Rüdiger Rauls – 1. Oktober 2020
Die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrein haben ihre Beziehungen zu Israel normalisiert. Was treibt diese Staaten dazu, mit dem einstmals gemeinsamen Feind der Araber gemeinsame Sache zu machen?
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Kühne Pläne
Auf den ersten Blick scheint es keine große Bedeutung zu haben, dass am 31. August 2020 erstmals ein offizieller Flug von Tel Aviv in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) startete. Aber angesichts der hochempfindlichen politischen Verhältnisse zwischen der arabischen Welt und dem langjährigen Erzfeind Israel deuten solche unscheinbaren Meldungen oftmals auf neue Entwicklungen hin.
Die eigentlich viel größere Sensation war jedoch, dass die Saudis einer offiziellen israelischen Maschine den eigenen Luftraum für diesen Überflug öffneten. Wissend um die Sensibilität in der arabischen Welt im Falle von Zugeständnissen gegenüber Israel und den USA, beeilte sich Riad sofort darauf hinzuweisen, „an der saudischen Haltung zu Palästina habe sich nichts geändert“(1)
Vollmundig dagegen sprach Israels Präsident Netanjahu von einer „neuen Ära in den Beziehungen zwischen Israel und der arabischen Welt und … es werde weitere arabische und islamische Staaten geben, die sich dem Friedenskreis mit uns anschließen“(2). Ob sich da neue Entwicklungen andeuten zwischen Teilen der arabischen Welt und Israel, wird die Zukunft zeigen.
Wie aus den Worten von Jared Kushner, Berater und Schwiegersohn von Donald Trump, zu entnehmen ist, scheint Größeres im Schwange zu sein. „Wir hoffen, dass es der Beginn einer noch historischeren Reise für den Nahen Osten und darüber hinaus ist“(3). Wenige Tage später normalisierte auch Bahrein seine diplomatischen Beziehungen zu Israel. An Trumps euphorischen Kommentaren auf Twitter ist zu erkennen, dass dieses sogenannte Abraham-Abkommen ganz wesentlich die Handschrift Washingtons trägt.
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Harte Landung
Bereits im Jahre 2017 hatte Trump schon einmal versucht, eine Allianz zu schmieden zwischen Saudi-Arabien und Israel(4). Trump ist Geschäftsmann, kein Politiker. Er denkt nicht politisch, sondern wirtschaftlich. Ihm geht es in erster Linie darum, die hohen Kosten der teuren Kriege für die USA zu reduzieren.
Das damals angestrebt Bündnis sollte einerseits den arabischen „Freunden“ und Verbündeten die finanziellen Lasten der amerikanischen Kriege im Nahen Osten aufbürden. Sie sollten die Suppe auslöffeln, die sich amerikanische Überheblichkeit eingebrockt hatte in dem Glauben, nach dem Zerfall der Sowjetunion den Nahen Osten nach westlichen Idealen und Interessen neu ordnen zu können. Andererseits würden die USA als lachender Dritter die Waffen liefern und prächtig daran verdienen, so das Trump’sche Geschäftsmodell.
Die politischen Aufgaben sollten zuverlässige Staaten wie Saudi-Arabien, Bahrein und die VAE, vielleicht Jordanien und möglichst aber auch Ägypten als Truppensteller mit der Hilfe Israels übernehmen. Diesen war mit dem Westen gemeinsam das Interesse, den Einfluss des Iran zurückzudrängen. Darüber hinaus ging es den arabischen Partner auch darum, die Bedrohung der eigenen Gesellschaften durch den zunehmenden Einfluss der Muslimbrüder oder aber auch dschihadistischer Gruppen in den Griff zu bekommen.
Dieser erste Versuch einer arabisch-israelischen Allianz war fehlgeschlagen. Saudi-Arabien, das sich als Kern dieser neuen US-Pläne verstanden und sich amerikanischer Unterstützung sicher gefühlt hatte, begab sich hastig, vielleicht überhastet an die Umsetzung. Mit dem Aufbau einer „Arabischen Koalition“, zu deren Beitritt auch Qatar hatte gezwungen werden sollen, sollten die arabischen Reihen gegen den Iran geschlossen werden.
Aber der Schuss ging nach hinten los. Saudi-Arabien, das mit dem Krieg im Jemen schon völlig überfordert war, war dieser Rolle, die ihm von den USA zugedacht worden war, nicht gewachsen. Danach war der Nahe Osten aufgrund amerikanischer Baupläne um ein politisches Trümmerfeld reicher(5). Der Iran ging gestärkt aus der Auseinandersetzung hervor. Die Spannungen in der Region hatten sich erhöht, weil auch die Türkei sich eingemischt und gegen die USA auf die Seite von Qatar gestellt hatte..
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Trügerische Ideale
Auch in der damaligen Allianz hatte Israel eine Rolle im Hintergrund spielen sollen. Was aber treibt die Emirate am Golf zusammen mit Saudi-Arabien in die Arme Israels und der USA? Beide sind nicht beliebt in der islamischen Welt, und wer sich mit ihnen einlässt, muss mit mit Unfrieden im eigenen Land rechnen, eventuell auch mit Ablehnung durch andere Staaten in der arabischen Welt. Der Grat ist schmal, auf dem diese Herrscher balancieren, und trotzdem wagen sie sich auf dieses schwankende Seil.
Das hatte schon der ägyptische Präsident Sadat erfahren müssen, als er 1979 mit Israel einen Separatfrieden schloss und damit aus der Ablehnungs-Front der arabischen Staaten ausscherte. Ägypten wurde für zehn Jahre aus der Arabischen Liga ausgeschlossen. Sadat selbst fiel einem Attentat zum Opfer. Mittlerweile ist die Ablehnungs-Front gegenüber Israel auseinander gefallen. „Der Nahost-Konflikt hat … nicht mehr die zentrale Stellung , die er für die arabische und muslimische Volksseele einmal besaß“(6).
Die Vorstellung einer gemeinsamen arabischen Nation, die zeitweilig sogar in einer Verschmelzung von Ägypten und Libyen zu einem gemeinsamen Staat mündete, verdeckte die inneren Widersprüche der arabischen Wirklichkeit. Die Vorstellung von einer gemeinsamen arabischen Nation, basierend auf einer gemeinsamen arabischen Geschichte, Kultur, Sprache und Werten, ist ebenso idealistisch wie der Glaube an westliche Werte als Grundlage der westlichen Gesellschaften.
Ideale muss man sich leisten können. Sie sind der Luxus der satten Gesellschaften und gesellschaftlichen Gruppen. In den meisten Fällen schaffen sie keine neue Wirklichkeit sondern verwirren nur die Sicht auf die aktuelle. Idealismus schafft eher Probleme, als sie zu lösen..
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Ideale machen nicht satt
Der gemeinsame Kampf arabischer Staaten gegen den gemeinsamen Feind Israel konnte die inneren Widersprüche der arabischen Gesellschaften nur vorübergehend überdecken. Länder wie Ägypten, die nicht mit großem Ölreichtum gesegnet sind, aber mit einer großen Bevölkerung, die ernährt sein will, standen vor anderen Problemen als reiche Öl-Staaten wie Saudi-Arabien, Libyen oder die vielen kleinen Emirate am Golf mit ihrer relativ geringen Bevölkerung.
Letztere konnten das eigene Volk an dem Reichtum teilhaben lassen und boten ihm durch umfangreiche soziale Leistungen ein recht sorgenfreies Leben. Dieser Umstand ließ die meisten Bürger dieser Staaten über den Mangel an bürgerlichen Freiheiten hinwegsehen. Dort wo die Lebensgrundlagen gesichert sind, sind auch die gesellschaftlichen Probleme geringer. Dagegen mussten Staaten wie Ägypten, Libanon, Jemen und Jordanien für ihre schnell wachsende Bevölkerungen Lebensgrundlagen ohne Ölquellen schaffen.
Dass die bürgerlichen Freiheiten in all den ölreichen Staaten auf der arabischen Halbinsel gering vertreten waren, lag daran, dass in ihnen ein Bürgertum, wie man es aus der Entwicklung Europas kannte, kaum existierte. Diese Staaten waren keine bürgerlichen, sondern Feudalstaaten. Sie waren durch die Ölförderung und deren Reichtum innerhalb kürzester Zeit auf eine neue wirtschaftliche Stufe katapultiert worden, der die innere Entwicklung der Gesellschaft hinterher hinkte.
Die Landwirtschaft als Grundlage des Feudalismus hatte ihre Bedeutung für das Leben in diesen Gesellschaften verloren und war durch die Ölwirtschaft als Haupteinnahmequelle abgelöst worden. Dennoch war die staatliche Verfassheit dieser Gesellschaften weiterhin feudalistisch. Der Adel als herrschende Klasse war nicht abgelöst worden. Er regierte weiterhin und bestimmte die politische Agenda der Gesellschaft.
Die Verfassung der VAE lässt ein Mitspracherecht der Bürger nach dem Muster der modernen westlichen Gesellschaften kaum zu. „Die Verfassung von 1971 untersagt … jegliche Organisationsform und politische Gruppenbildung; sie sieht keine Parteien vor und keine Gewerkschaften“(7). Das stört aber die Kräfte im Wertewesten nicht, die die VAE hofieren, aber in Hongkong und Weißrussland vorgeben, sich für Menschen- und Bürgerrechte einzusetzen.
Diese alten Verhältnisse in den arabischen Feudalstaaten wurden 1979 durch die islamische Revolution im Iran erschüttert. Mit dem Sturz des Schah erkannten die Herrscher der Monarchien am Golf eine Zukunft, die auch ihnen bevorstehen konnte. Wenn der Geldsegen aus dem Ölgeschäft einmal versiegen sollte, war damit zu rechnen, dass sich auch in ihrem Herrschaftsbereich die Bürger nicht mehr zufrieden geben würden mit ihrer Rolle als gut versorgte Unmündige.
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Alternativlose Moderne
Bis zum Beginn des Arabischen Frühlings sind die feudalistischen Ölmonarchien politisch kaum in Erscheinung getreten. Man versuchte, fremde Einflüsse vor den eigenen Landesgrenzen zu lassen, notfalls mit Gewalt und politischer Unterdrückung. Bis heute noch ist Saudi-Arabien für westlichen Tourismus weitgehend verschlossen.
Das hatte gute Gründe. Hatte das Öl den Monarchien im Nahen Osten Reichtum gebracht, so hatte die wirtschaftliche Entwicklung, die mit ihm verbunden war, andererseits auch gezeigt, dass der Adel gesellschaftlich überflüssig geworden war. Wo das Öl bestimmt, das Arbeiter aus dem Boden holen, da werden keine Grundbesitzer mehr gebraucht, die von abhängigen Bauern leben, denen sie Weide-, Ackerland und Wasserrechte verpachten. Das sind volkswirtschaftliche Peanuts gegenüber der Bedeutung der Ölwirtschaft.
Diesen Bedeutungsverlust ihrer gesellschaftlichen Stellung hatten nach dem zweiten Weltkrieg bereits die Monarchen Ägyptens, Libyens und anderer arabischer Staaten erfahren müssen, die von Volksbewegungen oder Militärcoups davon gejagt worden waren. Die Massenproteste des Jahres 1979 im Iran hatten der feudalistischen arabischen Führungsschicht gezeigt, wie schwach ihre gesellschaftliche Stellung in modernen Gesellschaften geworden war. Der Schah hatte weder vom Militär noch von den USA gehalten werden können.
Die verbliebenen Monarchien igelten sich ein, verhielten sich ruhig und versuchten, in der arabischen Welt kein Stein des Anstoßes zu sein. Der Reichtum aus der Ölförderung, aber auch ihr Unterdrückungsapparat schützte sie nach innen, die Militärmacht USA nach außen. Dennoch wurde immer deutlicher, dass auf Dauer Wege gefunden werden mussten, um die Gesellschaften den veränderten Bedingungen anzupassen, ohne dabei den eigenen Machtanspruch zu gefährden.
Wollte man sich aus der Abhängigkeit vom Öl lösen, mussten andere wirtschaftliche Grundlagen geschaffen werden, um die Lebensgrundlagen der Gesellschaft zu gewährleisten. Feudalistische Landwirtschaft konnte diese Aufgabe nicht mehr erfüllen. Das ging aber nur durch den Aufbau moderner Wirtschaftsformen wie einer eigenen Industrie. Deshalb sind auch gerade in den feudalistischen Ölstaaten am Golf die umfangreichsten Modernisierungsanstrengungen in der Region zu beobachten.
Industrie jedoch braucht gebildete, selbständig handelnde Menschen, die eigenverantwortliche Entscheidungen treffen können und dürfen. Obrigkeitshörige Untertanen sind für solche Aufgaben nicht geeignet. Damit stieß die wirtschaftliche Notwendigkeit an die Grenzen der politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse und führte die Monarchen am Golf in ein immer größeres Dilemma: Entwicklung einer modernen Wirtschaft unter gleichzeitiger Beibehaltung überkommener gesellschaftlicher Strukturen..
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Der Frühling kommt
Aber sie hatten Glück. Der Frühling nahte, der Arabische Frühling. Der bedrohte aber gerade nicht die feudalistischen Gesellschaften am Golf sondern in erster Linie die der moderneren säkularen Staaten der arabischen Welt: Tunesien, Ägypten, Libyen und Syrien. Das bürgerliche, intellektuelle Milieu der Städte und seine westlich orientierte Jugend, die trotz guter Ausbildung vergeblich nach Arbeit suchte, erhoben sich gegen Perspektivlosigkeit und politische Einschränkungen.
Wenn auch diese moderne Jugend in den Städten rebellierte, die Kraft, die letztlich zum Sturz von Mubarak in Ägypten führte, kam vom Lande. Der „Marsch der Millionen“ führte am 1. Februar 2011 Hunderttausende von Verarmten aus den ländlichen Gebieten nach Kairo. Das Militär, das weitgehend auch aus den einfachen Menschen vom Lande bestand, solidarisierte sich mit ihnen. Es schoss nicht auf Seinesgleichen.
Als dann auch noch der Westen signalisierte, dass ein Machtwechsel nötig war, um die Macht zu sichern, trat die Person Mubarak zurück, um das System Mubarak zu erhalten. Gewinner dieser Auseinandersetzung war eine Kraft, die bisher weitgehend unbekannt war im Westen: die Muslim-Bruderschaft.
In ihr hatten sich große Teile besonders der verarmten Bevölkerung organisiert, um die gesellschaftlichen Aufgaben zu erfüllen, die der Staat zu erfüllen nicht in der Lage war. Wie groß ihr Einfluss unter der Oberfläche der öffentlichen Wahrnehmung geworden war, zeigte sich später bei den Wahlen in Ägypten, die den Kandidaten der Muslim-Brüder, Mursi, an die Macht brachten.
Wenn auch die Wahlen nach westlichen Standards abgehalten worden waren, hatte der Wertewesten außer einigen lauwarmen Protesten keine Probleme damit, dass Mursi durch einen Militärcoups gestürzt und General al Sisi zum neuen Herrscher Ägyptens ernannt wurde. Der Westen beschränkte sich auf Ermahnungen zur Einhaltung der Menschenrechte, was aber al Sisi wenig beeindruckte und kaum Konsequenzen nach sich zog. Es handelte sich ja auch nicht um China, Russland oder Weißrussland..
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Aufgeschreckte Monarchen
„Mit ihren Petrodollars und ihren Medien waren sie (VEA) die entscheidende Kraft zum Sturz Mursis und der Einsetzung von Präsident Abd al Fattah al Sisi. Von da an mischten sie auch in Libyen, Somalia und im Jemen mit“(8).
In der Sicht der Monarchen der arabischen Halbinsel sind die Muslim-Brüder und ähnliche Bewegungen die größte Gefahr, der sich gegenüber sehen. So „verfolgt kein anderes Land auf der Arabischen Halbinsel die Muslimbruderschaft so schonungslos wie die Vereinigten Arabischen Emirate“(9). Hier zeigt sich eine gesellschaftliche Kraft, der sie wenig entgegensetzen können. Anders als das prowestliche Milieu der Städte waren die Muslim-Brüder enger mit der einfachen Bevölkerung verbunden, weil sie sich zu ihren gemeinsamen islamischen Wurzeln bekannten.
Wenn sich beide, Muslimbrüder und die Herrscher der arabischen Monarchien, auch als Moslems verstehen, so ist die Deutung der gemeinsamen Religion doch unterschiedlich. Stützen sich die einen auf den Islam als Grundlage ihrer Herrschaft, so fordern die anderen einen Gottesstaat, in dem unter einem gemeinsamen Gott gerechtere Verhältnisse für alle Gläubigen herrschen sollen. Darin gleichen sie den Anhängern Luthers und später den Bauern des 16. Jahrhunderts im deutschen Reich, deren Erhebung auch zu einem gerechteren Gottesstaat und der Abschaffung monarchischer Willkür führen sollte.
Wenn auch der Einfluss der Muslimbruderschaft fürs erste eingedämmt zu sein scheint, so sind es solche Kräfte und Volksbewegungen, in denen die Monarchen der arabischen Halbinsel ihre Herrschaft bedroht sehen. „Eine ähnliche Sicht auf die Bedrohung Irans und gemeinsame Abneigung gegen die islamistische Muslimbruderschaft und ihre politischen Unterstützer herrschen zwischen Israel, Bahrein und den Emiraten seit Jahrzehnten.“(10)
Nationales Wir-Gefühl endet dort, wo Herrschaft ernsthaft bedroht ist durch Teile des eigenen Volkes. Diese Bedrohung der Herrschaft durch das eigene Volk führte im Bahrein des Jahres 2011 dazu, dass der Emir von Bahrein während des arabischen Frühlings saudische Truppen ins Land rief, um seine Herrschaft aufrecht zu erhalten.
In Bahrein wurden keine Islamisten zusammen geschossen, sondern Bürger, die für westliche Werte eintraten. Die USA als selbsternannte Verteidiger der Menschenrechte, die einen Stützpunkt in Bahrein unterhalten, sahen tatenlos zu. Es diente ihren Interessen an stabilen Verhältnissen in der Region. Da darf dann auch mal ein befreundeter Diktator Krieg führen gegen das eigene Volk und dazu sogar fremde Truppen ins Land rufen, wenn die eigenen es nicht mehr schaffen..
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Hilflose Gegenschläge
Um Ähnliches für die Zukunft zu verhindern, haben besonders die monarchistischen Kräfte der Region nun politisch und militärisch die Initiative ergriffen. Die säkularen Staaten wie Ägypten, Syrien, Irak, Tunesien, Libanon und Algerien sind durch die inneren Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre nicht mehr in der Lage, die Lage im Nahen Osten zu stabilisieren.
Die USA in der Überheblichkeit ihrer westlichen Werteorientierung und Unfähigkeit zu realistischer Lageeinschätzung haben gerade solche Staaten wie Irak, Syrien und Libyen selbst zerstört und zu zusätzlichen Unsicherheitsfaktoren werden lassen. Die Türkei haben sie ins Lager der Gegner des Wertewestens getrieben. Nur Israel bleibt weiterhin eine zuverlässige Ordnungsmacht, die sich aber aus den innerarabischen Wirren weitgehend heraushält.
Nun sollen die arabischen Monarchien diese Sicherheitsfunktionen übernehmen sowohl im eigenen Interesse als auch im westlichen. Saudi-Arabien will dem Iran die Stirn bieten, wobei der Machtzuwachs des Iran sich mehr aus den Fehlern der amerikanischen Politik im Nahen Osten erklären lässt als aus iranischen Hegemonie-Bestrebungen. Die VAE rüsteten die eigene Armee auf und modernisierten sie mithilfe des australischen Elitesoldaten Michael Hindmarsh (11).
Sie unterstützen in erster Linie Staaten und Kräfte, die Bewegungen wie die Muslim-Bruderschaften oder andere religiös definierte Kräfte bekämpfen. Dazu standen sie an der Seite von General Haftar und Ägyptens al Sisi, um die Islamisten in Libyen zurückzudrängen. Die VAE bekämpften zusammen mit Saudi-Arabien die Houthi-Rebellen im Jemen, wobei sie zeitweilig auch noch von anderen Golf-Emiraten unterstützt wurden.
Aber gerade dort mussten sie bald auch die Grenzen ihrer eigenen Fähigkeiten in der Kriegsführung erkennen. Angesichts der ausbleibenden Erfolge in der Aufstandsbekämpfung zogen sich die VAE 2019 aus dem gemeinsamen Kampf mit Saudi-Arabien zurück. Aber auch die Saudis können den vergleichsweise schwachen Gegner im Jemen nicht besiegen. Zudem erhöht der gefallene Ölpreis die Schwierigkeiten im eigenen Land.
Was also bleibt den alten Monarchien? Aufgeben und darauf warten, dass sie von der Geschichte davon gefegt werden wie all die anderen blaublütigen Brüder und Schwestern in Europa und überall auf der Welt, die die gesellschaftliche Entwicklung überflüssig gemacht hatte? Oder Frieden schließen mit dem alten Feind Israel, damit dieser ihnen aus der Patsche hilft gegen das eigene Volk und die heraufziehenden Stürme, die sich besonders in der Sahelzone(12) schon andeuten?
Man hat sich offensichtlich für den zweiten Weg entschieden. Dazu hat man in Israel einen geeigneten Bundesgenossen gefunden mit ähnlichen Interessen, einem starken Militär und einer stabilen Gesellschaft, in der ähnliche Verwerfungen wie in den arabischen Staaten vorerst nicht zu erwarten sind. Dabei stehen ihnen die Demokratien des Wertewestens zur Seite. Ihm sind dann doch überkommene rückständige Monarchen lieber als unkalkulierbare Bewegungen in Völkern und Gesellschaften.
.(1) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3.9.2020: Riad erlaubt Überflüge
.(2) FAZ vom 15.8.2020: Die historische Dimension einer pragmatischen Kooperation
.(3) FAZ vom 1.9.2020: Drei Stunden für eine historische Reise
.(4) Siehe dazu: Rüdiger Rauls:
……..> trump-setzt-neue-massstaebe
.(5) Siehe dazu: Rüdiger Rauls:
……..> Paukenschlag im Nahen Osten
……..> Katar – die Büchse der Pandora
……..> Planlos in Katar
……..> Katar – die nächste Niederlage der USA
……..> Katar – Saudis unter Druck
.(6) FAZ vom 28.8.2020: Frieden mit dem alten Erzfeind?
.(7) FAZ vom 15.12.2012: Sorgen am Golf
.(8) FAZ vom 26.8.2020: Die Macht am Golf
.(9) FAZ vom 17.2.2020: Erdöl und Gestaltungswille
(10) FAZ vom 14.9.2020: An der Hand Washingtons
Friedrich Engels: Einen eigentümlichen Gegensatz hierzu bilden die religiösen Aufstände der muhammedanischen Weit, namentlich in Afrika. Der Islam ist eine auf Orientalen, speziell Araber zugeschnittene Religion, also einerseits auf handel- und gewerbetreibende Städter, andrerseits auf nomadisierende Beduinen. Darin liegt aber der Keim einer periodisch wiederkehrenden Kollision. Die Städter werden reich, üppig, lax in Beobachtung des „Gesetzes“. Die Beduinen, arm und aus Armut sittenstreng, schauen mit Neid und Gier auf diese Reichtümer und Genüsse. Dann tun sie sich zusammen unter einem Propheten, einem Mahdi, die Abgefallnen zu züchtigen, die Achtung vor dem Zeremonialgesetz und dem wahren Glauben wiederherzustellen und zum Lohn die Schätze der Abtrünnigen einzuheimsen. Nach hundert Jahren stehn sie natürlich genau da, wo jene Abtrünnigen standen: eine neue Glaubensreinigung ist nötig, ein neuer Mahdi steht auf, das Spiel geht von vorne an. So ist’s geschehn von den Eroberungszügen der afrikanischen Almoraviden und Almohaden nach Spanien bis zum letzten Mahdi von. Chartum, der den Engländern so erfolgreich trotzte. So oder ähnlich verhielt es sich mit den Aufständen in Persien und andern muhammedanischen Ländern. Es sind alles religiös verkleidete Bewegungen, entspringend aus ökonomischen Ursachen; aber, auch wenn siegreich, lassen sie die alten ökonomischen Bedingungen unangerührt fortbestehen. Es bleibt also alles beim alten, und die Kollision wird periodisch. In den Volkserhebungen des christlichen Westens dagegen dient die religiöse Verkleidung nur als Fahne und Maske für Angriffe auf eine veraltende ökonomische Ordnung; diese wird schließlich gestürzt, eine neue kommt auf, die Welt kommt vorwärts.