichten.
Der Mitbewohner A, der sich schlecht gefühlt hat und mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht wurde, ist der Einzige, der bislang positiv getestet wurde. Er wird regelmäßig kontaktiert und nach Symptomen gefragt. Er gibt seine Körpertemperatur telefonisch durch und berichtet über (4 Tage nach dem Test nicht weiter vorhandene) Symptome. Man sagte ihm erst nicht, wie es weiter geht. Wann er wieder getestet wird, ob er Lohnfortzahlung bekommt oder ob die Sozialversicherung ihm Krankengeld zahlt, ob er 60 oder 66 oder xxx% bekommt… Sein Nebenjob im Restaurant ist erst mal futsch.
Dieser Job sollte den Einkommensausfall seiner Lebensgefährtin L kompensieren, die seit letzten Monat auf Arbeitssuche ist. Ihr sagte man, dass sie nicht wüssten, ob man sie testen kann, solange sie keine „Usernummer“ (número de utente) hat. Doch sie ist Krankenversicherer (Sozialversicherungsnummer hat sie), da sie 9 Monate in Portugal gearbeitet hat. Inkompetenz der Ämter und ein Chaos in der Umsetzung der Regeln scheint allgegenwärtig zu sein.
Beim 3. Mitbewohner W lief es wieder anders. Er machte den Test eine Woche nach Beginn der Quarantäne, allerdings in einer Nachbarstadt. Da schickt man einen jungen Mann, der ein potenzieller Überträger ist und der eigentlich unter Quarantäne steht und nicht aus dem Haus darf, in einen anderen Ort (innerhalb desselben Landkreises aber trotzdem einige km entfernt), um „eine einschätzende Sprechstunde“ aufzusuchen. Nach der „Einschätzung“ wurde ihm gesagt, dass er den Test bezahlen müsse. Doch das lehnte er ab…
Es ist alles gut und schön, wenn die Politik die Regeln für den Ausnahmezustand bzw. den Notstand (heute bis zum 8. Dezember verlängert) beschließt und damit versucht, die Pandemie einzugrenzen, unter Kontrolle zu bringen. In der Praxis aber bringt man die Pandemie nicht unter Kontrolle, wenn man nicht die Menschen unter Kontrolle bringt. Menschen machen aber Fehler. Sie halten sich nicht an Regeln, die ihnen nicht in den Kram passen, leugnen die Gefährlichkeit oder sogar die Existenz des Virus oder es ist ihnen einfach nur egal, ob sie andere anstecken.
Aber das Chaos in den Behörden ist noch schlimmer. Keiner kennt sich so richtig aus, jeder sagt was anderes und so verlieren die Maßnahmen der Regierung natürlich an Glaubwürdigkeit. Ob wir noch lange in Quarantäne bleiben müssen, ist noch unklar. Warum man uns nicht sofort getestet hat auch. Vielleicht kann ich demnächst mehr davon berichten, was in der Praxis so geschieht, wenn COVID-19 ins Haus kommt.
.
Antworten