10 Genossen zu bis zu 6 1/2 Jahre Gefängnis verurteilt!

Redaktion – 31. Juli 2020

Nach rund 270 Verhandlungstagen wurden am 27. Juli vom Staatsschutzsenat beim Oberlandesgericht München die Urteile im sogenannten „Kommunistenprozess“ gegen neun Genossen und eine Genossin verkündet. Die Anklagen lauten auf Mitgliedschaft in der Kommunistische Partei der Türkei – Marxisten-leninisten (TKP/ML), bzw. der Bildung des Auslandskomitees dieser Partei. Die TKP/ML ist nur in der Türkei verboten, nicht in Deutschland. Einzig aufgrund einer vom Justizministerium erteilten Verfolgungsermächtigung konnte der Prozess nach den Terrorismusparagraphen 129a/b eröffnet werden. Den Angeklagten werden keine konkreten strafbaren Handlungen vorgeworfen; allein ihre politische Arbeit, die in Organisierung von Veranstaltungen, Spendensammlungen sowie normaler Parteiverwaltungsarbeit bestand, reicht aus, um sich in Deutschland als Beschuldigte in einem der größten „Terrorprozesse” wiederzufinden.
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Getroffen hat es wenige, gemeint sind wir alle

Der 60-jährige Hauptangeklagte, der Genosse Müslüm Elma war in der Türkei bereits rund 20 Jahre inhaftiert und schwerster Folter ausgesetzt. Er blieb als Einziger bis zum Ende des Prozesses in Untersuchungshaft. Der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Heise, plädierte auf sofortige Haftentlassung, da mit der U-Haft die Strafe größtenteils abgegolten sei. Dass der Senat dem nicht nachkam, könne durchaus als „Geiselnahme“ zur Verhinderung einer Verfahrensverschleppung gewertet werden, meinten Beobachter des Verfahrens.

Am 27. Juli erfolgten nun die Richtersprüche. Müslüm Elma wurde verurteilt wegen „Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland“, die anderen Angeklagten wegen Mitgliedschaft. Die Freiheitsstrafen für die zehn Angeklagten, die in den meisten Fällen geringfügig unter den Forderungen des Generalbundesanwalts blieben, lauten (im Vergleich die Forderungen der Generalbundesanwaltschaft in Klammern):

Müslüm Elma: Freiheitsstrafe 6 Jahre, 6 Monate (6 Jahre, 9 Monate)
Erhan Aktürk: Freiheitsstrafe 4 Jahre, 6 Monate (4 Jahre, 9 Monate)
Dr. Sinan Aydin: Freiheitsstrafe 3 Jahre, 6 Monate (4 Jahre)
Haydar Bern: Freiheitsstrafe 3 Jahre, 4 Monate (4 Jahre)
Dr. Banu Büyükavci: Freiheitsstrafe 3 Jahre, 6 Monate (4 Jahre)
Musa Demir: Freiheitsstrafe 3 Jahre, 4 Monate (4 Jahre)
Deniz Pektas: Freiheitsstrafe 5 Jahre (5 Jahre)
Sami Solmaz: Freiheitsstrafe 3 Jahre (4 Jahre)
Seyit Ali Ugur: Freiheitsstrafe 4 Jahre, 6 Monate (4 J., 9 Monate)
Mehmet Yesilcali: Freiheitsstrafe 2 Jahre, 9 Monate (3 J., 6 Monate)

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Politisch motivierter Schauprozess

„Von Anfang an war der Münchner „Kommunistenprozess“ politisch motiviert. Er reiht sich ein in die lange Liste der Verfolgung linker Aktivisten, die für eine andere, eine gerechte Gesellschaft eintreten. Ihr Kampf zielt auf die Überwindung der Kapitalistischen Moderne und ist deshalb nicht „system-kompatibel“. Dass der Staat mit Repression reagiert, sollte nicht verwundern und ist auch nichts Neues. Vom Verbot der KPD 1956 über die Ausweitung der 1968 beschlossenen Notstandsgesetze über die Blinkfüerprozesse, die Prozesse gegen die KPD/ML und gegen Ernst Aust als PrV. des ROTEN MORGEN bis zu den neuen Polizeiaufgabengesetzen reichen die Versuche, antisystemische Kämpfe zu kriminalisieren.

Im Gerichtssaal

Neben dem Willen nach Bestrafung einer linken Gesinnung spielt bei den Verfahren, die der deutsche Staat gegen Kurdisdche- und Türkische Genossen und Migranten anstrengt, auch immer die Bedeutung der deutsch-türkischen Beziehungen eine wichtige Rolle. Wiederholt hat Recep Tayyip Erdoğan von der Bundesregierung ein härteres Vorgehen gegen oppositionelle kurdische und türkische Organisationen gefordert, die er als „Terrorgruppen” bezeichnet. Da sich die Regierung in Berlin seit dem Deal mit Geflüchteten erpressbar machte, aber auch wegen lukrativer Waffenexportgeschäfte und vielfältiger Handels- und Militärbeziehungen mit der Türkei, wurde die Schraube der Repression gegen kurdische und türkische Migranten im europäischen Exil in den letzten Jahren sukzessive angezogen. Ähnlich wie in den Verfahren gegen die PKK, die seit 1993 in Deutschland verboten ist und seit 2010 nach § 129b strafrechtlich verfolgt wird, soll nun juristisch gegen die TKP/ML und ihre Genossen vorgegangen werden.

Von Anfang an haben die Anwälte der Verteidigung die Rechtmäßigkeit des Verfahrens angezweifelt: „…. die Aufrechterhaltung der Verfolgungsermächtigung [ist] als willkürlich anzusehen, weil es sich bei der Türkei nicht um ein geeignetes Schutzobjekt im Sinne des § 129b StGB handelt. Ein Staat, der … nicht nur die eigene kurdische Bevölkerung bombardiert und zwei völkerrechtswidrige Angriffskriege beginnt, sondern auch die ethnische Säuberung des besetzten Gebietes anstrebt und vollzieht, stellt keine die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung im Sinne des § 129b StGB dar. Auch das friedliche Zusammenleben der Völker erfordert gerade, gegen diesen Staat Widerstand zu leisten.“
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Protest vor dem Gericht

In den Schlussworten der Angeklagten und den Plädoyers der Verteidigung wurde immer wieder darauf verwiesen, dass das Verfahren von außenpolitischen Interessen der Bundesregierung geleitet ist. Durch die Übernahme der Erdogan‘sche Definition von „Terrorismus“ – und darunter fällt mittlerweile jegliche Kritik am Regime – akzeptiert das Bundesjustizministerium die türkische Sichtweise einer Rechtsauffassung, die selbst dem bürgerlichen Recht Hohn spricht.

So konnte das gesamte Verfahren inszeniert werden als „Antiterrorprozess”, wobei nicht der türkische Staatsterror Gegenstand der Verhandlung ist, sondern der Widerstand dagegen. Mit immensem Aufwand und Kosten sollte der Eindruck erweckt werden, als stünden „gefährliche Terroristen“ vor Gericht, die man mit Fußfesseln vorführt und in Isolationshaft hält. Das Regime in Ankara bekam seine Bilder und Schlagzeilen, um die eigene Hexenjagd gegen jegliche Opposition zu legitimieren.

Trotz aller Vorbereitung unterliefen dem Senat grobe Verfahrensfehler und Rechtsbrüche, die die Anwälte immer wieder monierten und bezweifelten, dass die Ermittlungsergebnisse rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen. Den Gerichtsdolmetschern wurden fehlerhafte Übersetzungen nachgewiesen und dennoch vom Vorsitzenden Richter Manfred Dauster ignoriert. Vertrauliche Prozessunterlagen landeten in Übersetzungsbüros in der Türkei. Vom türkischen Geheimdienst illegal beschaffte Beweismittel wurden zugelassen, wobei in der mündlichen Urteilsbegründung behauptet wird, „tatsächlich spielen Beweismittel aus der Türkei in diesem Verfahren nahezu keine Rolle.“ Vielmehr würden sich die Urteile vorwiegend auf Abhörprotokolle und Publikationen in frei zugänglichen Medien stützen.
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Was bleibt am Ende dieses Mammutprozesses?


Es ist zu befürchten, dass dieser Prozess in die Justizgeschichte eingeht als ein weiterer Versuch, gesellschaftliche Bewegungen im Widerstand gegen ein Unrechtsregime zu kriminalisieren. Diesmal traf es Aktivisten der TKP/ML. Immer wieder ist es auch die PKK, an der sich der Verfolgungseifer der deutschen Justiz die Zähne ausbeißt. An migrantischen Organisationen wird ausprobiert, welche Instrumente der Repression zur Aufrechterhaltung der Kapitalistischen Moderne am besten taugen. Doch im Visier sind längst auch andere, die als „Gefahr“ erkannt und benannt werden – siehe die jährlichen Verfassungsschutzberichte. Ein Prozessbeobachter fasst zusammen: „Getroffen hat es wenige, gemeint sind wir alle.“

Das vielleicht wichtigste Ergebnis am Ende der Prozesstortur: Alle zehn Angeklagten blieben unbeugsam in ihrer widerständigen Haltung. Dem deutschen Staat gelang es nicht, sie einzuschüchtern. Die prophetischen Worte von Müslüm Elma zu Beginn des Prozesses scheinen den Weg zu weisen, wie es weiter geht: „Dieser Prozess wird nicht im Gerichtssaal, sondern auf der Straße entschieden.“
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Protest auf der Straße

Auf der Straße vor dem Gerichtsgebäude versammelten sich dann auch ca. 500 solidarische Menschen, die forderten „Freiheit für alle politischen Gefangenen“ und Abschaffung der Paragraphen 129a/b sowie eine Umkehr der deutschen Außenpolitik, die Freiheitsbewegungen kriminalisiert und Diktatoren die Hand reicht. Vertreten waren außer TKP/ML, Partizan, MLPD, ATIK auch die Rote Hilfe und das Münchener Solidaritätsbündnis für Kurdistan sowie weitere Gruppen und Einzelpersonen. Der österreichische Journalist Max Zirngast, der selbst in der Türkei mehrere Monate inhaftiert war, ließ solidarische Grüße ausrichten.

Vor dem Gerichtsgebäude

Dennoch meinen wir das der Prozess besser hätte geführt werden können, in dem man von Anfang an die Kläger selber als Erfüllungsgehilfen des Kapitals und der faschistischen Türkischen Regierung gebrandmarkt hätte. Es immer wieder dargestellt hätte und so, auch für die Prozessbegleiter der bürgerlichen Presse unmissverständlich bewiesen hätte, dass es sich um einen Prozess von Klasse gegen Klasse handelt und wir der Klassenjustiz unterworfen werden sollen.
Wir erinnern uns da an die den Blikfüerprozess und die vielen Prozesse gegen Ernst Aust als presserechtlichen Verantwortlichen des ROTER MORGEN, sowie an die vielen Prozesse gegen Mitglieder der KPD/ML, der MLPD und anderer Organisationen in den 70er bis 90iger Jahren. Ernst Aust hat in seinen Erklärungen vor Gericht niemals Zweifel daran gelassen, in wessen Interesse die Klassenjustiz handelt und stets die Ankläger zu Angeklagten gemacht.

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Quelle: TKP/ML

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6 Kommentare

  1. Das ist schon ein komisches Land mit einer noch merkwürdigeren rechtslastigen Justiz. Braune Schläger und Mörder laufen mit Bewährungsstrafen frei herum. Für mich ist diese Justiz, samt Gesetzgeber nur noch verachtenswert, gekauft und durch und durch verdorben.

  2. Fakt ist erst einmal, dass in Deutschland sich ein hochentwickelter imperialistischer Staat herausgebildet hat. Folglich entspricht die Judikative diesem sich herausgebildeten Staat, weil sie eine der Bestandteile der Gewalten des Staates ist. Unter dem Aspekt betrachtet fällt es schwer, den Kommentar von Fiete Jensen zu verstehen, der darauf hinausläuft, dass die deutsche Judikative auf den Weg zum Sozialismus sein sollte. Wenig sinnvoll ist, die Formulierung aus dem Artikel der Zeitung „Roter Morgen“ zu übernehmen, dass der Prozess ein Kommunistenprozess gewesen sei. Dazu wäre erst einmal die Antwort zu der Frage, ob es Kommunisten sind, die in diesem Prozess angeklagt wurden, zu finden. Es reicht nicht aus, Mitglied einer Kommunistischen Partei zu sein, um sich als Kommunist bezeichnen zu lassen oder sich gar selbst so zu bezeichnen. In dem Zusammenhang erinnere ich an Trotzki, Bucharin etc., die sich auch Kommunist nannten aber niemals waren. Was die Verwendung des Begriffs Kommunistenprozess betrifft, so ist an den Kommunistenprozess zu Köln 1852 zu erinnern, indem sich wirklich Kommunisten vor dem Kölner Schwurgericht verantworten mussten und des Hochverrats für schuldig befunden wurden. Wenig sinnvoll ist auch der Hinweis des Autors, dass die Verteidiger der Angeklagten die Rechtmäßigkeit des Verfahrens anzweifelten. Ein Autor, der gerichtliche Verfahren interpretiert, sollte wissen, dass ein Anzweifeln nur mit vorgelegten entsprechenden Beweismitteln zum Erfolg führt, die die Verteidiger beizubringen wohl nicht vermochten.

  3. Ja klar, aber die 12, die in erfurt festgenommen wurden, weil sie 3 männer aus guinea überfallen haben, sind wieder auf freiem fuß. weil ja angeblich kein haftgrund vorliegt (vorhin in den nachrichten gehört) 🤮🤬

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