Profiteur der Krise – Amazon zwischen Heuchelei und Ausbeutung

Linus Landmesser – 3. November 2020

Die wirtschaftlichen Konsequenzen, die die noch immer andauernde Corona-Pandemie mit sich bringt, belasten sowohl Kleinunternehmen und Selbstständige, welchen teilweise die gesamte Existenzgrundlage entrissen wird, als auch Großkonzerne, deren Aktienkurse weiterhin zu sinken scheinen.

Mit Ausnahme von Amazon.

Das milliardenschwere Unternehmen profitierte als Online-Versandhandel mit kontaktloser Lieferung und Anbieter eines überaus beliebten On-Demand-Streaming-Services ungemein vom Lockdown und verzeichnet laut diversen Quellen, neben der sowieso schon ungeheuren Umsatzzunahme von fast 50 Milliarden auf 280 US-Dollar in 2019, einen Umsatz von 88,91 Milliarden US-Dollar im zweiten Quartal dieses Jahres, was wiederum, im direkten Vergleich zum Vorjahr, einen Umsatzwachstum von stolzen 40 Prozent darstellt.[1] Allein innerhalb von zehn Märztagen dieses Jahres erfuhr der Großkonzern eine Wertzunahme von 100 Milliarden US-Dollar und erhöhte das Privatvermögen von Firmengründer Jeff Bezos somit kurzerhand um weitere 10 Milliarden.[2]

By Jérémy-Günther-Heinz Jähnick, Wikimedia Commons, licensed under CC BY-SA 3.0 (edited by Jakob Reimann).

Während die Führungselite rund um den US-amerikanischen Unternehmer, Investor und mit einem Privatvermögen von rund 186 Milliarden US-Dollar reichsten Menschen der Welt weiterhin nach Ausbau und Kapitalerhöhung strebt, sind wie so oft die als fleischgewordene Produktionskraft wahrgenommenen Arbeiter und Angestellte die Leidtragenden. Die miserablen Arbeitsbedingungen mit denen die, in Anbetracht des finanziellen Stellenwertes des Unternehmens, mit einem Einstiegsbasislohn zwischen 11,30 Euro und 12,70 Euro brutto pro Stunde,[3] maßlos unterbezahlten Amazon-Mitarbeiter in den Logistik-Zentren konfrontiert werden, dürfte im Jahre 2020 niemanden mehr überraschen. Als nahezu beängstigende Manifestierung des Kapitalismus schafft der Konzern unter den Arbeitern einen menschenunwürdigen und unzumutbaren Leistungsdruck, während er die Entlohnung möglichst gering hält, um somit sowohl Produktionskraft als auch Profit effizient zu maximieren und den eigenen Reichtum mit einer verachtenswerten Rücksichtslosigkeit zu steigern. So berichteten bereits vor geraumer Zeit mehrere Angestellte unabhängig voneinander von einer permanenten Leistungsmessung, dessen Ergebnis gegebenenfalls einen Kündigungsgrund darstellen kann und teilweise sogar dazu führt, dass die Arbeiter an ihrem Arbeitsplatz verbleiben und in Flaschen urinieren, statt eine Toilette aufzusuchen, sowie eine den gesamten Arbeitsraum umfassende Überwachung durch Kameras. Die Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbunds (IGB) Sharan Burrow selbst bezeichnete die Arbeitsbedingungen bei Amazon in diesem Zusammenhang als „schockierend“.[4]

Wir sehen alles: Mitarbeiter von Amazon in einem Deckenspiegel bei Schichtwechsel im Vertriebszentrum Koblenz Bild: Kretzer, Michael. Quelle: YouTube

Ein grauenvoller Zustand, welcher sich durch die Pandemie nur noch weiter intensivierte. Während der Konzern nun die Überwachung mit dem Vorwand, lediglich die Einhaltung der Abstandregeln gewährleisten zu wollen, legitimiert, beklagen sich die Angestellten zunehmend über unzureichende Gesundheitsmaßnahmen. So wurde gemäß der Aussage des Amazon-Mitarbeiters Peter Fritz das Corona-Virus von Vorgesetzten als „normaler Schnupfen“ relativiert, den Angestellten geraten, sie sollten sich nicht so anstellen, Glasreiniger als Desinfektionsmittel ausgegeben und Beschäftigten mit Kindern, welchen somit zu Beginn des Lockdowns eine zweiwöchige Arbeitsbefreiung zur Organisation der Kinderbetreuung zustand, nach nur sieben Tagen mit Kündigung gedroht. Der zuvor erwähnte Leistungsdruck zwinge des Weiteren mehrere Mitarbeiter dazu, aus Angst vor einer Kündigung selbst mit Erkältungssymptomen zur Arbeit zu erscheinen, womit Amazon erneut nicht nur die Gefährdung seiner Mitarbeiter in Kauf nimmt, sondern diese sogar in Bezug auf das Corona-Virus indirekt und im Hinblick auf die vielfach vertretenen physischen sowie psychischen Beschwerden der Angestellten aktiv herbeiführt.[5]

Zu allem Überfluss kämpft die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bis heute für die Etablierung von Tarifverträgen innerhalb des Unternehmens; zumal Amazon sich zwar angeblich an den üblichen Gehältern der regionalen Logistikbranche orientiere, derartige Verträge sowie die damit einhergehende Garantie auf Urlaubsansprüche, Weihnachts- und Urlaubsgeld inklusive entsprechender Zuschläge, regelmäßige Lohnerhöhungen, zusätzliche Urlaubstage und eine Begrenzung der Befristungen auf ein annehmbares Maß, bislang jedoch ablehnte.[6]

Das Wissen um diese niederen Arbeitsbedingungen lässt das vom Unternehmen selbst ins Leben gerufene Konsumfest, die „Prime-Days“, nur noch makaberer anmuten. Über einen Zeitraum von zwei Tagen zelebriert der Konzern seine eigene Existenz und lockt mit umfangreichen Rabattaktionen seinen stetig wachsenden Kundenstamm. Das diesjährige Event liegt nun, nachdem es bereits vor einigen Monaten auf diesen Herbst verschoben wurde, bereits einige Tage zurück und Amazons Presseabteilung spricht euphorisch von „den zwei größten Tagen der kleinen- und mittelmäßig großen Dritthändler des Amazon Stores“, welche über die Prime-Days einen Umsatz von über 3,5 Milliarden US-Dollar erzielten und somit die Ergebnisse des letzten Jahres um vernichtende 60 Prozent übertrafen, während Prime-Mitglieder bei ihren Einkäufen weltweit über 1,4 Milliarden Euro sparten. So heißt es in derselben Pressemitteilung, Amazon „sei auf dem besten Weg, in diesem Jahr 18 Milliarden US-Dollar zu investieren, um kleinen und mittleren Unternehmen zum Erfolg in seinem Geschäft zu verhelfen und habe die Prime-Days bewusst so konzipiert, dass kleine Unternehmen noch mehr unterstützt werden – einschließlich der Finanzierung einer Werbeaktion, die in den zwei Wochen vor dem Event zu einem Umsatz von über 900 Millionen US-Dollar für entsprechende Unternehmen geführt habe“.[7]

Die gutherzig-solidarischen Federn, mit denen Amazon sich hier zu schmücken versucht, sind selbstverständlich eigennütziger Natur. Obgleich die Intentionen des Multi-Milliarden-Versandhändlers in der Pressemitteilung des 15. Oktobers recht euphemistisch als reiner Akt der Selbstlosigkeit dargestellt werden, liegt die Annahme, dass es dem Konzern lediglich um die Erweiterung ihres Sortiments und somit ihres Branchenmonopols gehen dürfte, doch deutlich näher. Zumal Amazon explizit von Erfolg in ihrem Geschäft sprach und somit, durch ihre Anteilnahme an den in ihrem Shop erzielten Verkäufen sogar finanziell profitiert. Als Dritthändler hat man bei Amazon die Wahl, entweder dem von Amazon empfohlenen Plan zu folgen und ein professionelles Verkäuferkonto zu eröffnen, oder auf das Basiskonto zurückzugreifen, wobei die markanten Unterschiede in den möglichen Verkaufszahlen und Amazons Anteilnahme liegt. Während das Basiskonto zwar keine monatliche Zahlung verlangt, dafür jedoch die Artikelverkäufe auf 40 Stück pro Monat reduziert und eine Verkaufsgebühr von 99 Cent pro Artikel sowie prozentuale Verkaufsgebühren erhebt, entfallen die Begrenzung sowie die 99 Cent bei einem Verkäuferkonto, was dafür wiederum eine monatliche Gebühr von 39 Euro exklusive Umsatzsteuer mit sich bringt.[8] Wie hoch diese „prozentualen Verkaufsgebühren“ pro Produkt sind, lässt sich in dieser recht tief in dem Amazon sellercentral verbogenen Tabelle einsehen.

Demnach handelt Amazon bei der Unterstützung und Etablierung kleinerer Dritthändler ein weiteres Mal lediglich im Interesse des eigenen Profits und versucht in seiner Dreistigkeit sogar noch, sich aufgrund dessen als gutherzigen Samariter zu vermarkten. Da wirkt die nachfolgende Danksagung des CEO Worldwide Consumer Jeff Wilke, in welcher er sich bei jenen bedankt, die den diesjährigen Prime-Day ermöglicht haben, und explizit auf „die engagierten Frontteams in unseren Fulfillment Centern und Lieferbetrieben“ verweist, fast ähnlich spöttisch, zumal Tarifverträge weiterhin aus- und Arbeitsbedingungen menschenunwürdig bleiben.[9] Der Streik der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di wurde wie auch im Jahr zuvor von Amazon mit dem Kommentar, es würde aufgrund der nur geringen Beteiligung nicht zu Einschränkungen für die Kunden kommen, als nichtig bewertet und ignoriert, womit der jahrelange, kräftezehrende Kampf um annehmbare Tarifverträge, weiter andauern dürfte.[10]

Somit zeigt Amazon durch das ungeheure Umsatzwachstum und die sich dennoch weiter verschlimmernde Lage innerhalb der Arbeiterschaft rücksichts- und hemmungslose Raffgier und festigt seinen Ruf als Sinnbild und Gesicht des verruchten Kapitalismus ein weiteres Mal. Obgleich die Tatsache, dass die diesjährigen Prime-Days laut den Einschätzungen einiger Citi-Analysten einen Rückgang der Eigenmarke und ein gesteigertes Kaufverhalten der User in Bezug auf kleinere Sub- und Dritthändler verzeichnen, zwar nur wie ein äußerst geringfügiger Trost erscheinen mag, so dürfte er dem einem oder anderem dennoch ein schadenfrohes Schmunzeln verschaffen.[11]

Quellen:

Erstveröffentlichung am 2. November 2020 auf »Die Freiheitsliebe«. Veröffentlichung mit freundlicher genehmigung des Herausgebers. Bilder und Bilduntertexte wurden um Teil von der Redaktion Roter Morgen hinzugefügt..

.

.

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*